Donnerstagnachmittag in der Praxis von Dr. Hubertus Schmidt. Das Wartezimmer ist voll und weitere Patienten sprechen gerade mit den Arzthelferinnen. Morgens geht es hier um acht Uhr los, in Grippezeiten schließt die Praxis nicht vor 20 Uhr. Und die Mittagspause ist gefüllt mit Hausbesuchen. Trotzdem genießt der Hausarzt seine Arbeit in Sichtigvor, einem 2000-Einwohner Dorf in der Nähe von Warstein.
"Der Landarzt als Allgemeinmediziner ist die schönste Art Doktor zu sein. Man kennt Familienstrukturen, man sieht den Menschen als Ganzes." Und trotzdem ist in der westfälischen Provinz die Versorgung mit Hausärzten extrem dünn. Mehr als die Hälfte der Landärzte wird hier in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen. "Ich bin jetzt 66 Jahre alt, ich werde nicht die Praxis zumachen ohne Nachfolger, aber meine Möglichkeiten sind für die Zukunft begrenzt, dann stehen die Patienten auf der Straße. Die medizinische Versorgung im Möhnetal, wenn ich aufhöre, bricht zusammen."
Die ländliche Versorgung ist schon lange eines der Sorgenkinder im Gesundheitswesen. Von 2.300 jungen Ärzten entscheiden sich gerade mal 200, Allgemeinmediziner zu werden. Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, Dr. Theodor Windhorst, weiß, dass dringend Handlungsbedarf besteht. "Die Situation in Westfalen-Lippe ist deswegen besonders schwierig, weil wir die Hauptflächenanteile haben, die Nordrhein-Westfalen hat. Wir haben eine Repräsentation von 44.000 Ärzten aber in der Fläche reicht das nicht."
Rabatt auf den Numerus Clausus
Ortswechsel: An der Universität Münster diskutiert die Fachschaft Medizin, warum es nur für wenige junge Ärzte attraktiv ist, aufs Land zu ziehen. Berit Paul studiert im neunten Semester Medizin und ist Vorsitzende der Fachschaft. Die meisten ihrer Mitstudenten sehen ihre Zukunft eher in der Stadt, "was nichts damit zu tun hat, dass wir grundsätzlich das Arbeiten auf dem Land ablehnen, aber dass die Infrastruktur das in vielen Regionen momentan einfach nicht hergibt, dass es attraktiv wäre dort zu leben."
Darum will Nordrhein-Westfalen jetzt als erstes Bundesland eine Landarztquote für das Medizinstudium einführen. Der entsprechende Gesetzesentwurf von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann von der CDU wurde gerade im Kabinett beschlossen. Die neue Quote sieht eine Art Rabatt auf den Numerus Clausus vor. Junge Menschen, die bereit sind, mindestens zehn Jahre lang als Hausarzt in einer unterversorgten Gemeinde zu arbeiten, könnten dann unabhängig von ihrem Notenschnitt Medizin studieren.
Das würde zum Beispiel dem 19-Jährigen Abiturienten Leon Kutscher entgegenkommen. "Es klingt jetzt vielleicht ein bisschen kitschig, aber das war halt schon immer so ein Kindheitstraum von mir. Und den Leuten zu helfen ist einfach ein hohes Gut." Leon wohnt in einem Nachbarort von Sichtigvor. Dr. Hubertus Schmidt ist sein Hausarzt. Vor kurzem haben sie über die Nachfolge für die Praxis gesprochen.
Zulassung zum Studium soll grundsätzlich anders werden
"Und da war er ein bisschen verzweifelt und sagte, dass er eben überhaupt keine Ahnung hat, wer das machen könnte und dass er da wirklich auf jemanden hofft, der zufällig irgendwie vorbeikommt." Leon will Medizin studieren – hat aber nicht die entsprechende Abiturnote. Er kann sich vorstellen, später hier auf dem Land zu leben und zu arbeiten.
"Ich glaube schon, dass das in so einer Praxis schön ist, man kennt die Leute. Man hat wahrscheinlich nicht immer die anspruchsvollsten Sachen, weil das halt eben ein Hausarzt ist. Aber ich denke, für eine gewisse Zeit würde ich das auf jeden Fall machen, nicht mein ganzes Leben, aber wenn das jetzt irgendwie zehn Jahre sind und ich mein Medizinstudium dafür kriege, dann könnte ich mir das schon vorstellen."
Die Zulassung für das Medizinstudium soll zurzeit grundsätzlich verändert werden. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts sieht vor, dass bis 2019 die Kriterien überabeitet werden. Und gerade hat die Kultusministerkonferenz entschieden, die Wartezeitquote abzuschaffen. Auch Kammerpräsident Windhorst meint, dass andere Kriterien als die Abiturnote – vor allem soziale - eine Rolle spielen müssen.
Landarztquote ist nicht die Lösung aller Probleme
"Wie geh' ich mit Menschen um? Sozialisation. Wie geh ich mit schlechten Nachrichten um? Wie bringe ich ihm die, wie begleite ich den? Oder lass ich den dann stehen? Also diese ganze Palette an Menschlichkeit, die zu diesem Beruf gehört - wär schön, wenn man die irgendwie abgreifen könnte." Das soll bei der geplanten Landarztquote über ein Auswahlverfahren geschehen. Dafür zählen zum Beispiel Vorerfahrungen in der Pflege oder als Sanitäter – und eben die Bereitschaft sich für zehn Jahre auf dem Land zu verpflichten. Insgesamt 168 Plätze sollen für entsprechende Bewerber reserviert werden.
Berit Paul von der Medizin-Fachschaft sieht das Verfahren kritisch: "Man riskiert halt eine Art Zweiklassen-Studierendenschaft. Und dann hat man quasi die, die aufs Land gehen – und die, die richtige Medizin machen. Und das, finde ich, wäre super fatal für das gesamte Berufsbild." Statt Quote fordert sie ein Umdenken in der ländlichen Versorgung. "Man muss den Leuten, die auch auf dem Land als Arzt oder Ärztin arbeiten sollen, die Möglichkeit geben, mit Partnerkliniken oder in medizinischen Versorgungszentren zu arbeiten, um also auch irgendwie den akademischen und beruflichen Austausch zu fördern. Ich glaube, das Bild von der Schwarzwaldklinik oder von dem Bergdoktor, das mag ganz romantisch sein, aber kein Mensch aus unserer Generation möchte heute mehr der Einzelkämpfer auf dem Land sein. Und da muss man, glaube ich, in ganz neuen Dimensionen denken."
Landarzt Dr. Schmidt befürchtet, dass viele junge Leute das Prinzip ausnutzen werden: "Wenn sich nicht grundsätzlich was an dieser Verwaltungsstruktur ändert, werden viele Mediziner über die Landarztquote Medizin studieren, ihren Studienplatz bekommen, und werden sich hinterher aus dieser Situation rausklagen. Und doch nicht aufs Land gehen."
Dass die Landarztquote nicht die Lösung aller Probleme in der ländlichen Versorgung bereithält, darin sind sich eigentlich alle einig, auch Dr. Theodor Windhorst. "Es ist ein Weg, den wir ausprobieren müssen. Wenn er sich als falscher Weg erweist, dann müssen wir eben auch die Konsequenzen daraus ziehen."