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Beispielloses Versagen der Sicherheitsbehörden

Der NSU-Untersuchungsausschuss tritt am Donnerstag zum letzten Mal öffentlich zusammen. Nach 15 Monaten Ausschussarbeit spricht der Vorsitzende Sebastian Edathy (SPD) von einem beispiellosen, multiplen Versagen deutscher Sicherheitsbehörden.

Von Katharina Hamberger |
    Die kleine Frau mit den Locken macht das ganz exakt. Sie lässt immer nur einen nach dem anderen in den Europa-Saal im Paul-Löbe-Haus, einem der Abgeordneten-Häuser des Bundestages. Dabei schaut sie bei jedem Wartenden, der keine Presseakkreditierung oder einen Polizeiausweis hat, ganz genau nach: Steht die oder der auf ihrer Liste, hat sie oder er sich vorher angemeldet oder nicht. Wenn das der Fall ist, macht sie einen Haken hinter den Namen. Auch Hajo Funke steht an, will die Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses des Bundestages beobachten. Das macht er nicht nur an diesem Tag – Funke ist nahezu bei jeder Ausschusssitzung als Zuschauer mit dabei. Routiniert sucht er sich einen Platz auf der Tribüne; Zettel und Stift in der Hand. Funke ist emeritierter Professor, sein Fachgebiet: Rechtsextremismus und Antisemitismus. Anfangs hatte er nur eine vage Vermutung, was die Abgeordneten bei ihrer Arbeit rausfinden würden.

    "Also, ich hatte nur diffuse Erwartungen. Ich wollte, dass alles aufgeklärt wird."

    Wenn Funke einen guten Platz in der vorderen Reihe, am besten ganz außen erwischt, dann kann er so gut wie alles sehen, was unter ihm in dem runden Saal passiert. Dort nehmen nun auch die Mitglieder des Untersuchungsausschusses Platz – morgen, nach 72 Sitzungen zum letzten Mal. Zum ersten Mal trafen sie zusammen am 27. Januar 2012. Bundestagspräsident Norbert Lammert sagte an diesem Tag:

    "Hier handelt es sich - neben der zusätzlichen zeitlichen Inanspruchnahme - auch in der Sache um eine besondere Belastung, das ist mir sehr bewusst. Umso mehr wünsche ich Ihren Beratungen viel Erfolg und hoffentlich auch die Ergebnisse, die wir uns von der Arbeit dieses Ausschusses versprechen. Und damit, Herr Vorsitzender, überlassen ich Sie und den Ausschuss seinem selbst gewählten Schicksal."

    "Ergebnisse, die wir uns versprechen" – in diesem Satz Lammerts spiegelt sich die große Aufgabe wieder, die die Ausschussmitglieder vor sich hatten. Im Mittelpunkt steht dabei immer eine zentrale Frage, sagt der Vorsitzende Sebastian Edathy, SPD:

    "Wie konnte es eigentlich möglich sein, dass eine rechtsterroristische Gruppierung über zehn Jahre hinweg in Deutschland raubend und mordend umherzieht, ohne dass deutsche Sicherheitsbehörden dieser Gruppierung auf die Spur gekommen wären."

    Das fasst kurz und knapp den offiziellen Auftrag zusammen, den der Bundestag dem Ausschuss gegeben hat:

    Der Untersuchungsausschuss soll sich ein Gesamtbild verschaffen zur Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund". Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse soll der Untersuchungsausschuss Schlussfolgerungen für Struktur, Zusammenarbeit, Befugnisse und Qualifizierung der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus ziehen und Empfehlungen aussprechen.

    Das heißt: Alles was die 22 Abgeordneten in den vergangenen eineinhalb Jahren herausgefunden haben, soll nicht in Archiven verschwinden. Sondern ihre Erkenntnisse sollen dabei helfen, die Sicherheitsbehörden - sprich Bundesamt für Verfassungsschutz, Verfassungsschutzbehörden in den einzelnen Bundesländern, die Polizei und Justiz - zu reformieren. Und zwar so, dass es nie wieder passieren kann, dass eine rechtsextreme Terrorgruppe mordend durchs Land zieht - ohne, dass ihnen jemand auf die Spur kommt. Mit oberflächlichen Reformen scheint es da nicht getan zu sein. Edathy spricht heute, nach 15 Monaten Ausschussarbeit, von einem beispiellosen, multiplen Versagen deutscher Sicherheitsbehörden – und zwar in einem Ausmaß, in dem er es sich nicht hat vorstellen können.

    "Da tauchen drei Leute ab 1998, und am 4.11.2011 findet man dann zwei Leichen in Eisenach, und Frau Zschäpe jagt ein Wohnhaus in die Luft in Zwickau. Dass da was schief gelaufen sein muss, war klar. Dass die Hintergründe dieser Erfolglosigkeit der Behörden bei der Suche nach den Tätern in besonderem Zusammenhang mit zehn Morden ein derartiges Ausmaß an strukturellem und ja auch Haltungsversagen beinhalten würden, das hatte ich zu Beginn der Tätigkeit im Ausschuss nicht erwartet."

    Das Versagen der Behörden hat mehrere zeitliche Ebenen:

    Erstens: Warum war das Trio nicht schon 1998 gefasst worden? Seelenruhig konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe damals untertauchen und sich nach Sachsen absetzen, nachdem ihre Bombenbauwerkstatt in Jena entdeckt worden war. Der Bundestags-Untersuchungsausschuss konnte dazu keine Antwort finden.

    Zweitens: Warum kamen die Ermittlungsbehörden dem Trio zwischen 1998 und 2011 nie auf die Spur? Nach monatelanger Zeugenvernehmung, glauben die Abgeordneten eine Erklärung gefunden zu haben: die mangelnde Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Behörden.

    Informationen wurden nicht weitergegeben, nicht ausgewertet – jede Behörde arbeitete offenbar für sich. Eine zentrale Koordination der Ermittlungen durch das Bundeskriminalamt wurde abgelehnt, obwohl mehrfach darüber diskutiert worden war. Aus heutiger Sicht sehen manche der Beteiligten das als einen Fehler an. Unter anderem Jürgen Maurer, Vize-Präsident des BKA. Er sagte bei seiner Vernehmung auf die Frage hin, was falsch gelaufen sei: Es sei nicht gelungen, die Ermittlungen zusammenzuziehen. SPD-Obfrau Eva Högl fasst damals zusammen, unter was die Ermittlungsarbeiten laut Maurer besonders litten:

    "Kein einheitliches Ermittlungskonzept, kein einheitliches Fahndungskonzept, keine einheitliche Öffentlichkeitsarbeit."

    In unzähligen der oft bis in die Nacht dauernden Sitzungen stand diese Frage nach der Zusammenarbeit der Behörden im Mittelpunkt. Nahezu jeder Zeuge wurde dazu gehört, welche Informationen seine Behörde gehabt hätte und was mit diesen Informationen geschehen sei. Das Ergebnis solcher Befragungen waren oft Schuldzuweisungen: Jeder behauptet, alles weitergegeben zu haben, die andere Seite jedoch hätte sich nicht korrekt verhalten.

    Ein Beispiel: Die Fahndung in Thüringen Ende der 1990er, nachdem das Terrortrio untergetaucht war. So hatten Zeugen des dortigen Landeskriminalamts ausgesagt, sie hätten vom Landesamt für Verfassungsschutz nur einen kleinen Teil der verfügbaren Informationen erhalten. So sei ihnen verschwiegen worden, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Waffen brauchten, um sich Geld zu beschaffen. Auch sei ihnen verschwiegen worden, wo sich die Drei womöglich aufhalten könnten. Der damalige Präsident des Verfassungsschutzes in Thüringen, Helmut Roewer, sagte im Ausschuss aus, er könne sich an diese Information nicht mehr erinnern; wisse aber, dass die Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt immer gut gelaufen sei. Sein Vize Peter Jörg Nocken hingegen konnte sich an die Infos durchaus erinnern und auch daran, sie dem Landeskriminalamt weitergegeben zu haben.

    Solch widersprüchliche Aussagen riefen nur eines bei den Ausschussmitgliedern hervor: Fassungslosigkeit. Diese Fassungslosigkeit versuchten sie nach den Sitzungen dann auch bei den Pressestatements zu formulieren, berichtet Frank Aischmann. Er ist Hörfunkkorrespondent des MDR im ARD-Hauptstadtstudio:

    "Was wir häufig gesehen haben nach Ausschusssitzungen, waren empörte Abgeordnete. Im Grunde war das Ausmaß des Versagens der Sicherheitsbehörden im Umgang mit dem NSU so gewaltig, das hat die Abgeordneten umgehauen, dann hat das uns umgehauen, dann haben wir es berichterstattet, und das hat sich dann irgendwie gekreuzt mit der absoluten Blockadehaltung derer, die die Geschichte in den Sand gesetzt haben."

    Beobachter Hajo Funke findet für das Verhalten der befragten Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden folgende Beschreibung:

    "Das ist ein Quasi-Autoritärer-Amtsnarzissmus. Wir machen alles richtig, dazu sind wir da, das ist unsere Funktion, so müssen wir uns darstellen, egal was tatsächlich passiert."

    Mindestens genauso schockierend war die Erkenntnis, dass bei den Ermittlungen offenbar Fremdenhass als Motiv für die Mordserie meist überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden war. Sebastian Edathy nach einer Ausschusssitzung:

    "Man hat ganz eindeutig, ich würde sagen zu 90 Prozent, auch nach Jahren der erfolglosen Ermittlungstätigkeit, der Überlegung Vorrang eingeräumt, es handelt sich um ein Tatmotiv aus dem Bereich der organisierten Kriminalität. Man hat erst nach dem neunten Mord ansatzweise nachgedacht, es könnte ein fremdenfeindliches Motiv geben. Man hat diesem Ansatz aber kein besonderes Gewicht beigemessen, es ist sehr nachlässig verfolgt worden."

    Deshalb stand immer wieder die Mutmaßung im Raum, die Behörden waren – sprichwörtlich - auf dem rechten Auge blind. Nicht nur bei der Suche nach den mutmaßlichen Zehnfach-Mördern, sondern auch bei den Ermittlungen zu den beiden Bombenanschlägen. Diese Vermutung klang zumindest immer wieder an, wenn die Ausschussmitglieder nach den Sitzungen vor die Journalisten traten:

    "Und auch hier ist es so, dass ich feststellen muss, dass gerade der Sprengstoffanschlag in der Keupstraße ein Wendepunkt in den Ermittlungen hätte sein können. Es gab eine ganze Reihe von maßgeblichen Indizien dafür, dass es sich hier um einen fremdenfeindlichen Anschlag gehandelt haben könnte."

    Sagte der der Obmann der FDP, Hartfried Wolff, an dem Tag als der frühere Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens, vor den Ausschuss geladen war. Er räumte bei der Befragung ein, dass er am Tag des Anschlages in Köln einen privaten Umzug hatte und deshalb keine Zeit hatte, sich vor Ort selbst ein Bild zu machen. Eine Erkenntnis, die die Ausschussmitglieder reihum empörte – besonders, weil Behrens darin offensichtlich kein eigenes Fehlverhalten sah. Bei der Arbeit des Ausschusses spielten auch sie immer wieder eine große Rolle: die sogenannten Vertrauenspersonen – die V-Personen oder V-Leute, Informanten aus der rechtsextremen Szene, die von den Behörden angeworben werden, um über Interna zu berichten. Es gab – und das wurde erst durch den Ausschuss publik – zahlreiche V-Personen im Umfeld des Terror-Trios, die teilweise sogar Informationen über die Untergetauchten lieferten. Die V-Leute selbst wollte der Ausschuss nicht befragen: einerseits, um Neonazis keine Plattform zu bieten; andererseits, weil keine ihrer Aussagen in irgendeiner Form hätten überprüft werden können. Aber die Abgeordneten versuchten, über Behördenmitarbeiter, die mit den V-Leuten befasst waren, mehr über deren Informanten zu erfahren.

    Ein prominenter Fall: ein V-Mann vom Bundesamt für Verfassungsschutz, der unter dem Decknamen "Corelli" geführt wurde – ein führender Neonazi aus Sachsen-Anhalt. Sein Klarname stand auf einer Adressliste, die die Fahnder 1998 in der Jenaer Bombenwerkstatt des Terrortrios gefunden hatten. Ob "Corelli" Informationen zum NSU-Trio weitergegeben hatte, ist nicht bekannt – obwohl der Ausschuss zumindest seinen V-Mann-Führer befragen durfte. Allerdings nur in einer nicht-öffentlichen Sitzung, um ihn zu schützen. Das war der Kompromiss zwischen Ausschuss und Bundesinnenministerium, das für den Verfassungsschutz zuständig ist. Dieser kam auch erst zustande, nachdem Edathy dem Ministerium mit dem Bundesverfassungsgericht gedroht hatte. Das ist nur ein Beispiel für eine Beobachtung, die Hajo Funke machte. Die Behörden zeigen seiner Meinung nach bis zum heutigen Tag keinen großen Aufklärungswillen:

    "Es wäre Aufgabe des Bundesamtes und der Landesämter gewesen, von sich aus Aufklärung zu betreiben durch externe Ermittler, also unabhängige, die alles zu Gesicht bekommen haben. Das ist nicht geschehen, und das ist das Versagen des Bundesamtes und des Bundesinnenministers."

    Die wohl bekannteste Panne jedoch - nachdem das Trio am 4. November 2011 aufgeflogen war, ist die sogenannte "Aktion Konfetti" – die am Ende sogar dazu führte, dass der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Heinz Fromm, seinen Hut nahm. Bei dieser Aktion waren wenige Tage nach Entdeckung der Terrorzelle Akten zu V-Leuten in der rechtsextremen Szene in Thüringen im Bundesamt für Verfassungsschutz im Schredder gelandet – unwiederbringliche Informationen, die vielleicht Aufschluss darüber geben hätten, wie sich das rechtsterroristische Trio in der Szene bewegt hat und was dort über sie bekannt war. Als der Präsident des Bundesamtes im Juni des vergangenen Jahres vor den Untersuchungsausschuss geladen wurde, war ihm behördenintern gesagt worden, die Akten seien schon vor dem 4.11.2011 gelöscht und geschreddert worden. Dass aber war schlicht gelogen. Denn in Wahrheit fand die Aktenvernichtung erst am 11.11.2011 statt. Fromm bat um seine frühzeitige Versetzung in den Ruhestand.

    "Heinz Fromm hatte das Amt nicht im Griff. Er wurde getäuscht. Er ist bitter und enttäuscht zurückgetreten."

    Sagt der Rechtextremismus-Experte Funke. Daneben gab es Tage, an denen die Ausschussmitglieder schockiert waren vom Auftreten der Zeugen. Beispiel für einen Ausfall – im wahrsten Sinne des Wortes: August Hanning. 1998 bis 2005 Chef des Bundesnachrichtendienstes, bis 2009 Staatssekretär im Bundesinnenministerium. Bei der ursprünglich angesetzten Vernehmung wollte er nichts aussagen – angeblich sei die Einladung, die er übers Bundesinnenministerium erhalten hatte, zu spät bei ihm angekommen; zu spät, um sich vorbereiten zu können. Der Obmann der Grünen, Wolfgang Wieland, konnte seine Verärgerung kaum zügeln:

    "Wir haben einen Untersuchungsauftrag, den wir so gut es geht, in dieser Legislaturperiode erledigen wollen, von daher sind wir natürlich verärgert, dass ein Staatssekretär, der vor die Tür gesetzt wurde, von dem Minister de Maizière seinerzeit noch, die Verbindung zu seinem Haus offenbar so gekappt hat, dass er ein Schreiben von diesem Haus erst mal nicht von der Post abholt."

    Hanning trat erst eine Woche später als Zeuge vor dem Ausschuss aus. Diese Terminverschiebung verzögerte dessen Arbeit - mal wieder. Denn wie geplant lief nur selten eine Sitzung. Oft wurden Zeugen länger vernommen als angesetzt. Das wiederum sorgte dafür, dass eine Zeugenvernehmung auf den kommenden Ausschusstag verschoben oder eine zusätzliche Sondersitzung eingeplant werden musste.

    "Wir haben häufig an zwei Tagen in der Woche Beweisaufnahme gemacht, weil wir das große Pensum von fast 100 Zeugen bewältigen wollten, 8000 Aktenordner. In der Sitzungswoche hat mich der Untersuchungsausschuss zwei komplette Tage jede Woche an Arbeitszeit gekostet."

    Erzählt der Obmann der Union, Clemens Binninger, und verweist auch auf die Unterstützung durch seine Mitarbeiter – er hatte drei an seiner Seite. Aber durch die dicken Ordner quälten sich die Ausschussmitglieder fast immer selbst. Um immer gut vorbereitet zu sein – nicht nur bei den prominenten Zeugen. Davon gab es nur wenige: zum Beispiel den früheren bayerischen Innenminister Günther Beckstein. Einer der wenigen, der schon früh den Verdacht hatte, dass hinter der Mordserie Rechtsextreme stecken könnten. Beckstein hatte seinen Verdacht als Notiz neben einen Zeitungsartikel gekritzelt. Seinem ersten Instinkt aber sei er nicht weiter nachgegangen, weil die Ermittlungen seiner Beamten kein Ergebnis in diese Richtung gebracht hätten. Gleichzeitig verteidigte der CSU-Politiker im Untersuchungsausschuss die Arbeit seiner bayerischen Behörden. Während ein weiterer prominenter Zeuge, der frühere Bundesinnenminister Otto Schily, SPD, die politische Verantwortung dafür übernahm, dass nach dem Nagelbombenanschlag in Köln in die falsche Richtung ermittelt worden war. Sein Nachfolger als Innenminister, Wolfgang Schäuble, in dessen Amtszeit drei der zehn Morde fielen, wiederum gab sich nahezu ahnungslos. Er sei nur marginal mit der Mordserie befasst gewesen, von Fehlern sprach der CDU-Politiker nicht. Ein Verhalten, das heftige Reaktionen hervorrief – unter anderem bei Eva Högl von der SPD:

    "Welche Mordopfer, was, wie, was für eine Mordserie, war ich nie damit befasst, ich rette hier jeden Tag Europa und bin seit 40 Jahren im Bundestag, was wollen Sie eigentlich von mir? War so der Tenor seiner Einlassung. Das fand ich auch unangemessen."

    Um die Zeugen befragen zu können, benötigten die Ausschussmitglieder umfassende Informationen von den Behörden, Informationen, um die sie oft hart kämpfen mussten. Nach einer Ausschusssitzung machte Unions-Obmann Binninger klar …

    "… dass es kein Argument gibt, egal wie die Behörde heißt, egal in welchem Bundesland sie sitzt oder beim Bund, uns irgendwelche Informationen vorzuenthalten, weil wir sowieso nicht lockerlassen werden und auch immer wieder die richtigen Nachfragen stellen werden."

    Grund für diese Auseinandersetzung war oft, dass die Behörden dem Ausschuss nicht trauten, was den vertraulichen Umgang mit den Akten anging. Was zur Folge hatte: Teilweise durften Akten nur in der Geheimschutzstelle des Bundestages eingesehen werden, oder man einigte sich darauf, dass ein Sonderermittler die Akten vorher sichtet und Stellen eventuell schwärzt. Die meisten Akten und Informationen haben die Abgeordneten – eigenen Angaben nach - aber bekommen. Das lag auch daran, dass der Ausschuss immer fraktionsübergreifend und gemeinsam darum gekämpft hatte. Diese Einigkeit zwischen den fünf im Bundestag vertretenen Parteien ist ein ungewöhnliches Phänomen für einen Untersuchungsausschuss. Weshalb auch die Journalisten sich oft fragten, wie lange geht dieser Zusammenhalt noch gut? Die Bundestagswahl rückt schließlich näher.

    "Ich entsinne mich, dass wir zu Beginn auch nachgefragt haben, immer wieder nachgefragt haben. Das ist bestimmt zwei, drei Monate so gegangen: wann kommt denn der Moment, wo sie mal einen Beweisbeschluss nicht zusammenfassen, wann drückt Parteipolitik hier durch."

    Sagt Journalist Frank Aischmann. Aber keiner der Abgeordneten wollte aus diesem Ausschuss ein Wahlkampfthema machen – denn alle - ob Union, SPD, Grüne oder Linke - wussten, das tut dem Ziel der Aufklärung nicht gut. SPD-Frau Högl macht einmal nach einer Sitzung klar:

    "Zwischen uns passt kein Blatt Papier."

    Der Ausschussvorsitzende Sebstian Edathy ergänzt:

    "Wir haben ja von etwa 300 Entscheidungen keinen einzigen gehabt, der nicht einstimmig erfolgt wäre."

    Grund für den Zusammenhalt dürfte sein, dass das Gremium auf einem gemeinsamen Willen beruht, der in der Abstimmung im Bundestag bereits im Januar 2012 zum Ausdruck kam:

    Petra Pau im Bundestag:
    "Der Antrag ist damit einstimmig angenommen und der zweite Untersuchungsausschuss der 17. Wahlperiode eingesetzt."

    Der Untersuchungsausschuss ist aber nicht nur mit den Stimmen aller Bundestagsfraktionen eingesetzt worden, sondern er hat auch das Mandat erhalten, Vorschläge für eine Reform der Sicherheitsbehörden zu machen. Auch diese werden gemeinsam erarbeitet:

    "Ich finde es auch der Sache angemessen, dass wir vorhaben, am Ende nicht ein Mehrheits- und ein Minderheitsvotum vorzulegen im Ausschuss, sondern dass wir einen gemeinsamen Bericht vorlegen wollen, dass wir uns auch verständigen wollen auf gemeinsame Vorschläge. Und worauf man sich nicht einigen kann, da macht jede der fünf Fraktionen im Deutschen Bundestag ein Ergänzungsvotum, und das wird dem Bericht dann beigefügt."

    Sagt Sebastian Edathy. Über diesen gemeinsamen Abschlussbericht wird der Bundestag Anfang September abstimmen – und damit eine Empfehlung an den nächsten Bundestag aussprechen. Die Vorschläge im Bericht werden unter anderem die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden betreffen, aber auch den Umgang mit Verbrechen an Migranten – ein rechtsextremer Hintergrund dürfe in so einem Fall nicht mehr von vornherein ausgeschlossen werden. Dass am Ende ein so umfangreicher Bericht mit vielen Empfehlungen stehen wird, hat sich der Ausschuss durch seinen Aufklärungswillen selbst zuzuschreiben, sagt Beobachter Hajo Funke:

    "Ich war begeistert davon, dass der Untersuchungsausschuss sehr intensiv und geradezu intransigent nachgefragt hat, sie haben nicht lockergelassen. Es waren für mich deswegen über lange Zeit Sternstunden des Parlaments. Sie haben es nämlich geschafft, doch das Augenmerk neben den Mordtaten und den Mordtatenumständen auf das Wissen der jeweiligen Sicherheitsbehörden zu richten. Was wusste wer? Es ist klar geworden, dass sie unendlich viel mehr wussten, als sie vorgegeben haben."

    Die Bildkombo aus Handouts des Bundeskriminalamtes zeigt die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt.
    Die mutmaßlichen Mitglieder der Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Uwe Mundlos, Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt. (picture alliance / dpa)
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