„In diesen Tagen beginnt in Israel der Eichmann-Prozess. Wir wünschen, dass in diesem Prozess die volle Wahrheit ans Licht kommt und dass Gerechtigkeit geübt wird.“
Die Erklärung, mit der sich Bundeskanzler Konrad Adenauer am 10. April 1961 an die Öffentlichkeit wendete, enthielt eine klare Botschaft:
Die Erklärung, mit der sich Bundeskanzler Konrad Adenauer am 10. April 1961 an die Öffentlichkeit wendete, enthielt eine klare Botschaft:
„Im moralischen Leben des deutschen Volkes gibt es heute keinen Nationalsozialismus mehr, kein nationalsozialistisches Empfinden. Wir sind ein Rechtsstaat geworden.“
Wer war der Cheflogistiker des Holocaust?
Ein Rechtsstaat, dem wenig daran lag, über die NS-Vergangenheit zu reden oder ehemalige Täter vor Gericht zu stellen. Im Gegenteil: Die Bundesregierung befürchtete, dass der Prozess gegen Adolf Eichmann auch Fragen nach der Schuld anderer NS-Funktionäre wie dem Mitverfasser der sogenannten Nürnberger Rassengesetze Hans Globke aufwerfen könnte. Globke war inzwischen Chef des Bundeskanzleramtes. Dass es nicht dazu kam, lag auch an den guten Beziehungen zwischen Adenauer und dem israelischen Ministerpräsidenten David Ben Gurion. Als der Prozess am 11. April 1961 in einem umgebauten Theater in Jerusalem begann, waren Journalisten aus der ganzen Welt dabei, darunter Hannah Arendt für das Magazin 'The New Yorker'. Alle wollten wissen, wer der Cheflogistiker des Holocaust war, den der israelische Geheimdienst in Argentinien entführt hatte. Dazu der Historiker Arnd Bauerkämper:
„Die Resonanz war gewaltig auch wegen des erstmaligen Einsatzes von elektronischen Medien, und auch, weil dieser Eichmann gepflegt wirkte, weil er in diesem Glaskasten auftrat, und weil er ja, wie hat Hannah Arendt das beschrieben, relativ banal wirkte. Er wirkte nicht wie ein Massenverbrecher, er hat trotzdem Massenverbrechen begangen.“
„Die Verantwortung aber, das Gewissen" - sah Eichmann nicht bei sich
Eichmann war nicht die Bestie, die viele erwartet hatten, betont Arnd Bauerkämper. Als Sohn eines Buchhalters war Eichmann im NS-Regime zunächst für die Organisation der jüdischen Auswanderung und dann für die Deportationen zuständig. Er habe lediglich seine Arbeit gemacht, argumentierte er im Prozess:
„Die Verantwortung aber, das Gewissen, muss die Staatsspitze haben, und es wurde uns ja dauernd gepredigt, in Wort und in Schrift: Vertrauen zur Führung. Bei einer guten Staatsführung hat der Untergebene Glück, bei einer schlechten, Unglück. Ich hatte kein Glück, denn das damalige Staatsoberhaupt gab den Befehl zur Vernichtung der Juden.“
Immer wieder wurde Eichmann mit den Aussagen Überlebender konfrontiert, deren Angehörige in Vernichtungslagern ermordet wurden - und immer wieder berief er sich darauf, durch seinen Eid zum Gehorsam verpflichtet gewesen zu sein.
„Ich habe den Befehl gehabt, ob sie nun getötet wurden oder nicht, er musste durchgeführt werden. Er ist auf dem administrativen Wege erledigt worden, ich habe nur ein Teilchen dafür zu erledigen gehabt, die anderen Teilchen, die notwendig waren, bis so ein Transport rollte, haben die verschiedenen anderen Stellen gehabt.“
Keineswegs so gedankenlos - wie Hannah Arendt schilderte
Eichmann habe die Taten „nicht wirklich an sich rangelassen“, glaubt Historiker Arnd Bauerkämper: "Das ist psychologisch vielleicht irgendwie nachvollziehbar, dass man sagt, okay, mit diesen Taten habe ich direkt nichts zu tun, also bin ich auch nicht schuldig, aber das ist eben auch völlig falsch. Und das hat, glaube ich, Hannah Arendt auch, das ist eines ihrer Verdienste, dass sie doch deutlich gemacht hat, dass eben diese Personen, die sich als einfache Rädchen dargestellt haben, eben auch Verantwortung und Schuld auf sich genommen haben, und zwar erheblich.“
Allerdings war Eichmann keineswegs so gedankenlos, wie Hannah Arendt ihn in ihrem „Bericht von der Banalität des Bösen“ schilderte. In Argentinien hatte er gegenüber anderen ehemaligen Nationalsozialisten mit der Ermordung mehrerer Millionen Juden geprahlt. Auch der stellvertretende Ankläger im Eichmann-Prozess Gabriel Bach warnte davor, der Selbstdarstellung Eichmanns zu folgen. Er erinnerte daran, mit welchem Ehrgeiz der Bürokrat im Frühjahr 1944 die Deportation von über 400.000 ungarischen Juden vorangetrieben hatte - als der Krieg erkennbar nicht mehr zu gewinnen war:
„Das wurde da eine absolute Besessenheit bei ihm, dass er dann wirklich schon extremer und fanatischer wurde als seine Vorgesetzten, also diese ganze Beschreibung manchmal, er sei nur ein Befehlsempfänger gewesen, das ist absolut falsch.“
Im Dezember 1961 wurde Adolf Eichmann wegen „Verbrechen gegen das Jüdische Volk“ und „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zum Tode verurteilt. Er habe sich „mit den Befehlen, die ihm erteilt wurden, innerlich identifiziert“, heißt es in der Urteilsbegründung. Fünf Monate später, am 31. Mai 1962, wurde er in Israel gehängt.