Alle EU-Außenmister haben am Wochenende einen Brief aus Istanbul erhalten, der von bekannten Istanbuler Intellektuellen, Gezi-Park-Aktivisten, Politikberatern, Frauenrechtlerinnen und Schriftstellerinnen wie Elif Shafak unterschrieben ist. Darin bitten diese eindringlich darum, die Eröffnung eines neuen Kapitels in den Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU nicht zu blockieren. Das Kapitel, das drei Jahre Stillstand in den Verhandlungen beenden soll, heißt "Regionalpolitik". Das sei gerade jetzt von großer Bedeutung für sein Land, sagt Europawissenschaftler Cengiz Aktar, einer der Mitunterzeichner, mit Blick auf die deutsche Bundesregierung:
"Dieses Thema hat unmittelbar mit dem Kurdenkonflikt zu tun und dem laufenden Friedensprozess mit der PKK. Es geht um die Stärkung der Regionen - also auch der Kurdenregion, die mehr Selbstbestimmung will. Und sie hat auch mit dem Konflikt um den Gezi-Park zu tun. Ein Ministerpräsident kann in diesem zentralistischen Staat bestimmen, was in einem Istanbuler Park gebaut wird. Wenn Städte und Regionen mehr Macht bekommen, wäre das vielleicht nicht mehr möglich."
"Dieses Thema hat unmittelbar mit dem Kurdenkonflikt zu tun und dem laufenden Friedensprozess mit der PKK. Es geht um die Stärkung der Regionen - also auch der Kurdenregion, die mehr Selbstbestimmung will. Und sie hat auch mit dem Konflikt um den Gezi-Park zu tun. Ein Ministerpräsident kann in diesem zentralistischen Staat bestimmen, was in einem Istanbuler Park gebaut wird. Wenn Städte und Regionen mehr Macht bekommen, wäre das vielleicht nicht mehr möglich."
Europaminister Bagis befeuert deutsch-türkische Krise
Die türkische Opposition zeigt Verständnis für die Verärgerung Berlins besonders über die Äußerungen des türkischen Europaministers Egeman Bagis. Bagis, vor seiner Politikerkarriere Englisch-Dolmetscher Erdogans, ist zugleich Chefunterhändler mit der EU. Doch die Sprache der Diplomatie ist seine Sache nicht. Den Zyprern droht er mit der Annektierung der türkischen Nordhälfte, bei Schweiz-Besuchen leugnete er den Völkermord an den Armeniern, weil das dort ein Straftatbestand ist, und vergangene Woche wurde er dann gegen die Bundeskanzlerin persönlich ausfällig. Er beschuldigte sie, nicht nur aus Wahlkampfgründen auf einmal gegen die Eröffnung des Verhandlungskapitels zu sein. Sondern er drohte auch mit Konsequenzen für deutsche Firmen:
"Ich hoffe, dass die Bundesregierung von dieser Haltung absieht. Wenn sie dennoch blockieren sollte, obgleich es keine formalen Gründe gegen eine Eröffnung des Verhandlungskapitels gibt, dann könnte das Folgen für die 4000 deutschen Firmen haben, die in der Türkei engagiert sind. Im Übrigen hat die deutsche Polizei bei Demonstrationen in der vergangenen Zeit ähnlich gehandelt wie unsere Polizei auf dem Taksim-Platz."
Bagis' Ausfälle gegen die Kanzlerin haben die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Botschafter wurden einbestellt - und Bagis sah sich, offenbar auch auf Betreiben des türkischen Außenministers Davutoglu hin, genötigt, am Wochenende eine halbherzige Entschuldigung nachzuschieben. Es täte ihm leid, heißt es da, wenn seine Äußerungen als Drohungen verstanden worden wären.
"Ich hoffe, dass die Bundesregierung von dieser Haltung absieht. Wenn sie dennoch blockieren sollte, obgleich es keine formalen Gründe gegen eine Eröffnung des Verhandlungskapitels gibt, dann könnte das Folgen für die 4000 deutschen Firmen haben, die in der Türkei engagiert sind. Im Übrigen hat die deutsche Polizei bei Demonstrationen in der vergangenen Zeit ähnlich gehandelt wie unsere Polizei auf dem Taksim-Platz."
Bagis' Ausfälle gegen die Kanzlerin haben die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastet. Botschafter wurden einbestellt - und Bagis sah sich, offenbar auch auf Betreiben des türkischen Außenministers Davutoglu hin, genötigt, am Wochenende eine halbherzige Entschuldigung nachzuschieben. Es täte ihm leid, heißt es da, wenn seine Äußerungen als Drohungen verstanden worden wären.
Opposition setzt weiter auf die EU
Die türkischen Medien berichteten bislang ungewöhnlich breit über die diplomatische Krise zwischen Ankara einerseits und Berlin und Brüssel andererseits. Besonders deutschlandfeindliche Töne waren dabei nicht zu vernehmen, aber auch das Massenblatt "Milliyet" unterstellte der Kanzlerin für ihre Kehrtwende innenpolitische Motive.
Nahezu alle Blätter berichteten aber auch, dass die größte Oppositionspartei, die links-kemalistische Republikanische Volkspartei, die EU gebeten hat, die Beziehungen zur Türkei wegen der gewaltsamen Polizeieinsätze nicht vollends auf Spiel zu setzen. Die türkischen Demokraten setzen weiter auf die EU, sagt Cengiz Aktar, auch wenn die EU-Begeisterung insgesamt in der Bevölkerung deutlich abgenommen habe. Für Aktar, der auch in der Gezi-Park-Bewegung aktiv ist, gibt es für die EU - und damit auch für Deutschland in dieser Woche zwei Möglichkeiten sich zu verhalten:
"Sie kann die Türkei für ihren brutalen Umgang mit der Protestbewegung bestrafen und das Kapitel blockieren. Aber die andere - und unserer Ansicht nach viel bessere Alternative wäre, das Kapitel am Mittwoch feierlich zu eröffnen und danach eine unmissverständliche Stellungnahme abzugeben, in der die Vorgehensweise der Regierung klar verurteilt wird."
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