Philipp May: Es geht wieder um das Thema Flucht, zumindest mittelbar. Eigentlich geht es um Afrika. Fluchtursachen bekämpfen, dieser Punkt darf in keinem Wahlprogramm keiner Partei fehlen, um die Migrationsbewegung nach Europa einzudämmen. Nur ist das, wie wir wissen, leichter gesagt als getan. Für die Bundesregierung dafür verantwortlich ist der Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU. Er fordert schon länger einen Marshall-Plan für Afrika, darüber haben wir oft berichtet. Gerade ist er auf einer neuntägigen Afrikareise. Er war schon in Eritrea, Äthiopien und Mosambik. Aktuell ist er in Botswana. Dort haben wir ihn erreicht. Guten Morgen, Herr Minister.
Gerd Müller: Guten Morgen nach Deutschland.
May: Herr Müller, ist Afrika überhaupt noch zu helfen?
Müller: Ja selbstverständlich! Ich war in Äthiopien an der Wiege der Menschheit: Lucy. Vor 3,5 Millionen Jahren hatte die Menschheit dort ihren Ursprung.
May: So lange wollen wir jetzt aber nicht warten.
Müller: Nein, nein! Aber wir müssen uns auch unserer Ursprünge bewusst werden und deshalb bin ich auf einer Afrikareise, und da sehe ich Licht und Schatten. Heute habe ich den botswanischen Präsidenten gesprochen. Botswana ist sozusagen der Leuchtturm, das Flaggschiff. Dieser Staat zeigt: es geht!
Ein Land, nahezu ohne Korruption, mit perfekten guten wirtschaftlichen Rahmendaten und einem Präsidenten, der sprüht vor Reformen, demokratische Strukturen. Es gibt auch Länder und Staaten, die uns ein Leuchtturm sind und die uns Hoffnung machen, dass auch in anderen afrikanischen Staaten diese in die Erfolgsspur kommen.
"Der unsägliche Dienst an der Waffe für die eritreische Jugend muss beendet werden"
May: Jetzt kommen aber die meisten Menschen, so schön das natürlich für Botswana und auch für Äthiopien sein mag, eben nicht aus diesen Ländern, sondern vor allem aus autoritär regierten Ländern wie zum Beispiel Eritrea, wo Sie auch schon waren, nach Europa, und es gibt immer noch ziemlich viele Eritreas in Afrika.
Müller: Das stimmt. Deshalb habe ich zum zweiten Mal vorgestern den eritreischen Präsidenten besucht. Dort läuft im Augenblick ein, man kann schon sagen, historischer Friedensprozess zwischen Äthiopien und Eritrea ab. Nach 35 Jahren Kampf, Gegnerschaft und Feindschaft hat der neue äthiopische Präsident einen sensationellen Schritt unternommen und Eritrea die Hand gereicht und ein Friedensabkommen geschlossen. Die Grenzen sind offen.
Äthiopien ist eigentlich die große Überraschung. Ich bin begeistert, was der neue Premierminister dort auf den Weg gebracht hat. Er hat Tausende von Häftlingen, politische Häftlinge freigelassen. Er leitet Reformen ein, auch Wirtschaftsreformen. Ich habe ihm gesagt, wir unterstützen ihn, insbesondere beim Friedensschluss mit Eritrea.
Von Eritrea erwarten wir - das habe ich dem Präsidenten sehr deutlich gesagt - klare innenpolitische Reformen. Das heißt, dieser unsägliche Dienst an der Waffe für die eritreische Jugend, der sich zum Teil bis zu zehn Jahre ausdehnt, der muss beendet werden. Auch Eritrea muss den Weg in Richtung demokratische Strukturen gehen. Dann erhoffe ich mir auch, dass wir die Flucht der eritreischen Jugend über den Sudan nach Europa stoppen können, dass auch viele Eritreer wieder zurück können. Da sind schon sehr positive Signale, was sich da die letzten Monate getan hat.
May: Sie haben es gerade gesagt: Sie erhoffen sich das von Eritrea. Noch mal: Der Friedensschluss - das geht ja in die positive Entwicklung -, das geht ja alles von Äthiopien aus. Bisher macht der eritreische Präsident keine Anstalten, sich auch in Richtung Demokratie zu entwickeln.
Müller: Ja. Aber Eritrea, die Jugend in Asmara hat klare Erwartungen, dass ein vergleichbarer Weg wie in Äthiopien gegangen wird. Denn nun sind die Grenzen offen, die Familien können wieder zueinander. Man muss sich das vorstellen wie damals der Mauerfall in Deutschland. Ost und West, so ist Eritrea sozusagen die Schwester und der große Bruder wieder zusammen. Der Druck wird sich aufbauen auf den Staats- und Regierungschef, in Eritrea einen ähnlichen Weg zu gehen.
May: Dennoch: Fluchtursachen bekämpfen - kommen wir auf Ihren Marshall-Plan für Afrika zu sprechen -, das allein, das wird ja eine Mammutaufgabe.
"Afrika ist der Kontinent der Ressourcen"
Müller: Ja, klar! Deshalb rücken wir Afrika neu in den politischen Fokus. Die Kanzlerin startet übermorgen auf eine Westafrikareise. Ich werde sie in Ghana treffen am Donnerstag. Und ich führe weitere Gespräche in Simbabwe mit dem neuen Präsidenten, aber auch mit der Opposition. Auch dort gibt es die Chance zu einem Change.
In vielen afrikanischen Staaten, auch in Ghana, wo die Kanzlerin dann ist, gab es in den letzten Jahren Wahlen und einen Regierungsübergang von einem Präsidenten zum anderen ohne Gewalt, und das sind auch Zeichen der Hoffnung. Sehen wir nicht so schwarz in Richtung Afrika, sondern tun wir das uns Mögliche.
Deutschland geht voran, die Kanzlerin. Ich versuche, was wir machen können. Nun kommt es aber auch darauf an, dass die Europäer, dass Europa, die Europäische Union versteht, eine neue Partnerschaft mit Afrika zu begründen. Im Übrigen liegen große Chancen auch für die deutsche Wirtschaft auf diesem Kontinent. Das ist der Kontinent der Ressourcen. Das habe ich in Mosambik jetzt gesehen. Hier sind Chinesen, Indien, Japan, die Amerikaner; nur die Deutschen sind nicht hier. Wir lassen auch viele Chancen liegen.
In Botswana hat dies ein deutscher Unternehmer zwischenzeitlich begriffen, der ein Automobil-Zulieferwerk aufgebaut hat mit bereits 2.400 Beschäftigten. VW hat vor drei Wochen eine Produktion in Ruanda aufgenommen. Es gibt sehr viele positive Signale, wirtschaftliche Stärkung und den Menschen hier eine Perspektive zu geben.
"Die EU hat hier bisher wesentlich zu wenig getan"
May: Angenommen Afrika entwickelt sich jetzt wirklich nach vorne, beobachten Migrationsforscher seit langem einen anderen Effekt. Wenn sich ein Entwicklungsland wirtschaftlich nach vorne entwickelt, positiv entwickelt, dann verlassen erst einmal noch mehr Menschen das Land, einfach weil sie die wirtschaftlichen Möglichkeiten dazu haben.
Müller: Ja. Aber der Umkehrschluss wäre, dass wir die Menschen verhungern lassen und im Dunkeln zurücklassen. Wir können die Probleme insgesamt des Bevölkerungswachstums natürlich nicht durch Zuwanderung nach Europa lösen. Aber wir können und müssen auf der anderen Seite in diesen Herkunftsländern wesentlich mehr investieren, Technologiepartnerschaft, Arbeitsplätze, Ausbildung, Bildung, Zukunft für die junge Generation. Hier kann Europa enorm viel und mehr leisten. Wer Mauern bauen will und Grenzen und Zuwanderungsbeschränkung zum Ziel hat, der muss auch umgekehrt in den Herkunftsländern sein Engagement wesentlich verstärken. Nicht nur Deutschland. Die Europäische Union hat hier bisher wesentlich zu wenig getan. Der Investitionshaushalt ist viel zu gering. Und ganz besonders: Wir müssen den Handel fair gestalten, und hier liegen viele offene Fragen auf der Tagesordnung.
May: Der Entwicklungsminister der Bundesrepublik Deutschland, Gerd Müller von der CSU, fordert mehr Engagement für Afrika, und da haben wir ihn auch erreicht, und zwar in Botswana. Herr Minister, vielen Dank für das Gespräch.
Müller: Herzlichen Dank nach Deutschland.
May: Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.