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Bekannter iranischer Dissident und Schriftsteller Hossein Ali Montazeri soll nach fünf Jahren Hausarrest freigelassen werden

Morgen oder übermorgen schon soll er frei gelassen werden. Irans berühmtester Dissident, Groß-Ayatollah Hoseyn Ali Montazeri, wurde 1997 unter Hausarrest gestellt, weil er die religiösen Führer des Landes kritisierte. Jetzt wird der 80-jährige „aus gesundheitlichen Gründen“ aufgehoben – der Tod Montazeris unter Haussar-rest, so die Befürchtung, könnte die schwelenden Proteste gegen die iranische Regierung wieder anfachen. Die Entscheidung des obersten Sicherheitsrates wird also auch interpretiert als Erfolg von Chatamis reformerischen Bemühungen gegen die iranischen Hardliner.

Navid Kermani im Gespräch | 27.01.2003
    Frage: Welche Position nahm der Kleriker innerhalb der religiösen Führungsschicht damals ein und was machte ihn noch als alten Mann für die Regierung so gefährlich?

    Kermani: Hossein Ali Montazeri ist der Lehrer von all den konservativen Führern, die im Augenblick im Iran herrschen. Er hat in den 70er Jahren entscheidend die Doktrine des islamischen Staates mit entwickelt. Er gehörte also damals zu den Hardlinern innerhalb der revolutionären Bewegung. Als er dann sah, dass die Revolution nicht ihre Ziele erreichte, als die Menschenrechte verletzt worden sind, als auch die Armen ausgebeutet worden sind, distanzierte er sich immer mehr. Er äußerte Kritik. Das gipfelt 1989 in einem sehr harten Brief an den damaligen Revolutionsführer Khomeini, dessen Nachfolger er werden sollte. In diesem Brief sagte er, dass die islamische Revolution alles verraten hat, wofür sie gestanden hat. Daraufhin wurde entlassen, aller Ämter enthoben. 1997 wurde er schließlich unter Hausarrest gestellt.

    Frage: Er war ja selbst mit diesem Bann noch eine einflussreiche Figur. Zuletzt protestierte er im April 2001 in einem sehr ausführlichen Brief gegen eine Welle von Verhaftungen, die größtenteils auch seine Anhänger aus dem liberal-religiösen Flügel betrafen und hat, was Sie gerade sagten, Despotismus, Folter und auch die Unterdrückung anders Denkender aus dem Bann gegeißelt. Welche Einflussmöglichkeiten haben heute solche Positionen im Iran?

    Kermani: Solche Positionen haben sehr großen Einfluss. Montazeri hat sehr viele Anhänger unter dem Zirkel und gerade auch in der Armee, die immer noch für Revolution sind, aber meinen, dass er den falschen Weg gegangen sei. In den ärmeren Schichten geht die Anhängerschaft von Montazeri in die Millionen. Er ist als Groß-Ayatollah theologisch höher als der jetzige Revolutionsführer Chamenei. Sein Wort hat großes Gewicht. Deshalb hat man ihn unter Hausarrest gestellt. Man hat vor allem auch seine Söhne verhaftet, immer wieder seine Anhänger verhaftet. Die Dinge, die man sich nicht traute, mit ihm zu machen, hat man mit seinen Anhängern gemacht. Einige wurden hingerichtet. Montazeri erinnert die jetzigen Herrscher an die Zeit, wo sie begonnen haben. Denn er war ja ihr persönlicher Lehrer.

    Frage: Betrachten Sie denn jetzt seine Freilassung als eine Art Feigenblatt-Aktion oder könnte damit diese Position grundsätzlich noch gestärkt werden?

    Kermani: Montazeri ist schwer krank. Man weiß gar nicht, wie lange er noch leben kann. Sein Sohn ist sehr besorgt. Ich glaube, die Herrschenden haben Angst, dass in der Haft stirbt. Denn dann wäre er ein Märtyrer. Märtyrer haben in der schiitischen Tradition eine große Bedeutung. Die Herrschenden haben einfach Angst, dass er ihnen in der Haft wegstirbt und dann seine Bedeutung über den Tod hinaus noch wachsen könnte.

    Frage: Wie könnte ein Iran aussehen, der seine Position ernst nimmt?

    Kermani: Ein Iran, das diese Position ernst nimmt, wird es, so glaube ich, gar nicht geben, weil Montazeri noch für eine Vereinigung von Staatenreligion steht. Er steht für eine liberale Vereinigung, dafür, dass der Islam nicht so einflussreich ist. Im Augenblick geht es darum, ob es gelingt. Es ist der Versuch der jetzigen Regierung, Demokratie und Islam zu verbinden. Wenn das nicht gelingt, und im Augenblick spricht manches dagegen, dann wird eine langfristige Entwicklung sicher auf eine tiefgreifenden Säkularisierung hinauslaufen, die Montazeri sicherlich nicht wollte.

    Vielen Dank für diese Einschätzungen!

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