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Bekenntnis zum Wettbewerb

Köhler: Auch der Staatspräsident Herr Claus sagt, dass der Verfassungsvertrag jetzt ratifiziert werden muss. Also, das ist unbestritten und das ist ja ein weiterer historischer Meilenstein für die europäische Integration. Aber er ist in Einzelfragen skeptisch, er sorgt sich insbesondere über die Basis der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Union insbesondere in Bezug auf Tendenzen, zu viel zu regulieren, zu viel, aus seiner Sicht, der Zentrale in Brüssel oder den großen Ländern zu überlassen. Und ich glaube, bei allem, was man vielleicht nicht unbedingt so teilen muss, man sollte sorgfältig hinhorchen, denn eines teile ich, Europa wird nur gelingen und die Menschen werden ein Gefühl bekommen, was Europa eigentlich ist, wenn sie immer wissen, dass das, was unmittelbar für sie erfahrbar ist, also vor Ort, dass das nicht gestört wird durch Europa, dass dort Europa hilft und nicht hindert.

    Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler im Januar 2024 während der Holocaust-Gedenkstunde im Deutschen Bundestag
    Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler im Januar 2024 während der Holocaust-Gedenkstunde im Deutschen Bundestag (picture alliance / dts-Agentur)
    DLR: Sie haben gerade im Zusammenhang mit Europa auch immer den Wettbewerb betont. Man hat ja den Eindruck, dass Sie da mit Claus auf ein und derselben Linie liegen. Muss der Wettbewerb doch so knallhart sein, wie er sich bei Opel gerade abspielt?

    Köhler: Nun, wir sind ja nun keine Wettbewerbsfetischisten im Sinne, dass wir denken, Wettbewerb ist ein Selbstzweck. Aber es sollte, glaube ich, niemanden überraschen, dass gerade in einem Land wie Tschechien, das eben Jahrzehnte unter Kommunismus, Staatsplanung gelitten hat, dass das jetzt ein durchaus positives Verhältnis zu Freiheit hat, auch zu Marktwirtschaft und damit zu Wettbewerb. Und das finde ich positiv. Zweitens, man sollte auch nicht unterschätzen, bei allem guten Willen, was wir über Europa uns ausdenken mögen, es gibt mindestens 3 Milliarden Menschen, die viel weniger gut dastehen als die Europäer oder die Menschen in der Europäischen Union. Denen wird kein Mensch mehr verbieten können, dass sie durch eigene Anstrengung, durch eigenen Fleiß, durch eigene Ideen, sozusagen Produkte, Waren und Dienstleistungen anbieten. Und wir müssen eben beweisen, dass wir besser sind in bestimmten Bereichen, um unseren Lebensstandard sichern zu können. Um das geht es bei der Frage des Wettbewerbs, nicht um Kälte. Wenn wir diese Art des Wettbewerbs nicht schaffen, also ihn bewältigen, werden noch mehr Arbeitsplätze verloren gehen. Und ich darf auch darauf hinweisen, Wettbewerb ist eigentlich als Idee, eine ganz große Idee, nämlich die Suche nach den besten Lösungen. Die kann kein Staat verordnen. Am Ende gibt es genug historische Erfahrung, dass durch Wettbewerb man bessere Lösungen findet und deshalb bin ich auch positiv zum Wettbewerb.

    DLR: Wie soll man mit den sozialen Konsequenzen umgehen, denn Wettbewerb bedingt ja das Ausscheiden von Unternehmen und damit eben auch Arbeitslosigkeit.

    Köhler: Als erstes muss man mit der Wettbewerbsfähigkeit beginnen, wenn das Kind noch nicht im Brunnen liegt. Das heißt dafür sorgen, dass man in guter Zeit dafür sorgt, dass man eben, wenn es härter wird, schon vorbereitet ist. Das wurde zum Beispiel in Deutschland auch jetzt im Zusammenhang mit der Diskussion um die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie offensichtlich versäumt. Man hat Jahre vergeudet, um sich rechtzeitig auf Wettbewerbsfähigkeit vorzubereiten und da sind sicherlich Managementfehler zu benennen, aber jeder muss sich ein bisschen an der Nase ziehen, in welchem Umfang er dazu beigetragen hat, dass man eben die guten Zeiten nicht genutzt hat, sich vorzubereiten auf die Phase, wenn der Wettbewerb härter wird.

    DLR: Und die kleinen Leute, wie Sie sagen, sind die Opfer.

    Köhler: Die kleinen Leute sind offensichtlich oft das Opfer und deshalb muss man eben rechtzeitig offen das ansprechen, weil die kleinen Leute natürlich auch im Sinne sozusagen der Lohnverhandlungen, der Weiterbildung, auch der Bereitschaft in Forschung und in Entwicklung mitzumachen, motiviert werden müssen. Ich sehe hier weniger das Problem kleine Leute, große Leute, ich sehe mehr das Problem, dass sowohl von der Managementebene als auch von der Politik, die Frage, wie Arbeitnehmer motiviert werden, nicht genügend Aufmerksamkeit bekommt. Und zweitens und vielleicht noch wichtiger wie Arbeitnehmer natürlich wie Arbeitnehmer durch Bildungs-, Fortbildungsmaßnahmen trainiert werden, vorbereitet werden auf solche Herausforderungen wie heute.