Archiv

Bekenntnisse eines Bündnis-Grünen
Robert Habeck und sein Politikverständnis

Wer wird der männliche Spitzenkandidat der Bündnis-Grünen für die Bundestagswahl im kommenden Jahr? Um diese Position bewerben sich aktuell bei der Mitgliederbasis Parteichef Cem Özdemir, Bundestags-Fraktionschef Anton Hofreiter - sowie der schleswig-holsteinische Umwelt- und Agrarminister Robert Habeck. Und letzterer will sich nun pünktlich zum Auftakt der Kandidatenkür mit einem Buch auch bundesweit vorstellen.

Von Ulrike Winkelmann |
    Dieses Buch ist für drei Zielgruppen geschrieben: Für die Journalisten, die derzeit über die Kür der bündnis-grünen Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl berichten. Für die grünen Parteimitglieder, die an dieser Urwahl teilnehmen. Und für diejenigen, die sich für Politiker-Biografien interessieren.
    Robert Habeck, der grüne Agrar- und Umweltminister aus Schleswig-Holstein, möchte sie alle mitnehmen: Die politischen Meinungsbildner, die Parteibasis und die sonstigen Aufmerksamen. Habeck will Spitzenkandidat seiner Partei im Bundestagswahlkampf werden, dazu unternimmt er derzeit mit seinen Konkurrenten eine Art Roadshow durch die Republik.
    Sein Buch "Wer wagt, beginnt" ist Habecks begleitendes Selbst-Empfehlungsschreiben zu diesem Spektakel. Wer sich für die Grünen-Kandidatenkür nicht interessiert, mag das Buch als authentisch wirkenden Einblick in die Gedankenwelt eines Politikers lesen, dem der Idealismus noch nicht ganz abhandengekommen ist.
    Politisiert vom Tschernobyl-GAU
    Der 47-Jährige beschreibt seinen politischen Werdegang nach dem Muster eines deutschen Entwicklungsromans: Der Zögling bricht auf in die wilde Welt der Politik und lernt, was dort das Menschsein ausmacht.
    "Mein Bedürfnis, mich politisch zu engagieren, entstammte also dem Impuls, gegen etwas zu sein […]. Man ist gegen Krieg, gegen Nazis, gegen Windräder, gegen Fracking oder Kohlekraftwerke, und sucht sich Verbündete. […] Übernimmt man dann Verantwortung, wird aus dem Protest schnell eine Realität, die Positives wollen muss. Denn etwas abzulehnen bedeutet, etwas anderes zu bejahen. Wer gegen Atomkraft ist, hat die Wahl zwischen Windkraftanlagen oder Wohlstandsverzicht. Wahrhaft politisch zu sein bedeutet, Entscheidungen zu treffen. Und jede Entscheidung hat Folgen und Konsequenzen, die wieder neue Schwierigkeiten und Fragen aufwerfen."
    Habeck ist Jahrgang 1969, und wie so viele seiner Generation hat ihn der atomare GAU in Tschernobyl 1986 politisch geprägt. Er studierte nach dem Zivildienst während der 90er-Jahre in Freiburg, Roskilde und Hamburg Philosophie und Germanistik. Er lernte, dass es erst einmal einer Menge Mut bedarf, sich vor Menschen hinzustellen und eine Rede zu halten, dass man sich Selbstbewusstsein aber auch antrainieren kann.
    Scheitern als Erfahrung
    Beim Urwahl-Auftritt vor wenigen Tagen, Ende Oktober in München, war dieses Training sofort zu hören. Robert Habeck:
    "Das, was ich mitbringe, was ich anbiete, ist, Entscheidungen zu treffen. Und ich kann euch sagen, da kommt man nicht raus, ohne sich die Hände schmutzig zu machen. Ausbau von Windkraftanlagen, Rückdrängung von Maisanbau, Ausbau von Ökolandwirtschaft - immer gab es Diskussionen, immer gab es Demonstrationen dagegen. Aber am Ende des Tages gelang es immer, eine Mehrheitsfähigkeit für jeweils die grüne Entscheidung herzustellen. Und das ist das, was ich will: Eine Mehrheitsfähigkeit für unsere Position über unser eigenes Milieu hinaus zu erreichen, so zu argumentieren - und das, glaube ich, bedeutet Regierungserfahrung eigentlich, nicht dass man weiß, wie man Gesetze schreibt und die durch ein Parlament bringt - sondern dass man weiß, dass seine eigene Politik die Wirklichkeit verändert, und dass man den Menschen in die Augen gucken muss, auch wenn sich die Wirklichkeit verändert hat. Und dass man von vornherein so argumentieren und streiten muss, dass sie das Argument sehen und nach Möglichkeit auch noch teilen."
    Das macht den Kandidaten wie den Autoren Habeck aus: Er beschreibt die Dynamik des Politischen, wie Entscheidungen gemacht werden, er hebt hervor, dass alles eine Geschichte hat, die auch hätte anders verlaufen können. Seine Forderungen und Versprechen schmettert er nicht in den Saal sondern zieht es vor, seine Argumente eher zu erzählen. Und er betont, wie schnell man scheitern kann:
    "2005 erlebte ich meinen ersten Wahlkampf in verantwortlicher Position. Ich war gerade Landesvorsitzender in Schleswig-Holstein geworden. Wir Grünen gaben eine Parole aus: 'Wir gewinnen die Wahl mit drei Zahlen!' Ich glaube, es waren 30 Prozent erneuerbare Energien, 20 Prozent natürliche Gewässer und 15 Prozent Vorrangflächen für Naturschutz. Wir verloren die Wahl. Und zwar wenig überraschend. Man gewinnt keine Wahlen mit Zahlen. Wir haben Zustände kommuniziert, keine Erzählung."
    Nun ist das Motiv des Narrativs, ohne das keine politische Idee vermittelbar ist, gerade der letzte Schrei in der gängigen Politik-Analyse. Doch Habeck ist zugute zu halten, dass er sich hier schon früh Meriten erworben hat - und das nicht von ungefähr: Bevor er in die Politik einstieg, arbeitete er mit seiner Frau Andrea Paluch als Schriftsteller.
    "Während ich mit Claudia Roth oder Reinhard Bütikofer telefonierte, heulte drinnen mein Jüngster, weil er seinen Kakao vergossen hatte. Meine Frau, die eigentlich dran war mit arbeiten, kam genervt aus dem Arbeitszimmer, um zu sehen, was da los war, sah mich mit dem Handy draußen vor der Eingangstür stehen und den Kleinen bekleckert im Wohnzimmer. Ich hielt den Hörer zu und rief ins Haus: 'Ich mach das gleich.' Den Vogel, den sie mir zeigte, sehe ich noch heute."
    "Das Private ist gerade nicht politisch"
    Kapitel für Kapitel vernäht Habeck eine Anekdote aus seinem privaten oder vorpolitischen Leben mit einer Begebenheit aus seinem Ministerdasein in Schleswig-Holstein, destilliert daraus eine politische - und meist auch philosophische Botschaft. Dass er manche ökologische Konsumregel selbst nicht durchhält - Stichwort: Plastik statt Jute - nutzt er als Vorlage dafür, den Dauervorwurf des Moralismus zu zerlegen, mit dem die Grünen zu kämpfen haben:
    "Wir sind Menschen, wir sind nicht perfekt. Wir sind müde, faul, gestresst, vielleicht geizig, von der Werbung verführbar. […] Aber […] wir wollen eben auch Anderes, Besseres. Und ich glaube, wir wollen es, weil wir nicht perfekt sind. Eben weil wir fehlerhaft sind, wächst in uns der Wunsch nach einer besseren Welt und der Wunsch, für eine solche zu kämpfen. Das ist es, was den Raum des Politischen absteckt! Das macht den Sinn von Politik aus! Und es grenzt ihn vom Privaten ab. Das Private ist gerade nicht politisch."
    Teils gerinnen ihm die Aussagen allerdings zu biedermeierlich-altklugen Kalenderweisheiten: "Ich muss ausreichende Mehrheiten bekommen, um handeln zu können. Nur schnacken macht die Welt auch nicht besser."
    Und teils verbirgt sich hinter dem ausgestellten Willen zur Offenheit, der erklärten Absage an Kalkül und Intrige auch eine beträchtliche Portion Arroganz - oder jedenfalls das Selbstvertrauen desjenigen, der qua Persönlichkeit und Sprachvermögen doch sonst auch immer vorwärtsgekommen ist. Wo man aber bei Habeck die Grenze vom ehrlichen Bekenntnis zur blanken Naivität überschritten findet - das hängt davon ab, zu welcher der Zielgruppen des Buches man gehört.
    Habecks Konkurrenten in Berlin oder der zynischere Teil des Publikums dürften beim Lesen oft die Augen verdrehen. Viele andere werden in seinem Buch allerdings eine Stimme hören, die es so bei den Grünen noch nicht gegeben hat.
    Robert Habeck: "Wer wagt, beginnt. Die Politik und ich"
    Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 288 Seiten, 14,99 Euro.