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Bekenntnisse von IM Dietrich

„Verdammte Kommunisten“ wurde von einem Westdeutschen verfasst, der als Chef einer Kölner Journalistenschule seine Studenten anderthalb Jahrzehnte unauffällig auf Verwendbarkeit für das MfS prüfte. Doch leider ist das, was Heinz D. Stuckmann alias „IM Dietrich“ nun in einem kleinen Berliner Verlag an „Bekenntnissen“ – so der Untertitel – vorlegt, nach wie vor den konspirativen Regeln seines ehemaligen Arbeitgebers Markus Wolf verpflichtet.

Von Karl Wilhelm Fricke |
    " Sag mir, wo du stehst und welchen Weg du gehst… "

    Ein Song des legendären Ostberliner Oktober-Clubs. Heinz D. Stuckmann hat er seinerzeit so beeindruckt, dass er ihn in seinem Buch heute noch zitiert. Welchen Weg er ging, zeichnet er in seiner politischen Autobiografie „Verdammte Kommunisten – Die Bekenntnisse des IM ‚Dietrich‘“ nach. Titel und Untertitel muten so seltsam an wie das Buch selbst. Sie reflektieren den Weg eines einst arrivierten Journalisten. Reporter bei Gewerkschaftsjournalen, bei der „Zeit“ und beim „stern“, Gründer eines unkonventionellen, gleichwohl anerkannten Ausbildungsinstituts für Journalisten, der „Kölner Schule“, Eigentümer des Gutshofs Schillingsrott im Kölner Nobel-Vorort Rodenkirchen, Geschäftsführer der durchaus lukrativ arbeitenden „Kölner Redaktions- und Verlags-GmbH“ – das alles war Stuckmann. Zugleich verfing sich der inzwischen 84-Jährige in den Netzen der Hauptverwaltung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit. Den Schlusspunkt seiner IM-Karriere setzte der 4. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf:

    Der Angeklagte wird wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zu einer Geldstrafe von 10.000 Deutsche Mark verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

    Das Gericht hielt es für erwiesen, dass Stuckmann als Direktor seiner Kölner Journalisten-Schule rund anderthalb Jahrzehnte lang Namen, Daten und Einschätzungen von Absolventen an die HV A weitergeleitet hat, geeignet als Kandidaten zur Gewinnung von Perspektiv-Agenten. „Tipper“ heißen solche Leute im Geheimdienst-Jargon, sie sind branchenüblich, keine Spezialität der Stasi-Spionage. Aus ihrer Sicht war Stuckmann ein idealer IM – einerseits hatte er Zugriff auf operativ interessante Biographien – andererseits schienen seine häufigen Reisen in die DDR unverfänglich, getarnt als Reisen zur Realisierung journalistischer Vorhaben. Wer nun freilich in Stuckmanns Buch konkrete Enthüllungen erwartet, eine schonungslose Offenlegung seiner Kooperation mit dem Apparat von Markus Wolf, der wird enttäuscht. Der Autor vertuscht mehr, als er preisgibt – ganz im Sinne jenes Stasi-Songs, mit dem sein früherer Chef einst die „Kundschafter“ besingen ließ:

    " Euer Dienst ist die Aufklärung / Namen bleiben geheim / Unauffällig die Leistungen / stets im Blickfeld der Feind… "

    Den Feind, genauer gesagt: den Klassenfeind, den politischen Gegner, hat Stuckmann bis heute im Blickfeld. Geprägt von ursprünglich linksliberaler, später kommunistischer Ideologie, ist ihm die Einsicht, mit seiner Liaison mit der Stasi den falschen Weg gegangen zu sein, nicht gegeben. Gewissenskonflikte sind ihm fremd. Er ist im Gegenteil stolz darauf, dass er zu Wolfs „Kundschaftern im Westen“ gezählt hat. Das belegt auch ein so titulierter Sammelband mit Beiträgen ehemaliger Stasi-Führungsoffiziere und West-Agenten. Heinz Stuckmann hat der Agenten-Anthologie einen Text beigesteuert, der auszugsweise vorwegnimmt, was er in breiter Ausführlichkeit in dem vorliegenden Buch zu Papier gebracht hat. Sie erschien bereits vor drei Jahren in Berlin in der edition ost, die derlei Literatur zu einem Schwerpunkt ihres Verlagsprogramms gemacht hat. Das lädierte Geschichtsbild der Staatssicherheit soll revidiert werden. Als Herausgeber treten häufig ehemalige Generale oder Obristen des MfS in Erscheinung. Verlagsleiter ist – welch‘ ein Zufall – Frank Schumann, bis 1989 leitender Redakteur der „Jungen Welt“ und vom MfS als IM „Karl“ verpflichtet. Stuckmann ist sich und dem Stasi-Milieu treu geblieben. Seine Autobiografie ist Selbstverklärung und Verschleierung. Zeitgeschichtlich seriöse Aufarbeitung bietet sie nicht. Stuckmann war bei der HV A für die Abteilung X unter der Nummer römisch XV arabisch achtunddreißig siebenundsiebzig als Inoffizieller Mitarbeiter – Deckname „Dietrich“ – registriert. Sie war zuständig für Desinformation und Zersetzung. Noch heute erinnert sich der Ex-IM voll eitler Sentimentalität, wie ihm die Stasi zum 60. Geburtstag im Osten eine Feier ausgerichtet hat. Sein Geschenk: die „Verdienstmedaille der Deutschen Demokratischen Republik“ und ein Prämiengutschein über tausend Mark, den er nicht eingelöst haben will. Mit seiner Aufsehen erregenden Festnahme im Januar 1994 hatte ihn seine Vergangenheit eingeholt. Es folgten drei Monate Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Wittlich, bevor er gegen Kaution von der Haft verschont wurde. Im August 1996 wird er schließlich vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf angeklagt. In der Hauptverhandlung verhält er sich stasigemäß – stets im Blickfeld den Feind – in diesem Fall Bundesanwaltschaft und Gericht. Stuckmanns Kommentar:

    Ich stehe zu meiner Aufgabe als IM der HV A, ohne irgendwas zu gestehen, was die nicht wissen. An erster Stelle steht wieder Schweigen! Ich stehe jedoch zu meiner Haltung gegenüber der Deutschen Demokratischen Republik, dem Versuch einer sozialistischen Zukunft, dem Versuch einer besseren Welt. Die Medien, besonders das Fernsehen, müssen den Rezipienten ein Bild von diesem IM vermitteln können, das auch beim Gegner zumindest Achtung erfordert.

    Stuckmann kann anschaulich schreiben, kein Zweifel, das belegt auch sein Buch, nicht selten freilich sinkt er unter sein eigenes Niveau, gleitet ab ins Laszive, artikuliert sich zynisch und vermittelt im übrigen den Eindruck, als wolle er nachträglich noch ein Übersoll an kommunistischer Agitation erfüllen. Sein DDR-Bild ist romantisch illusionär. Die friedliche Revolution anno ‚89 charakterisiert er als „Konterrevolution“. Hier arbeitet einer seine kleinbürgerlichen Komplexe ab und bedient ein naives Klassenkampf- und Feindbilddenken, ohne zu begreifen, wie politisch antiquiert das wirkt. Über die DDR-Opposition der achtziger Jahre räsoniert er:

    Ein anderes Problem schien mir um ein Vielfaches wichtiger. Die Pfaffen wurden frech… Am weitesten wagte sich eine Berliner Gruppe unter Leitung des Pfarrers Rainer Eppelmann mit dem ‚Berliner Appell‘ vor. ‚Frieden schaffen ohne Waffen'…!

    Ohne die historischen Gründe zu verstehen, ist der „Kundschafter“ außer Diensten noch immer irritiert davon, dass die Staatssicherheit damals nicht aggressiver gegen die DDR-Opposition vorgegangen ist.

    Im März 1989 agitierte eine Berliner Gruppe, wieder evangelische Christen, völlig offen gegen den Staat, die ‚Arbeitsgruppe Wahlen‘. Per Flugblätter forderten sie die Bürgerinnen und Bürger der Republik auf, bei der Kommunalwahl im Mai nicht zur Wahl zu gehen. ‚Wie reagiert Ihr da?“, fragte ich den Führungsoffizier. Der reagierte kurz und knapp: ‚Wir arbeiten dran!‘ Zu kurz, zu knapp – das überzeugte mich nicht.

    Stuckmannes Demokratieverständnis ist eben ein kommunistisches. Indem er das Resümee seines Lebens zieht, hadert er mit sich und der Welt.

    Die Schule existiert nicht mehr. Das Gut ist verkauft. Das sozialistische Vaterland ist westdeutsche Besatzungszone. Die Werke meines Lebens sind hin, die Lebenswerke eines langen Lebens … Das Schlimmste: Genossen, namhafte Genossen, die ehemals in entscheidenden Positionen die DDR aufgebaut haben – nun sind sie dem Sozialdemokratismus verfallen.

    Kopfschüttelnd legt der Rezensent das Buch aus der Hand.

    Heinz D. Stuckmann: Verdammte Kommunisten. Die Bekenntnisse des IM Dietrich
    Kai Homilius Verlag Berlin 2006, 309 Seiten, € 19,90