Seit mehr als 30 Jahren wird Belarus von ein und demselben Mann regiert: Alexander Lukaschenko. Am 26. Januar will er sich wiederwählen lassen – zum siebten Mal in Folge. Dass Lukaschenko danach wieder Präsident wird, ist so gut wie sicher. Denn die Wahlen in Belarus gelten schon lange als zweifelhaft und gefälscht.
Für Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine spielt Belarus eine wichtige Rolle. Die Abhängigkeit Lukaschenkos und seines Landes von Russland ist in den vergangenen zwei Jahren noch größer geworden als ohnehin schon. Was sind die Gründe?
In welchem Zustand ist Belarus?
Wirtschaft und Wohlstand befinden sich auf niedrigem Level, die Bevölkerung muss harte Repressionen des Regimes aushalten. Auch Reise-, Meinungs- und Pressefreiheit gibt es höchstens in der Theorie.
Belarus, das zu UdSSR-Zeiten auch als „Weißrussland“ bezeichnet wurde, ist weit davon entfernt, ein Rechtsstaat zu sein. Das zeigt beispielhaft ein Rückblick: Im August 2020 lässt sich Machthaber Lukaschenko zum sechsten Mal zum Präsidenten wählen – mit rekordverdächtigen 80 Prozent. Der aussichtsreichste Oppositionskandidat wurde zuvor aus dem Rennen gezogen. Kurzerhand springt dessen Ehefrau ein: Svjetlana Tichanowskaja.
Als dann Zweifel am angeblichen Wahlsieg Lukaschenkos aufkommen, beginnen Hunderttausende Menschen, auf die Straße zu gehen. Die Bewegung erfasst das ganze Land, angeführt unter anderem von Tichanowskaja. So etwas hatte es in der bis dahin 16-jährigen Amtszeit Lukaschenkos noch nie gegeben. Die Folge: Polizisten knüppeln Demonstrierende nieder, nehmen sogar Passanten fest und sperren sie weg. Über ein Dutzend sterben bei den Protesten 2020. Zehntausende kommen in Haft – manche für Jahre ins Straflager.
Für das belarussische Regime seien die Aufstände so etwas wie eine Nahtoderfahrung gewesen, „ein tiefes Trauma“, sagt der politische Analyst Artyom Shraibman, der im Exil in Polen lebt.
Wirtschaft stagniert
Bis vor etwa 15 Jahren war im Land sogar eine Steigerung des Wohlstands zu beobachten. „Wenn man sich die Kaufkraft eines durchschnittlichen Belarussen anschaut, so befand sie sich 2011 bis 2012 bei 75 Prozent der westlichen Nachbarstaaten Polen, Lettland, Litauen“, sagt Dzmitry Kruk, Wirtschaftsexperte der belarussischen Denkfabrik BEROC, die inzwischen im Ausland sitzt.
Aber seitdem herrsche finanzielle Flaute. „Wir sind stehen geblieben, der Wohlstand ist nicht gewachsen, während er in den anderen Ländern angestiegen ist. Das hat dazu geführt, dass sich die Kaufkraft jetzt im Vergleich irgendwo bei 53 bis 55 Prozent befindet“, erklärt er.
Keine Reisefreiheit
Valery Kavalevski, bis vor kurzem Mitglied des "Übergangskabinetts“, also jener politischen Gruppe, die den Wahlsieg 2020 bis heute für sich beansprucht, sagt, dass Bürgerinnen und Bürger aus Belarus nur schwer in die EU einreisen können. Visa für den Schengenraum seien nicht gut zu bekommen. Und: „Wegen der Sanktionen gibt es keine Eisenbahn- und auch keine Flugverbindungen. Belarussen, die 2020 gegen Lukaschenko demonstriert haben, sind damit quasi eingeschlossen (…).“
Keine Pressefreiheit
Momentan ist es für unabhängige Journalisten fast unmöglich, in Belarus zu arbeiten. Das bestätigt unter anderem Alina Koushyk. Es seien nur noch propagandistische Medien im Land tätig, die dem Regime und Lukaschenko persönlich unterstellt sind, erklärt die Programmdirektorin des in Polen ansässigen belarussischen Exilsenders „Belast TV“.
Abhängigkeit von Russland
In Bezug auf Russland wird Belarus häufig als „Vasallenstaat“ bezeichnet. Denn Lukaschenkos Regime war nahezu von Anfang an auf Russland ausgerichtet, sowohl ideologisch als auch wirtschaftlich. Die ehemalige Sowjet-Republik Belarus hat in Russland schon früh einen Absatzmarkt gefunden. Von Lebensmitteln über Pharmaprodukte bis hin zu Nuklearreaktoren: Der Anteil belarussischer Exporte nach Russland lag 2023 bei fast 65 Prozent. Zudem versorgt Russland Belarus mit billiger fossiler Energie, von der Lukaschenkos Industrie mittlerweile stark abhängig ist.
Politisch folgt Machthaber Lukaschenko dem russischen Präsidenten Putin mehr oder weniger in allen Belangen.
Welche Rolle spielt Belarus in Russlands Krieg gegen die Ukraine?
Militärisch ist die Bedeutung von Belarus für Russland seit dem Angriff auf die Ukraine noch einmal gewachsen. Von belarussischem Gebiet rückten die russischen Soldaten im Februar 2022 auf Kiew vor. In Belarus werden außerdem russische Panzer repariert, Verwundete verarztet und Kampfjets befüllt. Mittlerweile sind dort auch russische Atomwaffen stationiert.
Allerdings befindet sich Lukaschenko in einem Dilemma: Einerseits wird er von Moskau immer wieder unter Druck gesetzt, mehr gegen die Ukraine zu unternehmen und sich klarer zu positionieren. Auf der anderen Seite will der Machthaber aus Belarus es um jeden Preis vermeiden, eigene Truppen in die Ukraine zu schicken. Nicht zuletzt deshalb, weil Russlands Krieg in Belarus eher unpopulär ist, vor allem beim Militär – der Machtbasis Lukaschenkos. Außerdem gilt die belarussische Armee als zu schwach, um aktiv Krieg zu führen. Ein solcher Schritt könnte der Ukraine schließlich die Gelegenheit geben, Belarus ebenfalls anzugreifen. Das könnte dann Lukaschenkos Regime ins Wanken bringen.
Auch wegen Lukaschenkos Unterstützung für Russland hat sich Belarus wirtschaftlich immer mehr isoliert. Sanktionen sorgen dafür, dass Ölprodukte oder Kalidünger nicht mehr in den Westen exportiert werden dürfen. Doch in letzter Zeit sehen Beobachter Anzeichen dafür, dass Belarus seine Abhängigkeit von Russland verringern und zugleich mehr auf den Westen setzen möchte.
Beispielsweise hat Lukaschenko insgesamt 227 politische Gefangene begnadigt. Diesen für ihn eher ungewöhnlichen Schritt erklärt der Despot selbst mit humanitären Gründen – die Gefangenen seien alt und krank gewesen. Analyst Shraibman kauft ihm den Humanismus als Begründung nicht ab. Lukaschenko sei nicht human. Vielmehr erkennt er bei dem Machthaber geopolitische Interessen mit Blick auf ein mögliches zukünftiges Ukraine-Abkommen zwischen US-Präsident Trump und Putin.
„Und bei dieser regionalen Neuordnung will er nicht außen vor bleiben. Sollten die Sanktionen gegen Russland fallengelassen oder teilweise aufgehoben werden, will er, dass auch die Sanktionen gegen ihn aufgehoben werden. Er will bei diesem Verhandlungsspiels mitmachen, und dafür muss er den Weg bereiten. Die Freilassung der politischen Gefangenen ist für ihn der Anfang. Damit signalisiert er, dass er sich am Dialog beteiligen will und dass er bei den Punkten, die dem Westen am Herzen liegen, auch konstruktiv sein kann.“
Wie ist das Verhältnis zwischen Belarus und Europa?
Quasi eingefroren. Die EU-Staaten erkennen Lukaschenko nicht mehr als demokratisch gewählt an. Bereits seit 2010 verhängt die Europäische Union Sanktionen gegen das Land. Mehrmals wegen gefälschter Wahlen, aber auch wegen Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen – z.B. im Zuge der Proteste von 2020. Zwei Jahre später kamen dann erste Strafmaßnahmen wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine hinzu – z.B. der Ausschluss von belarussischen Banken vom internationalen Zahlungssystem SWIFT.
Seit 2023 darf aus der EU keine Luft- und Raumfahrttechnik wie Drohnen nach Belarus exportiert werden, ebenso keine Schusswaffen und Munition. Einer der letzten Staatsbesuche Lukaschenkos in der EU fand 2019 statt – beim damaligen österreichischen Bundespräsidenten Van der Bellen in Wien.
jma