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Belarus
Lukaschenko kapert Flugzeug mit Regierungskritiker an Bord

Belarus hat eine Ryanair-Maschine mit einem Kampfjet abgefangen und zur Landung in Minsk gezwungen. Eine angebliche Sicherheitsbedrohung soll der Grund dafür gewesen sein. Doch dann wurde nach der Landung der Regierungskritiker Roman Protasewitsch abgeführt, der sich unter den Passagieren befand.

Von Florian Kellermann | 24.05.2021
Roman Protasevich addresses the crowd next to a famous Gdansk's Shipyard Gate number 2 on August 31, 2020 during 'Free Poland To Free Belarus' support rally to express the solidarity with Belarusians people (FILE PICTURE). Belarusian authorities forced a Ryanair plane flying from Greece to Lithuania to land in Minsk. Oppositionist Roman Protasewicz, who was arrested, was on board. On Sunday, May 23, 2021 in Dublin, Ireland. (Photo by Artur Widak/NurPhoto)
Belarus hat ein Flugzeug abgefangen und den Oppositionellen Roman Protasewitsch festgenommen (Artur Widak/NurPhoto)
Der 26-jährige Roman Protasewitsch wurde in Belarus mit Haftbefehl gesucht. Die dortigen Behörden werfen ihm unter anderem vor, er habe zu Massenunruhen aufgerufen. Ihm droht eine Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren.
Protasewitsch war bis zum vergangenen September Chefredakteur des Internetprojekts "Nexta". Der zugehörige Telegram-Kanal hatte zu Spitzenzeiten über zwei Millionen Abonnenten. Für die Proteste gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko war der Nexta-Kanal von zentraler Bedeutung. Über ihn koordinierten die Protestierenden ihr Vorgehen.
Belarus - Lukaschenko: Machterhalt per Dekret
Als Vorwand dient ein angeblicher Attentatsversuch: Per Dekret versucht der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko offenbar, seine Macht endgültig zu zementieren und die politische Herrschaft seiner Familie abzusichern. Dabei scheint die russische Regierung involviert zu sein.

"Wir holen euch sogar aus der Luft"

Der Gründer des Projekts "Nexta", Stepan Putilo, ist sicher, dass das belarussische Militär die Passagiermaschine deshalb in Minsk zum Landen gezwungen habe, um seinen ehemaligen Mitarbeiter Protasewitsch festzunehmen. Dem russischen Fernsehsenders "Doschd" sagte er: "Das war eine Spezialoperation, die allen Gegnern von Lukaschenko zeigen soll: Wir schrecken vor nichts zurück. Wir holen euch sogar aus der Luft. Und auch diejenigen, die im Ausland leben, sollen sich nicht sicher fühlen."
Das Portal "Nexta" arbeitet im Exil, von Warschau aus. Zuletzt hatte sich Protasewitsch aber in der litauischen Hauptstadt Vilnius aufgehalten. Dorthin wollte er von einem Griechenland-Urlaub zurückkehren. Die Passagiermaschine, die außerplanmäßig in Minsk landete, war auf der Strecke Athen – Vilnius unterwegs.
Auch die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja fasst die Aktion gegen den Journalisten als Bedrohung gegen alle Oppositionelle auf. In einer Stellungnahme auf Twitter sagte sie: "Von jetzt ist niemandem mehr, der in einem Flugzeug Belarus überquert, die geringste Sicherheit garantiert. Lukaschenko hat einen internationalen Skandal provoziert, indem er die Luftstreitkräfte gegen Zivilisten eingesetzt hat, um eines Menschen habhaft zu werden. Jeder kann sich künftig an der Stelle von Roman befinden."

Lukaschenko gab den Befehl

Belarussische Behörden räumen ein, dass Lukaschenko persönlich den Befehl gab, die Militärmaschine vom Typ Mig-29 einzusetzen, um die Passagiermaschine in Minsk zum Landen zu bringen. Hintergrund sei eine Bombendrohung an Bord gewesen. Sie sei bei den Fluglotsen am Minsker Flughafen eingegangen.
Andrej Gurzewitsch, Vize-Kommandeur der Luftstreitkräfte, sagte gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur Belta: "Die Besatzung des Kampfflugzeuges hat den Auftrag bekommen, die Situation zu kontrollieren und dem Passagierflugzeug im Notfall zu helfen, damit es sicher auf dem Flughafen Minsk-2 landen konnte. Die belarussischen Luftstreitkräfte sind jederzeit bereit, jedwede Gefahr aus der Luft abzuwehren und jedem Flugzeug Hilfe zu leisten, das sich in Not befindet."
Spürhunde konnten allerdings keinen Hinweis auf explosives Material an Bord des Flugzeuges finden. Das belarussische Ermittlungs-Komitee, eine Sonder-Staatsanwaltschaft, leitete wegen der vermeintlichen Bombendrohung Ermittlungen gegen Unbekannt ein.
Gegen 21 Uhr traf das Flugzeug schließlich in Vilnius ein – ohne den in Minsk verhafteten Roman Protasewitsch. Die litauische Ministerpräsidentin Ingrida Simonyte empfing die Fluggäste persönlich. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. In einer Stellungnahme sprach er von einem "schwerwiegenden und gefährlichen" Vorfall und forderte eine internationale Untersuchung.

"Belarussen erwarten ein entschiedenes Handeln und Hilfe"

Allerdings werden auch Stimmen nach sofortigen Maßnahmen laut, so die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja, die sich ebenfalls im litauischen Exil aufhält: "Die Zeit der Erklärungen ist vorbei. Die Belarussen erwarten ein entschiedenes Handeln und Hilfe von der internationalen Gemeinschaft. In dieser Woche ist ein politischer Gefangener im Gefängnis gestorben. Das Oppositionsmedium tut.by wurde zerschlagen, jetzt die Entführung eines Flugzeugs. Das alles geschah, weil das belarussische Regime bisher nicht bestraft wurde."
Auch Litauen fordert Sofort-Maßnahmen. Die NATO und die EU müssten auf die Bedrohung der zivilen Luftfahrt durch das belarussische Regime reagieren, erklärte eine Sprecherin von Präsident Ginanas Nauseda.