Archiv

Belarus-Politik der EU
Krumrey (FES): Öffentlichen Druck auf Lukaschenko aufrechterhalten

Die EU will neue Sanktionen gegen die Führung in Belarus auf den Weg bringen. Das Regime in Belarus habe in der Vergangenheit aber gezeigt, dass es mit Sanktionen umgehen könne, sagte Peer Krumrey, Friedrich-Ebert-Stiftung in Riga, im Dlf. Wirksamer sei es, öffentlichen Druck auszuüben. Osteuropa-Ex

Peer Krumrey im Gespräch mit Manfred Götzke |
Proteste in Minsk, Belarus, am 14. August 2020
Die Proteste auch in den Medien zu halten sei wichtig für die Menschen in Belarus, sagte Peer Krumrey von der FES in Riga (AFP / Sergei Gapon)
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn hat die Situation in Belarus im Deutschlandfunk als Staatsterrorismus bezeichnet:
"Was sich in diesem Land abspielt, ist Staatsterrorismus. Ein brutales Vorgehen gegen die Regeln und auch die natürlichen Gesetze einer freiheitlichen Gesellschaft. Das ist Diktatur"
Tagelang ließ Machthaber Alexander Lukaschenko friedliche Demonstranten niederknüppeln, festnehmen und offenbar in den Gefängnissen misshandeln. Das berichten jedenfalls die Menschen, die heute Nacht überraschend wieder freigelassen wurden, etwa 1.000 der 7.000 Inhaftierten sollen es sein. Nach vier Nächten der Gewalt gegen die Bewegung scheint das ein erstes Einlenken Machapparats zu sein. Alexander Lukaschenko soll damit auf die Proteste von Beschäftigten in den Staatsbetrieben des Landes reagiert haben.
Bei einem Sondergipfel beschlossen die Außenminister der Europäischen Union, neue Sanktionen gegen Unterstützer des Staatschefs Alexander Lukaschenko auf den Weg zu bringen. Zudem soll es Strafmaßnahmen gegen Personen geben, die für eine Fälschung der Präsidentenwahl verantwortlich gemacht werden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell werde nun eine entsprechende Liste vorbereiten, hieß es.
Ein Mann vor der luxemburgischen Fahne
Luxemburgischer Außenminister: "Was sich in Belarus abspielt, ist Staatsterrorismus"
Luxemburgs Außenminister Asselborn hat sich für einen härteren Kurs der EU gegenüber Belarus ausgesprochen. Man könne die Demokratie in Belarus nicht von außen herstellen, aber Druck ausüben, sagte er im Dlf.
Das folgende Interview fand vor der Einigung der EU-Außenminister auf gezielte Sanktionen statt.
Manfred Götzke: Peer Krumrey leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung für die baltischen Staaten in Riga – und ich habe ihn kurz vor der Sendung gefragt - warum sich die Balten als Vermittler besonders anbieten?
Peer Krumey: Die tun genau das, was man eigentlich von einem aktiven EU-Mitglied erwarten kann. Das ist für sie nahe Nachbarschaftspolitik. Es gibt eine ganze Reihe von engen Verbindungen zwischen den drei Staaten – ich bin ja vor allem für die beiden baltischen Staaten zuständig. Wir haben drei Aspekte, auch vor dem Hintergrund, wie sich diese Politik erklärt. Das ist einmal eine enge kulturelle, geschichtliche Verbindung zwischen den Ländern – ich meine, man muss sich einfach klarmachen, die waren lange innerhalb von einem Staatengefüge, das ist nicht nur die Sowjetzeit gewesen, sondern auch in der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Dann haben wir einen Identitätsaspekt drin, Stichwort, hier ist der baltische Weg. Man guckt natürlich aus der Perspektive der baltischen Staaten, okay, da ist eine Freiheitsbewegung, das interessiert sie, und dann gibt es auch die sicherheitspolitischen Aspekte, und hier ist der Elefant im Raum mal ganz klar Russland. Vor diesem Hintergrund müssen die drei baltischen Staaten tatsächlich hier aktiv werden, wenn sie in der EU Gehör finden wollen.
Baltischen Staaten seien vom Konflikt überrascht worden
Götzke: Über den Elefanten im Raum sprechen wir gleich noch, aber wie könnte sich diese Vermittlungsrolle darstellen, zum Beispiel heute beim Außenministertreffen?
Krumey: Na ja, Litauen, die hier wirklich im Driving Seat sitzen, haben da tatsächlich schon die Agenda gesetzt. Ich glaube, man muss sich aus deutscher Perspektive klarmachen, dass die baltischen Staaten auch gar nicht so eine klare Position zum Konflikt hatten, auch die sind ein bisschen überrascht worden. Natürlich wusste man, dass da eine Wahl ansteht, natürlich wusste man, dass Lukaschenko ziemlich sicher fälschen würde, aber ich glaube, von der Intensität der Entwicklung sind sie auch überrascht worden. Deswegen treten die Staaten jetzt auch nicht mit einem klaren Forderungskatalog bei diesem Gipfel heute an, aber es ist ja auch schon ein Erfolg, dass dieser Gipfel auf Initiative des litauischen Staatspräsidenten Nauseda überhaupt zustande kam. Von daher, mein Argument wäre hier, die drei baltischen Staaten und vor allem Litauen können vermittelnd wirken, innerhalb der EU, gar nicht mal so sehr in dem Konflikt zu Weißrussland, Entschuldigung, Belarus. So würde ich es stehen lassen.
"Taktik einer niederschwelligen Herangehensweise wahrscheinlich die beste"
Götzke: Der litauische Präsident, Sie haben gesagt, es gibt keine Forderungen, aber einen Drei-Punkte-Plan, der wurde schon vor ein paar Tagen vorgelegt: Ende der Gewalt, Freilassung der festgenommenen Oppositionellen, und drittens müsse das Regime den Dialog mit seinen Bürgern, also mit den unterschiedlichen Gruppen, aufnehmen. Das ist durchaus sehr vage formuliert. Will man da einfach sehr niederschwellig in Vermittlung und Verhandlung einsteigen, oder besteht die Angst, das Land komplett an Russland zu verlieren?
Krumey: Sowohl als auch. Ich glaube, es gibt eine lange Erfahrung mit dem Staat Belarus und dem Regime dort. Herr Lukaschenko hat gezeigt, dass er durchaus bereit ist, gewaltsame Proteste niederzuschlagen, und es danach immer eine Stabilisierung des Regimes gegeben hat, das heißt, man ist sich seiner begrenzten Einflussmöglichkeiten bewusst. Sanktionen werden nicht so prominent verhandelt, weil man sich klar ist, dass das eine mittelfristige Sache ist und dass die in der Vergangenheit auf die Falschen getroffen haben, und man hat relativ geringe Einflussmöglichkeiten. Das mag auf der individuellen und wirtschaftlichen Ebene vielleicht anders sein, aber ich glaube, man ist sich seiner eher doch schlechten Karten bewusst und man möchte einfach im Gespräch bleiben. Deswegen ist diese Taktik mit einer doch eher niederschwelligen, wie Sie es genannt haben, Herangehensweise wahrscheinlich sogar die beste.
"Regime kann mit Sanktionen umgehen"
Götzke: Es wird ja heute auch über Sanktionen diskutiert werden bei den Außenministern der Europäischen Union, da geht es ja vor allem um Sanktionen gegen Lukaschenko selbst und seine Nomenklatura, vom Einfrieren von Konten ist da zum Beispiel die Rede. Wird das Lukaschenko abschrecken?
Krumey: Das ist natürlich die Königsfrage. Ich persönlich denke eher nicht. Das Regime hat in der Vergangenheit gezeigt, dass es mit Sanktionen umgehen kann. Wir dürfen ja auch nicht vergessen, dass vor nicht allzu langer Zeit tatsächlich auch Sanktionen aus der EU da waren. Ich glaube, der Schritt zurück wird nicht eine große Wirkung entfalten auf das Lukaschenko-Regime, kann ich mir nicht vorstellen. Was ich, glaube ich, wichtiger finde bei dem Außenministergipfel heute, ist, dass es das klare Ziel gibt, den öffentlichen Druck aufrechtzuerhalten, sozusagen die Proteste auch in den Medien zu halten. Ich glaube auch, dass ein Stück weit die baltischen Politiker von der Entwicklung, wie ich vorhin noch gesagt habe, überrascht worden sind, und das lässt sich an seiner Sache ganz interessant ablesen: Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics hat am Montag noch direkt nach der Wahl getwittert: Na ja, Sanktionen ist eigentlich kein Mittel, wir wollen ja Belarus nicht in die Arme Russlands treiben. Den Tweet hat er in der Zwischenzeit gelöscht und hat vorgestern jetzt getweetet: Okay, personalisierte Sanktionen sind ein Weg vorwärts, wir müssen jetzt irgendwie auch die Bewegung in Belarus unterstützen. Daran sieht man dann auch, die Position der baltischen Staaten ist auch noch im Fluss.
"Regime Lukaschenko hat durchaus Druckmittel"
Götzke: Sie haben anfangs ja auch schon die wirtschaftlichen Verknüpfungen so ein bisschen angedeutet. Der litauische Präsident sagte in dem Zusammenhang auch, die engsten Nachbarn von Belarus einschließlich Litauen brauchen ein stabiles, demokratisches, unabhängiges und erfolgreiches Land in ihrer Nachbarschaft. Wie eng sind denn die baltischen Staaten mit Belarus auch ökonomisch verknüpft?
Krumey: Das ist relativ schwierig zu beantworten. Man muss sich natürlich bewusst machen, es ist eine EU-Außengrenze, es ist eine gut gesicherte Grenze, und trotzdem gibt es verschiedene Möglichkeiten des Grenzübertritts. Zwischen Litauen und Belarus zum Beispiel gibt es diesen 50-Kilometer-Korridor, das heißt, es werden relativ frei Visen verteilt. Es gibt wirtschaftliche Verknüpfungen, der komplette Fracht- und Logistikverkehr aus Litauen läuft nach Russland, läuft über Belarus. Man muss sich also auch klarmachen, dass auch hier das Regime Lukaschenko durchaus Druckmittel hat, weil in den letzten Jahren hat es eine Annäherung an EU-Standards gegeben, und die kann man natürlich auch wieder zurücknehmen. Deswegen, auf einer individuellen Ebene sind die Kontakte, glaube ich, schon ganz gut, auf der staatlich-politischen nicht so.
Ich würde aber hier noch einen Punkt machen, den man in diesem Zusammenhang auch nicht vergessen wird: Gitanas Nauseda, der Präsident in Litauen, ist seit letztem Sommer im Amt und hat eine Reihe von innenpolitischen Auseinandersetzungen bisher verloren. Das heißt, für den ist es auch eine hervorragende Möglichkeit, sich jetzt als Außenpolitiker ein bisschen zu profilieren, und das muss man dann da ja auch mitdenken, wenn solche doch recht markigen Worte in die Öffentlichkeit gebracht werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.