Unterwegs an Südfinnlands Schärenküste. Wassertaxikapitän Matti Nieminen rast in hohem Tempo durch das Insellabyrinth, er kennt diesen Teil der Ostsee wie seine Westentasche. Dieses Mal ist die gebürtige Russin Olga Hannonen sein Passagier. Sie wollen hinaus zu einer mysteriösen Insel, die Finnland in Aufruhr versetzt hat.
Ankunft bei der Insel Säckilot, langsam lenkt Nieminen sein Boot steuerbord an einen der Stege. Bis vor kurzem war die Insel noch im Besitz eines reichen Russen, jetzt steht sie samt ihren Nebeninseln zum Verkauf. Nieminen schaut sich verwundert um: "Hier ist Platz für mindestens 100 Leute. Aber an einer völlig entlegenen Stelle, ohne jede Verbindung zur Außenwelt. Das ist wirklich merkwürdig."
Razzia auf Privatinsel mit Helikopter-Landeplatz
Noch merkwürdiger: Auf Stangen gepflanzte Überwachungskameras begrüßen die Besucher. Doch sie sind abgeschaltet. Im September 2018 stürmten Spezialeinheiten der finnischen Polizei die Insel. Offiziell ging es bei der Razzia um den Verdacht der Steuerhinterziehung. Tatsächlich aber ging es wohl um mehr. Das luxuriöse Anwesen mit mehreren kleinen Nebeninseln, Dutzenden Gebäuden, auffällig vielen Bootsstegen und einem Helikopterlandeplatz hatte bei manchen Sicherheitsexperten die Alarmglocken schrillen lassen. Sollte hier ein geheimer russischer Spionagestützpunkt errichtet werden? In unmittelbarer Nähe verläuft die strategisch wichtigen Ostseeroute vom Finnischen Meerbusen gen Westen.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Europas Immobilienmärkte - Kaufen, bauen, ausgrenzen.
Olga Hannonen geht kopfschüttelnd an Saunahütten vorbei, die mit Flecktarn abgedeckt sind und versucht, durch die dunklen Fenster einen Blick in die Wohnhäuser zu werfen. Immer wieder zückt sie ihr Handy und macht Fotos. Die junge Soziologin der Universität von Ost-Finnland ist hierher gekommen, weil sie über russische Ferienhausbesitzer in Finnland forscht. Sie wollte anhand dieses Themas untersuchen, was Finnen und Russen übereinander denken. Und nur jeder fünfte finnische Ferienhaus-Besitzer gab an, Kontakt mit russischen Nachbarn zu haben.
Das Misstrauen sitzt tief
Auch wenn der Besitzer dieser Insel, ein gebürtiger Russe mit maltesischem Pass, jedwede Verbindung zur Regierung in Moskau bestritten hat: Dass Misstrauen zwischen Finnen und russischen Ferienhaus-Besitzern sei tiefer denn je, sagt Hannonen:
"In letzter Zeit ist das Thema zunehmend mit sicherheitspolitischen Fragen verknüpft worden. Besonders nachdem, was auf der Krim passiert ist. Man darf dabei nicht vergessen, dass das finnisch-russische Verhältnis durch die Geschichte belastet ist. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Russland ja einen Teil Finnlands annektiert."
Unter dem sogenannten "Winterkrieg" gegen die Sowjetunion 1939 hatte besonders der östliche Landesteil Karelien zu leiden. Finnland musste Teile Kareliens abtreten. Heute wirkt der finnisch-russische Grenzübergang bei der Stadt Imatra friedlich und entspannt. An den Wochenenden rollt hier der Grenzverkehr in beide Richtungen. Autos mit finnischen Kennzeichen sind die Ausnahme, jene mit russischen Kennzeichen eher die Regel: Die meisten Russen, die hier die Grenze überqueren, wollen beim finnischen Nachbarn bloß im Supermarkt einkaufen. Andere möchten sich an einem der zahllosen Seen nach einem Ferienhaus umschauen.
"Wir Finnen können auch keine Immobilien in Russland kaufen"
Das beobachtet auch Suna Kymäläinen seit Jahren mit Misstrauen. Die 43-jährige Sozialdemokratin, seit 2015 Abgeordnete im finnischen Parlament, ist im finnisch-russischen Grenzgebiet aufgewachsen. Wieder und wieder hatte sie für eine Einschränkung des Immobilienerwerbs durch Russen geworben. Besonders im Grenzgebiet könnte das ein Sicherheitsrisiko sein. Nach der Aufregung um die Insel Säckilot hat die Regierung im vergangenen Jahr Beschränkungen beschlossen. Kymäläinen lächelt zufrieden:
"Die Regierung hat nun immerhin festgelegt, dass Käufer aus Nicht-EU-Staaten eine Ausnahmegenehmigung brauchen, wenn Sie ein Haus oder Grundstück in der Nähe von sicherheitsrelevanten Orten wie Militäreinrichtungen oder Funkmasten kaufen möchten. In der Regel wird das aber in Zukunft verboten sein. Im übrigen sollten wir die russische Seite auf das Prinzip der Gegenseitigkeit hinweisen. Denn wir Finnen können ja auch keine Immobilien oder Grundstücke am Ladoga-See oder sonst wo in Russland kaufen."
Trotzdem weiter um gute Nachbarschaft bemüht
Offiziell jedoch ist Finnland darauf bedacht, den mächtigen Nachbarn nicht zu sehr zu reizen. Beim Besuch des russischen Präsidenten Putin in Helsinki im August vergangenen Jahres etwa wurde der Streit um russischen Immobilienbesitz offiziell ausgeklammert. Ob hinter den Kulissen darüber geredet worden ist, wurde nicht bekannt.
Wissenschaftlerin Olga Hannonen hat die Reaktionen ihrer russischen Landsleute in Finnland verfolgt. Auch wenn die Ablehnung unter finnischen Nachbarn zunehme, empfänden die Russen nach wie vor eine große Wertschätzung für ihr Gastland. In einer Facebookgruppe, in der sich russische Ferienhausbesitzer in Finnland austauschen, hat Hannonen die Reaktionen auf die Diskussionen beobachtet:
"Diejenigen, die bereits ein Haus in Finnland besitzen, haben keine Angst davor, dass die Behörden ihnen ihren Besitz wegnehmen. Sie haben ein sehr positives Bild von Finnland, und sie glauben, dass diese Angelegenheit rechtsstaatlich gelöst wird."
Russischer Eigentümer mit Sammelleidenschaft für Inseln
Doch die Furcht der Finnen vor einer russischen Unterwanderung durch zu viele ausländische Eigenheimbesitzer bleibt. Der unter Verdacht geratene russische Besitzer der Insel Säckilot hat in einem Interview die Verdächtigungen gegen ihn zurückgewiesen und angegeben, bloß eine Sammelleidenschaft für Inseln zu besitzen. Und er hatte auch eine Antwort auf die Frage, warum er neun überdimensionale Stege für seine Insel bauen ließ: Er schwimme eben gerne von einem Steg zum anderen.