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Belastungsprobe

Wie das Öl sich im Golf von Mexiko immer weiter ausbreitete, so sind die Auswirkungen der Ölkatastrophe mittlerweile weit über die USA hinaus zu spüren. Der angeschlagene Konzern BP spielt vor allem in Großbritannien eine wichtige Rolle - für den Staat, die Kultur und sogar die Renten. Auch eine Diskussion um die weltweit stattfindenen Tiefseebohrungen ist entbrannt.

Von Bettina Klein, Dagmar Röhrlich, Stephan Lochner |
    Miami Beach im Südosten Floridas. Strandleben am Atlantik, wie aus dem Bilderbuch. Wie jeden Tag. Die Tourismus-Branche ist zufrieden: 15 Prozent mehr Touristen als noch im vergangenen Jahr sind gekommen. Das Öl ist weit weg. Im Golf von Mexiko. Kommt die Rede auf BP, verfinstern sich in Miami dennoch die Minen. Kristian verleiht Sonnenschirme - etwa an Bee, einen Urlauber aus Baltimore:

    "Sie haben nicht schnell genug reagiert, und die Auswirkungen auf den Ozean waren furchtbar. Also, ich denke nicht, dass die ihre Sache besonders gut machen."

    "Ich glaube nicht, dass es vorbei ist, das Öl wird weiter austreten, den Ozean hat es schwer getroffen, eine furchtbare Tragödie für unseren Kontinent."

    Zweieinhalb Stunden mit dem Auto von Miami entfernt, einmal quer über die Halbinsel Florida, liegt Naples im Süden der Golfküste. Am belebten Pier stehen die Angler dicht an dicht. Im Wasser schwimmt eine Pelikanfamilie. Mit sauberem braunen Gefieder. Mit Öl verschmierte, verängstigte Pelikane, wie man sie wochenlang im Fernsehen gesehen hat, findet man hier nicht. Aber gerade diese Bilder ärgern Chip besonders. Er betreibt gemeinsam mit Ehefrau Michelle eine angesehene Immobilienagentur an der 5th Avenue, der eleganten und malerischen Hauptstraße von Naples. Drei Wochen lang hätten sie im Fernsehen immer dieselben verölten Pelikane gezeigt. Es sei furchtbar für die Tiere, sagt Chip, aber der Eindruck, der dadurch entstehe, so sehe es in ganz Florida aus, sei einfach falsch. Und schlecht fürs Geschäft. Denn von Naples aus sind es noch immer 350 Meilen bis zur am stärksten verschmutzten Gegend. Das Öl wird vielleicht niemals hierher gelangen, doch die Folgen sind heute schon spürbar, beschreibt Chip:

    "Das ist jetzt die Sommersaison, wenn wir die Europäer und Südamerikaner hier haben. Viele wollen einfach die schönen Strände genießen. Viele wollen aber auch Immobilien kaufen - was unser Geschäft ist - und da haben wir einen drastischen Rückgang des Interesses. Sie kommen nicht, oder wenn sie kommen und sogar nach Immobilien schauen, dann verschieben sie die Entscheidung, bis sie wissen, was mit dem Öl ist."

    Das wollen auch die Bewohner von Naples wissen. Dass sie es wirklich erfahren, daran glauben viele längst nicht mehr. Mit der Angel in der Hand lehnt Pauline am Geländer des Piers:

    "Man kann nicht alles glauben, was man hört, genauso wenig wie man sonst alles glaubt. Vielleicht geben sie ihr Bestes, ich weiß es nicht. Sie sagen jetzt, sie haben es unter Kontrolle. Aber von Anfang an haben sie doch nicht die Wahrheit gesagt. Wie viel Öl in den Golf austritt und was sie auffangen. Also: Wem glauben Sie?"

    Kent Wells ist bei BP Senior Vice President für Exploration und Produktion. Tag für Tag - außer sonntags - versorgt er auf Telefonkonferenzen die Journalisten aus aller Welt mit Informationen zum technischen Stand. Meist klingt er tatkräftig, optimistisch, manchmal ein wenig genervt. Und der Mann mit der Glatze liebt es, immer wieder ein neues Kaninchen aus dem Hut zu zaubern und die Journalisten zu erstaunen. Sein neuester Clou: der Static-Kill - die x-te Methode eine Ölquelle zu stopfen:

    "Ihr werdet wahrscheinlich sagen, meine Güte, davon haben wir ja noch nie etwas gehört. Und das ist wohl aus gutem Grund so, denn dieses Verfahren steckt noch in den Kinderschuhen ... ."

    In der vergangenen Woche ist es gelungen, in etwa 1500 Meter Tiefe ferngesteuert eine neun Meter hohe High-Tech-Verschlusskappe auf die havarierte Macondo-1-Bohrung zu setzen, den Ölfluss ins Meer zu stoppen. Seit Donnerstag sind alle Ventile an der Anlage geschlossen – und nun arbeitet die Fantasie der BP-Techniker wieder. Man möchte einen weiteren Versuch mit schwerem Bohrschlamm wagen und eine Mixtur aus Schwerspat und Hämatit ins Bohrloch pressen, um den Ölfluss endgültig zu verstopfen. Ende Mai war ein Ähnliches Experiment fehlgeschlagen: der sogenannte Top-Kill.

    "Der große Unterschied zwischen diesem Statischen Kill und diesem Top Kill damals ist, dass wir damals den Schlamm mit immensem Druck gegen das ausströmende Öl in das Bohrloch pressen mussten. Diesmal würden wir sehr viel weniger Druck brauchen, um gegen das im Rohr stehende Öl anzupumpen. Es wäre etwas vollkommen anderes."

    Ausprobiert worden ist die Methode in dieser Tiefe noch nie. Aber es hört sich einfach an, wenn Kent Wells es erklärt. Genauso einfach wie der Bottom-Kill. Der würde auf den Static-Kill folgen, sollte dieser versagen. Als derzeit letzter Weg ein außer Kontrolle geratenes Bohrloch zu schließen.

    Anders als bei den vorherigen Versuchen würde beim Bottom-Kill das Loch dabei nicht von oben, sondern von unten verschlossen. Mithilfe einer Entlastungsbohrung. Gerade wird an zweien gearbeitet. Die eine wurde jetzt in sicherem Abstand zum Öl-Loch gestoppt und wird erst weitergehen, wenn die andere versagt. Diese wird zurzeit von der Plattform Development Driller III aus vorangetrieben:

    "Um mal die Dimensionen sich vor Augen zu halten, zwischen dem Personal, das den Bohrer bedient, und dem Ziel, wo man hin will, liegen immerhin fast sechs Kilometer. Wenn sie mit einem Flugzeug fliegen, und Inlandflüge fliegen in dieser Höhe, dann wäre das so, als wenn sie aus dem Flugzeug heraus da unten mit dem Bohrer eine Rohrleitung treffen, die unten auf der Erde liegt und 20 Zentimeter Durchmesser hat",

    Beschreibt Matthias Reich, Tiefbohr-Ingenieur von der TU Freiberg, den ehrgeizigen Plan. Die Bohrmannschaft der Development Driller IIII hat das Kunststück fast schon vollbracht: Ihre Bohrung steht kurz vor dem Ziel. Die letzten Vorbereitungen laufen: Gegen Monatsende soll die Macondo-Bohrung unter dem Meeresboden mit einer Fräse geöffnet werden. Ist die Öffnung gesichert, wird dann von der Entlastungsbohrung aus mit hohem Druck schwerer Bohrschlamm ins Nachbarrohr gepresst:

    "Je mehr von dieser schweren Spülung in die havarierte Bohrung gelangt, desto höher ist auch das Gewicht dieser schweren Spülung im aufsteigenden Strang. Und irgendwann mal ist soviel von dieser Kill-Spülung im aufsteigenden Strang, dass das Öl einfach nicht mehr die Kraft hat, das Ganze vor sich herzuschieben. Und dann wird das Öl sozusagen wieder zurück in seine Lagerstätte gedrängt."

    Anschließend wird das Ganze mit Spezialzement verschlossen, und dann ist die Havarie Geschichte - falls Kent Wells' jüngstes Kaninchen, der Static-Kill, nicht schon zuvor zum Erfolg führt. Allerdings ist noch offen, ob BP für den Static-Kill die Genehmigung erhält. Derzeit sieht es zwar so aus, als ob die Macondo-Bohrung die Havarie gut überstanden hat. Aber sicher sind sich die Experten nicht. Deshalb laufen etliche Messungen, um den Zustand des Bohrlochs zu erfassen. Denn Erfolg oder Misserfolg der Entlastungsbohrung hängt davon ab, dass das Bohrloch den Druck aushält, mit dem der Schlamm eingepresst werden soll:

    "Dann könnte sich in dem Bohrloch nämlich ein sehr großer Druck aufbauen, und falls es schon vorgeschädigt ist, könnte es untertägig platzen, und danach würde dann der Meeresboden aufreißen, und dann käme das Öl nicht mehr unkontrolliert aus einem Rohr raus, sondern vielleicht großflächig aus dem Meeresboden."

    Ursprünglich war mit Rücksicht auf das arg geprüfte Bohrloch geplant worden, das Verschlusssystem nach 48 Stunden wieder zu öffnen, das Öl in die wartenden Tanker zu pumpen und die Bohrung nur dichtzumachen, wenn ein Hurrikan die Schiffe zum Rückzug zwingt. Aber weil immer noch nicht klar ist, in welchem Zustand sich Macondo-1 befindet, genehmigte Admiral Thad Allen bislang täglich, die Versiegelung noch einmal 24 Stunden länger aufrechtzuerhalten – damit noch länger gemessen werden kann.

    Während sich die Einsatzkräfte am Golf von Mexiko von Tag zu Tag hangeln, in der Hoffnung auf baldigen Erfolg, ist die Geduld mit dem Ölkonzern an vielen Orten längst erschöpft. Auch im Heimatland des Konzerns:

    Tumulte vor der Tate Britain in London. Ein paar Dutzend schwarz gekleidete und vermummte Frauen und Männer ziehen auf das berühmte Museums-Gebäude am Ufer der Themse zu. In den Händen tragen sie kleine Fässer mit dem BP-Logo, gefüllt mit einer zähflüssigen dunklen Brühe, die sie schließlich vor dem Haupteingang auskippen. Auf die schwarze Pampe lassen sie künstliche weiße Federn rieseln.

    Die kleine Inszenierung einer Ölkatastrophe – sie ist eine von zahlreichen Protestaktionen, die Londoner Künstler gegen British Petroleum initiiert haben. Denn BP gehört im Großbritannien zu den wichtigsten Kultursponsoren. Jüngst haben sich 170 Kunstschaffende und Umweltaktivisten in der linksliberalen Zeitung "The Guardian" in einem offenen Brief gegen die Förderung zahlreicher Einrichtungen wie des Britischen Museums, der Royal Opera oder der National Gallery durch den Ölkonzern ausgesprochen. Der Konzern wolle sich dadurch nur eine weiße Weste verpassen.

    Eine Argumentation, der sich viele Künstler anschließen – doch längst nicht alle. Führende Köpfe der Kulturwelt betrachten die mehrere Millionen Pfund schwere Unterstützung durch BP als lebensnotwendig. Der frühere Vorsitzende des britischen Kunstrates, Christopher Frayling, etwa hält Boykottaufrufe für gefährlich:

    "Wir sind vielleicht nicht besonders gut im Fußball – und vielleicht machen wir auch in Wimbledon keine sonderlich gute Figur. Aber in der Kunst sind wir weltweit führend. Und einer der Gründe ist unsere sehr interessante Art der Kunstfinanzierung. Ohne große Unternehmen gerät dieses System ins Wanken. Es ist jetzt wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um über so etwas nachzudenken."

    Es ist aber nicht nur das Kultursponsoring. Der Ölgigant spielt im sozialen und kulturellen Leben Großbritanniens eine Schlüsselrolle. Premier David Cameron hat das in den vergangenen Wochen immer wieder klargemacht:

    "BP ist ein wichtiges Unternehmen. Es ist wichtig für die Renten in Großbritannien. Es beschäftigt Tausende Menschen, und es zahlt viel Steuern in Großbritannien."

    Allein im vergangenen Jahr hat die BP-Zentrale in London Steuerbescheide über umgerechnet sieben Milliarden Euro bekommen. Und obwohl Fachleute vorrechnen, dass das Unternehmen wegen der Kosten der Ölkatastrophe in den kommenden Jahren weniger an den britischen Fiskus überweisen wird, dürften die Summen gewaltig bleiben. Von weltweit rund 80.000 BP-Beschäftigten arbeiten 10.000 im Vereinigten Königreich. Und die meisten britischen Pensions-Fonds haben in den Ölgiganten investiert – weshalb viele aktuelle und künftige Rentner gerade um ihre Altersvorsorge bangen.

    Aber auch die Politik beobachtet die Krise des Konzerns mit Sorge. Aus gutem Grund: Dem Konzern gehören entscheidende Teile der britischen Energie-Infrastruktur – darunter ein Pipeline-System, das 50 Öl- und Gasfelder in der Nordsee miteinander verbindet. Im Klartext: Es geht im Fall BP nicht um irgendein x-beliebiges privates Wirtschaftsunternehmen – sondern um die Energiesicherheit des Landes. Großbritannien und die Europäische Union dürften es aus taktischen Gründen nicht zulassen, dass BP untergeht oder Opfer einer feindlichen Übernahme wird, meint Friedbert Pflüger. Der CDU-Politiker ist zurzeit Gast-Professor für internationale Politik am Londoner Kings College:

    "Wir wollen doch nicht alles nur aus ein oder zwei Ländern bekommen. Und deshalb darf nach der ökologischen Katastrophe, die wir im Golf von Mexiko erleben, die wir kritisieren und für die BP natürlich zahlen muss, darf es nicht eine geopolitische Katastrophe geben. Das wäre dann, wenn etwa die Chinesen oder die Libyer dieses ernorm leistungsstarke, große europäische Unternehmen kaufen würden und dann die strategischen Interessen der Europäer einfach nicht mehr genutzt werden könnten!"

    Die Gefahr einer feindlichen Übernahme gilt zurzeit als sehr groß. Seit der Explosion der Ölplattform "Deepwater Horizon" im April hat BP zeitweise umgerechnet mehr als 80 Milliarden Euro an Börsenwert verloren. Mehr als die Hälfte seines Gesamtwertes. Inzwischen hat sich der Aktienkurs zwar wieder etwas erholt, der Verlust liegt "nur" noch bei einem Drittel. Doch noch immer sind Anteilsscheine sehr billig zu haben, was bei Konkurrenten naturgemäß Übernahmefantasien weckt.

    Das Management von BP sucht daher nach Möglichkeiten, schnell an Geld zu kommen, um die Milliardenbelastungen durch den Kampf gegen die Ölpest abzufedern. Deshalb versucht die Konzernführung zum einen Vermögenswerte zu verkaufen – etwa Öl- und Gasfelder, Raffinerien oder Tankstellen. Zum anderen wirbt sie um neue Investoren. Eine Strategie, die viele Fachleute für vernünftig halten – etwa der Londoner Wirtschaftsexperte Charlie Parker. Er könnte sich vor allem für ein Engagement von Investmentfonds aus arabischen Golfstaaten erwärmen:

    "Diese souveränen Vermögensfonds – im Grund genommen die finanziellen Flügel der Regierungen im Nahen Osten – haben Milliarden an Bargeld, die darauf warten, investiert zu werden. Und sie investieren langfristig. Sie haben ein Interesse daran, mehr Öl auf der Welt zu kontrollieren – und die aktuelle Situation bietet ihnen die Möglichkeit dazu!"

    An eine Pleite von BP glaubt der Fachmann Charlie Parker nicht. Denn auch wenn das Desaster im Golf von Mexiko schon Milliarden gekostet hat und noch viele weitere kosten wird, handelt es sich bei genauerem Hinsehen um vergleichsweise harmlose Summen. Im laufenden Jahr wird der Konzern trotz allem umgerechnet mindestens 15 Milliarden Euro Gewinn machen – außerdem hat er große Beträge auf der hohen Kante. Während britische Tageszeitungen seit Wochen vom nahenden Untergang des Konzerns schreiben, denkt Parker: Das wird schon wieder. Mehr noch: Er sagt BP eine glänzende Zukunft voraus, ob mit dem jetzigen BP-Chef Tony Hayward – oder seinem möglichen Nachfolger:

    "Die Fachwelt ist sich einig, dass BP überleben und wieder auf den Wachstumspfad zurückkehren wird. Und: Dass der Wert des Unternehmens letztlich nicht mehr an der PR-Katastrophe gemessen werden wird, die sich gerade in Amerika abspielt, sondern am Wert des Öls, das BP kontrolliert. Und der ist natürlich gewaltig!"

    Denn der Konzern besitzt Felder oder Beteiligungen unter anderem in Kolumbien, Venezuela, Vietnam, Ägypten, dem Jemen und Russland. Und schon im August soll ein weiteres großes Projekt starten. Die Ölförderung in 1734 Metern Wassertiefe vor der Küste Libyens. 2007 feierte BP den Abschluss des 900-Millionen-Dollar Pakts als "bisher größten Fördervertrag".

    Weder die Ölkatastrophe vor der amerikanischen Küste noch die politischen Spannungen, die wegen des Libyen-Deals gerade zwischen den USA und Großbritannien herrschen, werden den Beginn wohl verzögern. Denn in Tiefseebohrungen wie die vor der libyschen Küste setzen die Ölkonzerne große Hoffnungen.

    "Die aufwendigste Bohrung, die es zurzeit gibt, ist vor Brasilien. Da wird in 2000 Metern Wassertiefe noch einmal 5000 Meter tief in den Untergrund gebohrt. Das ist auch die teuerste, die wir haben, weltweit im Offshore-Bereich. Aber das kostet trotz alledem nur ungefähr zehn Dollar pro Barrel, das Öl dort zu produzieren, und verkauft wird es eben für 70 Dollar pro Barrel",

    sagt Klaus Wallmann vom IFM-GEOMAR in Kiel. Vor Brasilien läuft der Ölrausch gerade auf Hochtouren. Derzeit startet der brasilianische Ölkonzern Petrobras die Ölförderung aus 2000 Metern Wassertiefe.

    Von Zurückhaltung oder einem Moratorium bei der Tiefsee-Ölförderung gibt es also keine Spur. Dabei ist seit der Anhörung der Konzerne vor dem US-Repräsentantenhaus klar, dass keines der in den USA tätigen Unternehmen in puncto Sicherheit seine Hausaufgaben gemacht hat. Die Bohrtechnik selbst ist nicht das Problem, sagt Wilhelm Dominik, Erdölgeologe von der TU Berlin. Schließlich seien in den vergangenen 20 Jahren mehr als 4000 Tiefwasserbohrungen erfolgreich zu Ende gebracht worden:

    "Die Explorationstechnologie und die Produktionstechnologie sind sehr, sehr weit fortgeschritten. Sie ist auch sicher, wir können da von 99,99 Prozent Sicherheiten sprechen. Die Explorationsbohrungen bringt man gut runter und auch die Produktionsbohrungen. Ist überhaupt kein Problem. Man hat vergessen, die Havarietechnologie zu entwickeln für den Schadensfall."

    Dass das vernachlässigt worden sei, daran trügen auch die Regierungen eine Mitschuld:

    "Die Havarietechnologie, die hat man versäumt auch von politischer Seite vorzugeben, bevor man nämlich in diese Tiefwasserregionen vordringen durfte beziehungsweise Explorationslizenzen vergeben hat."

    Obwohl Wilhelm Dominik selbst als Wissenschaftler gerne auf dem Gebiet der Tiefseebohrungen forscht, hofft er doch darauf, dass der Unfall vor der amerikanischen Küste zu einem internationalen Moratorium führt: Dann wäre Zeit, erst einmal in Ruhe die Sicherheitslücken zu schließen. Dass die erste Tiefsee-Havarie die USA traf, war, seiner Meinung nach Glück:

    "Direkt vor Haustür, da gibt es die notwendigen Firmen, die auch eine schnelle Entwicklung, wie wir sie ja gerade sehen, durchführen können. Es sind in der Zwischenzeit 44.000 Menschen im Einsatz, Hunderte von Schiffen und Helikoptern, das würde am Ende der Welt nicht so einfach möglich sein, eine solche Havarie zu beenden."

    Deshalb fordert Wilhelm Dominik, dass unter anderem bei jeder Bohrung die Absaugglocken und Pumpen für den Ernstfall ebenso bereitstehen müssen wie das normale Verbrauchsmaterial. Die Technik sei aber nicht die alleinige Lösung. Dass es überhaupt zu einer Katastrophe solchen Ausmaßes kam, ist für die Experten die Folge vieler Lässlichkeiten und Unzulänglichkeiten, Fehleinschätzungen von Warnzeichen, hierarchischer Betriebsabläufe und falscher Prioritäten. Deshalb ist die wichtigste Lehre aus der Deepwater Horizon-Havarie wohl die, die die Nuklearindustrie nach Tschernobyl ziehen musste: Die Sicherheitskultur fehlt. So trauten sich die Verantwortlichen vor Ort anscheinend nicht, riskante Aktionen zu verweigern. Aber auch wenn kein Schlendrian einreißt, jeder immer kritisch mitdenkt und es nach Vorbild der Nuklearindustrie räumlich strikt voneinander getrennte Sicherheitssysteme gibt, die nach unterschiedlichen Prinzipien funktionieren und gleich mehrfach vorhanden sind - ein Restrisiko wird bleiben, wie bei jeder Technologie.
    BP-Chef Tony Hayward gibt sich bei der Anhörung vor dem US-Kongress zerknirscht.
    BP-Chef Tony Hayward gab sich bei der Anhörung vor dem US-Kongress zerknirscht. (AP)
    BP pumpt Schlamm in das Öl-Leck
    Die Top-Kill-Methode, bei der Schlamm in das Öl-Leck gepumpt wurde, scheiterte. (AP)
    Präsident Obama informiert sich bei seinem Besuch über die Lage im Golf von Mexiko
    Präsident Obama informiert sich bei einem Besuch über die Lage im Golf von Mexiko. (AP)