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Belgien
Angst vor wachsendem Antisemitismus

Nach den Anschlägen auf das jüdische Museum in Brüssel diskutiert Belgien wieder verstärkt über Antisemitismus. Die Politik tut zu wenig dagegen, kritisiert die jüdische Gemeinde. Eltern haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu schicken.

Von Benedikt Schulz |
    Belgische Polizisten am Samstag, dem 24. Mai 2014 vor dem Jüdischen Museum in Brüssel, wo ein Unbekannter mindestens drei Menschen erschossen hat.
    Belgische Polizisten vor dem Jüdischen Museum in Brüssel. (EPA/OLIVIER HOSLET)
    Es ist eine Tat, die Belgien erschüttert hat. Am Samstag hatte ein bewaffneter Mann im jüdischen Museum in Brüssel das Feuer eröffnet. Drei Menschen, ein Touristenpaar aus Israel und eine Französin werden getötet, ein weiterer Mann schwer verletzt.
    "Die belgische Regierung ist von diesem Drama tief schockiert. Wir verurteilen diese extreme Gewalt scharf. Es wurde ein sehr symbolischer Platz getroffen: das belgische jüdische Museum."
    Der belgische Ministerpräsident Elio di Rupo deutet an, was viele sofort denken: die Tat hat einen antisemitischen Hintergrund. Die belgische Innenministerin Joelle Milquet will das zunächst nicht bestätigen. Sie kündigt aber an, den Polizeischutz für jüdische Einrichtungen im Land zu verstärken. Am Montag dann stufen die Behörden die Tat als terroristischen Akt ein. Jetzt ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft.
    Die Rue Minimes im Brüsseler Stadtteil Ixelles gestern Mittag – vor dem Museumseingang stehen mehrere Kamerateams und warten. Das Museum war nach dem Terrorakt geschlossen worden und sollte heute eigentlich wieder öffnen. Doch das wurde kurzfristig abgesagt, wegen der laufenden Ermittlungen. Vor dem Eingang Absperrzäune, dahinter haben Menschen Kerzen, Blumen und Botschaften niedergelegt. Auf einem Zettel steht: "Tu ne tueras point" – Du darfst nicht töten. Eine junge Belgierin kommt, um einen Strauß Blumen abzulegen. Das sei das Mindeste, was sie als Einwohnerin dieser Stadt tun könne.
    Judenfeindliche Ansagen im Zug
    "Es fühlt sich seltsam an, wenn so etwas in der Stadt passiert, in der du lebst. Wenn du Radio hörst, dann fühlt es sich so weit weg an, aber dann realisierst du, dass es näher ist, als man denkt. Ich will nicht darüber urteilen, bevor nicht wissen, was wirklich passiert ist, aber ja: ich glaube, dass wir ein Problem mit Antisemitismus haben."
    "Die Emotionen sind immer noch sehr stark. Ich bin sehr traurig, aber ich bin auch sehr wütend. Und es gibt große Angst. Eltern haben Angst, ihre Kinder in die Schule zu bringen, weil der Mörder noch frei herumläuft."
    Viviane Teitelbaum sitzt in ihrem Büro in der Brüsseler Innenstadt. Die ehemalige Präsidentin des Zentralkomitees jüdischer Organisationen in Belgien ist Abgeordnete im Brüsseler Parlament – und sie hat ein Buch über den Antisemitismus in Belgien geschrieben.
    "Ich habe viele Solidaritätsbekundungen von außerhalb der jüdischen Gemeinde bekommen. Und sie waren alle tief erschüttert, aber auch überrascht, das so etwas passiert ist. Und ich habe viele Nachrichten aus der jüdischen Gemeinde bekommen. Sie waren auch erschüttert, aber überrascht waren sie nicht. Alle haben gesagt, wir haben das kommen sehen."
    Der Antisemitismus in Belgien sei in den letzten Jahren immer größer geworden, sagt Teitelbaum. Zu Beginn des Jahres war in einem Zug nach Brüssel die Lautsprecherdurchsage zu hören. "Sehr geehrte Damen und Herren, wir erreichen Auschwitz. Alle Juden werden gebeten, auszusteigen und eine Dusche zu nehmen." Die Kommunikationsanlage war manipuliert worden, die Täter sind bis heute nicht gefasst. Teitelbaum meint, die Gesellschaft Belgiens habe sich an den Antisemitismus gewöhnt – Schuld daran seien auch die Politiker des Landes.
    Vor dem Museum ist inzwischen Albert Gigi eingetroffen. Der Rabbi der jüdischen Gemeinde in Brüssel bleibt vor dem Absperrzaun stehen. Er spricht leise. Er sei traurig und bestürzt, sagt er.
    "Aber, wissen Sie, es ist wichtig, dass wir keine Angst haben. Wir müssen weiter leben wie zuvor, wir dürfen nichts an unseren Werten, Traditionen und Gewohnheiten ändern, um die Terroristen nicht siegen zu lassen."