"Ich bin ein Mensch. Und was immer ich auch getan habe – ich bleibe ein Mensch. Und deswegen sage ich: Gewährt mir Sterbehilfe!"
So Frank van den Bleeken im vergangenen Jahr in einem Interview mit dem belgischen Fernsehen. Dass dem 50-Jährigen dieses Recht auf Sterbehilfe nun zugesprochen wurde, sei eigentlich eine gute Nachricht sagt Nicolas Cohen, Rechtsanwalt und Vize-Präsident der belgischen Sektion des Observatoire international des prisons. Schließlich kämpfe die Organisation dafür, dass Häftlinge dieselben Rechte erhalten, wie jene, die frei sind:
"Dass die Sterbehilfe aber nur deswegen gewährt wird, weil die Person, um die es hier geht, keine Behandlungsangebote in einem belgischen Krankenhaus erhält – und deswegen so verzweifelt ist und nur noch sterben will – das ist ein totales Versagen des belgischen Verwahrungssystems, das schon seit vielen Jahren kritisiert wird."
Van den Bleeken sei zu dem Antrag auf Sterbehilfe geradezu gedrängt worden – das ist ein Vorwurf, der seit der Entscheidung vergangene Woche häufig zu hören ist.
Nicht zum ersten Mal rücken die Zustände in den belgischen Gefängnissen in den Fokus: Mehrfach haben in den letzten Jahren unter anderem der Europarat und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bedingungen in den Haftanstalten gerügt. Besonders schlecht vorbereitet sei das System auf Personen, die wegen psychischer Erkrankungen schwere Straftaten begehen, wie nun auch der Fall van den Bleeken zeigt.
Nachdem dieser in den 80er-Jahren mehrere Sexualdelikte begangen und eine junge Frau ermordet hatte, erklärten ihn die Richter für unzurechnungsfähig und ordneten eine Zwangseinweisung an.
Doch wegen der geringen Zahl an geeigneten Behandlungsangeboten wurde van den Bleeken in einer herkömmlichen Gefängniszelle untergebracht. Dabei hatte er in den letzten Jahren um eine Therapie gebeten – und sich selber als Gefahr für die Gesellschaft bezeichnet.
"Bei der Zwangseinweisung soll nicht eine Strafe das Verhalten der Person ändern – sondern eine Behandlung. Und diese Behandlung muss durch Ärzte in einem Krankenhaus oder aber in einer speziellen, geschlossenen sozialen Einrichtung erfolgen. Bevor sie aber in solche Einrichtungen kommen, landen viele Betroffene erst mal im Gefängnis und vegetieren dort Jahre lang vor sich hin. Und wie der Fall van der Bleeken zeigt, haben sie dort nur wenig Hoffnung darauf, dass sich an ihrer Situation etwas ändert."
Zuletzt war van der Bleeken mit einem Antrag zur Überstellung in eine niederländische Spezialeinrichtung zur Behandlung seiner psychischen Störung gescheitert.
Kritik von Gegnern und Befürwortern der Sterbehilfe
Das Institut Européen de Bioéthique, das sich gänzlich gegen Sterbehilfe ausspricht, sieht im Fall van Bleeken einen weiteren Schritt in eine fatale Richtung. Frank van den Bleeken besitze gar nicht mehr die geistigen Fähigkeiten, um sich für die Sterbehilfe entscheiden zu können, sagt Carine Brochier, Mitglied des Aufsichtsrates:
"Ich frage mich, ob mit diesem Fall nicht eine Tür geöffnet wird - für jene Personen, die an Demenz leiden oder schweren psychischen Erkrankungen wie Depressionen. Es gab ja schon Fälle, in denen Menschen wegen Depressionen Sterbehilfe beantragt haben. Wer sagt denn, dass bald nicht auch der Großmutter Sterbehilfe geleistet wird, weil sie das gefordert hat – obwohl sie gar nicht mehr ganz bei Sinnen ist?"
Doch nicht nur klare Gegner – auch Befürworter der Sterbehilfe kritisieren die Entscheidung. Zu ihnen gehört der Mediziner Wim Distelmans. Er findet, dass im Fall van den Bleeken noch nicht alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien und lehnt deshalb die Sterbehilfe für den 50-Jährigen ab. Selbst Parlamentarier, die sich noch vor kurzem für die Sterbehilfe für Kinder und Jugendliche ausgesprochen hatten, kritisieren die jüngste Entscheidung.
An die Politik appelliert nun auch die Association pour le droit de mourir dans la dignité – der Verein zum Recht auf ein würdevolles Sterben.
Vereinsmitglied Benoît van der Meerschen fordert entsprechende Gesetzesänderungen, um der Situation von Gefangenen in Belgien besser gerecht zu werden. Auch wenn der Umgang mit dem Tod in Zukunft schwierig bleibe, sieht er die belgische Gesellschaft insgesamt auf einem guten Weg:
Vereinsmitglied Benoît van der Meerschen fordert entsprechende Gesetzesänderungen, um der Situation von Gefangenen in Belgien besser gerecht zu werden. Auch wenn der Umgang mit dem Tod in Zukunft schwierig bleibe, sieht er die belgische Gesellschaft insgesamt auf einem guten Weg:
"Anders als in Frankreich gibt es aus meiner Sicht in Belgien beim Thema Sterbehilfe einen gewissen gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das Gesetz zur Sterbehilfe für Kinder wurde auch mit einer gewissen Ruhe verabschiedet. Ich denke, dass die belgische Gesellschaft ziemlich reif ist, was den Umgang mit Sterbehilfe angeht. Und darüber kann man sich nur freuen."
Wann Frank van den Bleeken sterben wird, soll nicht bekannt gegeben werden. Fest steht nur, dass er dann für 48 Stunden aus dem Gefängnis entlassen wird, um sich in einem Krankenhaus von seinen Verwandten verabschieden zu können.