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Belgien, ein Land in der Warteschleife

Wieder einmal sind die Gespräche für eine neue belgische Regierung gescheitert, Unterhändler Elio di Rupo hat das Handtuch geworfen. Dabei schienen die sechs vorgesehenen Koalitionsparteien schon auf der Zielgeraden. Doch auf den Haushalt für das kommende Jahr konnte man sich dann doch nicht einigen.

Von Doris Simon |
    Ein echtes Drama oder Theaterdonner? Die Frage stellt sich ganz Belgien, seit Regierungsbildner Elio di Rupo gestern Abend seinen Rücktritt bei König Albert eingereicht hat, über 500 Tage nach den Wahlen. Niemand weiß, ob die Regierungsbildung in Belgien nun endgültig gescheitert ist oder ob Elio di Rupo nur versucht, mit seiner heftigen Reaktion die Blockade bei den Koalitionsverhandlungen aufzulösen.

    Mit dieser Methode hatte der Sozialist bereits vor zwei Monaten die für unmöglich gehaltene Einigung auf eine Staatsreform durchgesetzt. Belgiens König beschloss gestern in jedem Fall, den Rücktritt des Regierungsbildners vorerst nicht anzunehmen. Stattdessen erinnerte Albert II die designierten Koalitionsparteien an den Ernst der Lage und forderte sie auf, über die Folgen eines Scheiterns der Regierungsverhandlungen nachzudenken.

    Auf der Anklagebank sitzen nun vor allem die flämischen Liberalen: Sie hatten auch nach einer Reihe von Kompromissen beim Haushalt 2012 auf noch weniger Steuererhöhungen und mehr Reformen bestanden, am Ende ging es um 200 Millionen Euro Einsparungen mehr oder weniger. Unterhändler Benoit Lutgen, Chef der französischsprachigen Christdemokraten cdh, fürchtet nun das Ende der Regierungsbildung:

    "Die Rechnung wird alle Bürger sehr teuer zu stehen kommen, auch diejenigen, für die die Liberalen angeblich eintreten. Das ist politisch völlig unverantwortlich, völlig unverantwortlich."

    Seit den Wahlen vor 17 Monaten führt der abgewählte Regierungschef Yves Leterme in Belgien die Geschäfte. Zuletzt sah es gut aus für eine neue, richtige Regierung, nach der schwierigen Einigung auf eine neue Machtverteilung innerhalb des belgischen Staates. Zwar blieb der Haushalt 2012 eine Herausforderung angesichts der sehr unterschiedlichen Spar-, Steuer- und Reformvorstellungen von Sozialisten, Liberalen und Christdemokraten von beiden Seiten der Sprachgrenze. Doch man war sich einig, einen Haushalt mit höchstens 2,8 Prozent Defizit vorzulegen.

    Der sozialistische Regierungsbildner hatte unter dem Druck von Liberalen und Christdemokraten seine ursprünglichen Steuererhöhungspläne zurückgeschraubt, mehr Einsparungen akzeptiert und der Erhöhung des Mindestalters für den Vorruhestand von 60 auf 62 Jahre zugestimmt - für die sozialistische Basis alles bittere Pillen. Doch die Liberalen bestanden auch gestern auf mehr und forderten Einsparungen, die Befristung des Arbeitslosengeldes, die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters, das derzeit bei 65 Jahren liegt und Veränderungen bei der automatischen Bindung der Löhne an die Preisentwicklung. Der liberale Unterhändler Vincent van Quickenborne:
    "Das Problem liegt bei den französischsprachigen Sozialisten, für die Verhandlungen über bestimmte Themen immer noch tabu sind und die jene grundlegenden Reformen ablehnen, deren Umsetzung der durchschnittliche Flame und die Europäische Union fordern. Wir müssen unser Land vor größerem Unheil bewahren und wer jetzt meint, da würden ein paar Steuererhöhungen reichen, der streut dem Steuerzahler Sand in die Augen."

    Doch sollte nun die Regierungsbildung scheitern, dürften Belgiens Liberale nicht auf Verständnis bei den anderen Parteien und den Bürgern hoffen. Dafür spürt das Land inzwischen zu stark den Druck von außen: Zwei der drei großen Ratingagenturen prüfen seit Monaten eine Herabstufung Belgiens, und die Risikoaufschläge auf belgische Staatsanleihen klettern immer höher. Die Europäische Kommission hat Belgien aufgefordert, bis zum 15. Dezember einen Haushalt für 2012 vorzulegen, andernfalls drohen empfindliche Strafen. Marianne Thyssen, Europaabgeordnete und frühere Parteichefin der flämischen Christdemokraten, spricht aus, was viele Belgier denken:
    "Ich frage mich, ob die Verhandler sich überhaupt noch bewusst sind, welchem Druck unser Land ausgesetzt ist. Wir brauchen dringend innere Reformen, aber zugleich tickt die europäische Uhr und die Märkte setzen uns unter Druck. Sind die, die da verhandeln, sich noch im Klaren darüber, was sich außerhalb des Verhandlungsraums abspielt?"