In der rollenden Frittenbude siedet das Fett in den tiefen runden Frittier-Kesseln. Der umgebaute Lieferwagen steht auf dem Hinterhof der Weiterbildungs-Stätte in Tournai, im Osten Belgiens. Mit einer Schöpfkelle taucht Constant Papier sorgsam Kartoffelstäbchen ins heiße Rinder-Fett – der schmale 23-Jährige absolviert heute seine Abschlussprüfung als Frituriste. Die qualifizierende Ausbildung zum Pommes-Verkäufer wird seit einigen Jahren angeboten und zieht Schüler weit über die Landesgrenzen hinweg an. Constant ist Belgier – und, wie alle seine Landsleute, in der sogenannten culture frituresque, der Fritten-Kultur, aufgewachsen.
"In meiner Familie ist es Tradition, jeden Freitag nach dem Schwimmbadbesuch Fritten essen zu gehen. Das ist seit meiner Kindheit so. Ich habe schon immer gerne Pommes gegessen. Nun möchte ich eine eigene Frittenbude aufmachen, weil mir der Beruf gefällt."
Einfach typisch belgisch
Außerdem freut sich Constant Papier auf den Kontakt mit der traditionell buntgemischten Kundschaft: Das reicht von jung bis alt, quer durch alle gesellschaftlichen Schichten. Ein Argument, das auch Bernard Lefèvre hervorhebt. Lefèvre ist Präsident des nationalen Zusammenschlusses der belgischen Frittenbuden-Betreiber. 5.000 Pommes-Stände zählt das Land mit rund 11,2 Millionen Einwohnern. Lefèvre besitzt eine sehr renommierte Fritkot in Leuven, westlich von Brüssel:
"An meinem Stand haben sich Leute kennengelernt, die Nachbarn sind und nichts voneinander wussten. Seit Jahren wohnten sie in derselben Straße, aber da sie in Brüssel arbeiten, sind sie von früh bis spät unterwegs und hatten nie Gelegenheit, Bekanntschaft zu schließen. Bis sie beim Schlangestehen vor meiner Bude miteinander ins Gespräch kamen und entdeckten, dass sie Nachbarn sind."
So etwas passiere regelmäßig, ob in den wallonischen Friteries oder in den flämischen Fritkofs, sagt der Chef der landesweiten Frituriste-Vereinigung. Es sei einfach typisch belgisch. Ein Unikum in dem sonst so zerstrittenen Land:
"Wir haben kürzlich einen nationalen Fritkot-Rat gegründet. Unter seinen Mitgliedern wissen wohl nur die wenigsten, Fritten zuzubereiten. Denn im Rat vertreten sind Akademiker, Künstler, Leute aus den unterschiedlichsten Bereichen. Sie alle repräsentieren die belgische Gesellschaft in der größtmöglichen Mischung. Was uns verbindet, ist dieses organisierte Chaos, das eine Fritkot ausmacht."
Für Lefèvre die belgische Antwort auf den weltweiten Trend zur Globalisierung. Mögen sich rund um den Globus die Einkaufszeilen immer ähnlicher werden – die belgischen Frittenbuden, in denen Pommes als Hauptgericht serviert werden, geben jedem Ort eine eigene Note, sind für die Belgier ein zweites Wohnzimmer - das bedroht ist.
"Macht keinen Krieg - esst Fritten!"
In den vergangenen Jahren verschwand so manche Frittenbude still und heimlich – weil sie dem Umbau einer Kreuzung im Weg stand oder den Blick auf ein Baudenkmal verstellte. Seit jedoch die flämische Regionalregierung die belgische Pommes zum immateriellen Kulturgut ernannte, wächst laut Lefèvre das Bewusstsein für diesen Heimatschatz:
"Nun fragen immer wieder flämische Gemeinden bei uns an, ob wir nicht jemanden haben, der eine Frittenbude auf ihrem Marktplatz eröffnen möchte. Vor zehn Jahren war so etwas noch völlig undenkbar. Mir scheint, unsere Politik ist erfolgreich."
Der belgischen Fritte die Stange hält auch Jan Bucquoy, Filmemacher, Maler, Besitzer einer traditionsreichen Anarchisten-Kneipe in Brüssel. Und trotz – oder gerade wegen – seines schrägen Denkens ein echter Belgier:
"Belgien hat ja nichts als seine Fritten. Wir haben kein Erdöl, unsere Armee ist ein lächerlicher Haufen. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe meinen Militärdienst gemacht. Deshalb kann ich nur empfehlen: Macht keinen Krieg – esst Fritten!"