Wer inmitten der hanseatischen Häuser und gotischen Kirchen im historischen Zentrum von Gent bummelt, tut das meist zu Fuß - und das weitgehend ungestört vom üblichen Verkehr der Stadt. Viele Fahrradfahrer sind unterwegs, beinahe gemächlich rollende Trams und Busse ergänzen das Verkehrsbild. Dieser Tourist aus Portugal ist begeistert:
"Wir haben problemlos außerhalb des Zentrums geparkt und spazieren durch die Stadt. Gent ist gut organisiert, viele Leute sind hier fußläufig unterwegs. Wir genießen es sehr."
Konzentration auf die Ringstraße
Pkw gibt es im Stadtkern selten - mit Inkrafttreten des Mobilitätsplans der Stadtregierung soll es künftig in ganz Gent weniger Autoverkehr geben. Das Projekt ist ambitioniert. Die Stadt wurde in sechs neue Bezirke aufgeteilt, hinzu kommt ein autofreies Zentrum. Direkte Fahrten zwischen den Bezirken sind für Pkw-Fahrer nun tabu. Sie müssen eine Ringstraße am Stadtrand nutzen. Die Übergänge werden von Kameras überwacht. Diese Einwohnerin unterstützt den Plan:
"Absolut! Er ist notwendig und gut für alle. Gent ist sehr klein und bei den ganzen Autos, Bussen, Bahnen und Fahrrädern ist es im Straßenverkehr nicht immer ungefährlich."
Michael Tack dagegen ist hin und her gerissen. Er verkauft Pralinen. Sein Hauptgeschäft liegt in der Altstadt - die übrigen drei sind über die Stadt verteilt. Der Mobilitätsplan ist für Tack eine Herausforderung:
"Das Ganze hat zwei Aspekte. Für die Stadt ist es ein guter Plan, für die Kinder, die Touristen, die Bürger insgesamt. Damit Gent lebendig bleibt. Für mich könnte es jetzt aber schwierig werden, von A nach B zu kommen. Ich muss meine Schokolade frisch liefern, und dafür brauche ich jeden Tag das Auto."
Plan soll Fahrrad-Boom unterstützen
Der Mann, der den Plan mitentworfen hat, erläutert im Rathaus auf einer Stadtkarte die Details. Filip Watteeuw ist Gents Vizebürgermeister und Mobilitätsminister. Innerhalb von vier Jahren wurde der Plan erarbeitet. Neben den neuen Pkw-Regeln wurde auch in Radwege und den Nahverkehr investiert. Die Maßnahmen sollen für Entlastung sorgen, was auch dem Handel zugutekomme, erklärt Watteeuw:
"Der Verkehr quer durch die Stadt ist an vielen Stellen zu dicht. Wir haben Daten erhoben, und festgestellt, dass 40 Prozent des Rushhour-Verkehrs überflüssig sind. Diesen Anteil wollen wir aus der Stadt herausnehmen. Gleichzeitig die Einwohner motivieren, andere Verkehrsmittel zu nutzen. Es geht uns also darum, die Stadt lebenswerter und noch zugänglicher zu machen."
Schon seit Jahren benutzen immer mehr Genter das Fahrrad, betont Grünenpolitiker Watteeuw. Weshalb er glaubt, dass die Stadt offen für klimafreundlichen Verkehr ist. Der neue Plan sei nun ein weiterer Schritt. 1997 hatte der damalige Bürgermeister erste Akzente gesetzt und Fußgängerzonen in der Altstadt eingerichtet - der Widerstand war groß:
"Für ihn war es damals schwer. Er musste sich Klagen anhören und wurde sogar bedroht - zwischendurch musste er eine kugelsichere Weste tragen. Für Belgier ist Autofahren Teil der Kultur, und viele haben unsere Mobilitätsprobleme lange Zeit nicht erkannt. Unser Projekt soll deshalb die Infrastruktur ändern und unsere Mentalität weiter wandeln."
Kritik der Opposition
Einen flüssigeren Verkehr in Gent befürwortet auch Peter Dedecker, der für die konservative Partei N-VA im Stadtparlament sitzt. Dass der vorgelegte Mobilitätsplan dazu beitragen kann, bezweifelt er allerdings. Er sei zu radikal, und Lösungen biete er mitnichten:
"Der Plan verlagert nur die Staus aus dem Zentrum auf die Ringstraße am Rand, wo es ohnehin schon überfüllt ist. Auch weil in Gent diejenigen, die aufs Auto verzichten könnten, es jetzt schon tun. Ein langsamer, organischer Übergang wäre viel sinnvoller - wenn wir statt radikaler Maßnahmen zuerst in Alternativen investieren würden."
Dazu gehören für Dedecker etwa bessere Bedingungen für den Taxiverkehr. Über den Plan möchte er abstimmen lassen. 30.000 Unterschriften hat seine Partei gesammelt - spätestens im September soll es ein Referendum geben.
Allzu unruhig ist Ladenbesitzer Michael Tack momentan nicht. Er will abwarten - und glaubt, dass der Genter Mobilitätsplan in einer Hinsicht besonders gut sei:
"Ich denke, für die Generation meiner Kinder wird es ganz normal sein, dass es hier weniger Autos gibt. Eigentlich bin ich mir nicht sicher, ob uns die Stadtregierung vorschreiben sollte, wie wir zu leben haben. Beim Thema Mobilität allerdings schon! Sonst würden wir unsere Autos immer noch für alles nutzen. Glauben Sie nicht?"