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Belgien und Luxemburg
Unterschiedliche Ansichten bei Ausrichtung der EU

Heute treffen sich die Regierungschefs Belgiens und Luxemburgs zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung, in der es auch um die Ausrichtung der EU gehen soll. Während der belgische Premierminister Charles Michel mehr Tempo bei EU-weiten Entscheidungen fordert, die von wenigen ausgewählten Staaten getroffen werden sollen, lehnt sein Luxemburger Kollege Xavier Bettel solche 'selected clubs' ab.

Von Tonia Koch |
    Der belgische Premier Charles Michel (l.) und Luxemburgs Premier Xavier Bettel.
    Der belgische Premier Charles Michel (l.) und Luxemburgs Premier Xavier Bettel. (picture alliance / dpa/ Pascal Rossignol)
    Der belgische Premierminister Charles Michel fährt vor dem Tagungsgebäude des Europäischen Rates vor. Er gibt sich entschlossen und diktiert den wartenden Journalisten in die Mikrofone.
    "Ganz ehrlich, alles gemeinsam mit 27 Ländern entscheiden zu wollen, lähmt uns, wir müssen das Recht haben, mit kleineren Gruppen voranzugehen, damit diejenigen, die mehr Zeit benötigen, uns nicht daran hindern."
    Reflexartig blitzt er auf, der Gedanke vom Europa der zwei Geschwindigkeiten, wenn es darum geht, eine Krise zu bewältigen, die auf einen Grundkonflikt der EU zurückzuführen ist. Das Wachstum der Europäischen Union auf zuletzt 28 Mitglieder und sollte Britannien ausscheiden, nur noch 27, hat ihr Vielfalt beschert. Diese bunte Mischung wird allenthalben begrüßt, aber sie geht eben zu Lasten der Vertiefung der EU. Gerade jetzt nach dem Brexit-Votum sei jedoch nicht der Zeitpunkt, über ausgesuchte EU-Staatenklübchen nachzudenken, die voranmarschieren, entgegnet der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel.
    "Jetzt nicht, jetzt nicht, weil wir im Moment in einem Scheidungsprozess sind, wo wir Zusammenhalt brauchen. Wie der Scheidungsprozess laufen soll, das soll zusammen von 27 Ländern definiert werden. Es kann nicht sein, dass es so aussieht, als hätten wir ein Direktorium von drei, vier Ländern, die nachher sagen, das ist die Lösung für uns alle, das will ich nicht."
    Nicht alle EU-Länder machen bei allem mit
    Vorsicht sei auch deshalb geboten, weil die Fliehkräfte innerhalb der Union immer stärker würden und sich eine Reihe von Mitgliedstaaten am liebsten à la carte bedienen wollten, bei dem, was Europa so zu bieten habe. Das sei vergangene Woche beim Gipfel angeklungen, ergänzt der luxemburgische Regierungschef.
    "Dass eine Reihe von Staas- und Regierungschefs Europa auf einem Minimum haben möchte. Die Message war: Wir sind einverstanden, dass wir in Europa noch über das reden, was uns allen passt und nicht ärgert, wenn ich eine Kurzfassung machen soll, überhaupt nicht mehr reden sollen, und das will ich nicht."
    Ohnehin ist das Europa der zwei Geschwindigkeiten längst Realität. Schon lange machen nicht alle EU-Länder bei allem mit. Den Euro haben nur 19 Mitgliedstaaten eingeführt und auch an der im Schengen-Raum praktizierten europäischen Reisefreiheit nehmen nicht alle in vollem Umfang teil. Aber all jene, die die grenzenlose europäische Freiheit genießen, weil sie woanders als im Heimatland arbeiten, studieren oder Urlaub machen, die haben einen Vorgeschmack bekommen, was es heißt, wenn die Freiheit wieder eingeschränkt wird. Im Rahmen der Terroranschläge von Paris und der Flüchtlingskrise wurden wieder Grenzkontrollen eingeführt.
    "Das wollen wir nicht, wir fühlen uns europäisch. Als Schengen begann, habe ich es erlebt, es hat mir nur Vorteile gebracht. Es war doch alles freier. Man brauchte nicht stehen zu bleiben, kein Zöllner, der einem das Auto durchwühlte. Man konnte in Trier einen Mantel kaufen, ohne die Rechnung an der Grenze vorzuzeigen."
    Wunsch nach mehr Fortschritt bei der Integration der EU.
    Heute treffen sich Belgier und Luxemburger zu einer gemeinsamen Kabinettssitzung, das ist Routine - auch wenn die Themen dieses Mal alles andere als Routine sind. Der belgische Regierungschef wünscht sich mehr Fortschritt bei der Integration der EU.
    "Ich bin überzeugt, dass wir im Bereich der Sicherheit, der Beschäftigung mehr tun müssen, wir brauchen strategische Investitionen und viel mehr Innovation."
    Charles Michel hat einen Kreis der Willigen vor Augen, die diese Forderungen umsetzen, der Luxemburger Xavier Bettel hingegen möchte nicht mehr, sondern ein besseres Europa schaffen.
    "Ich bin gegen 'selected clubs'; ich bin überzeugter Europäer und wir sollen Europa jetzt nach dieser schlechten Nachricht vom Brexit nicht aufgeben, im Gegenteil, wir müssen es fertig bringen, Europa schmackhafter zu machen."
    Dass Luxemburg und Belgien, die sich ansonsten überaus eng abstimmen, an diesem Punkt nicht einer Meinung sind, sei aber kein Problem, sondern gehöre zu einer gepflegten Debatte, so Bettel.
    "Ich weiß, dass der Charles diese Idee hat, man soll nix ausschließen, man soll über alles reden können."