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Belgiens koloniales Erbe auf der Bühne
Unerträgliche Grausamkeiten

Luk Perceval inszeniert in Gent eine an die belgischen Nationalfarben angelehnte Trilogie. "Black" steht für die Kolonialzeit, "Yellow" für die Kollaboration mit Nazi-Deutschland und "Red" für die Brüsseler Terroranschläge. Den Auftakt macht die Stückentwicklung „Black - The Sorrows of Belgium I: Congo“.

Von Eberhard Spreng |
Szene aus dem Stück "Black / The Sorrows of Belgium I: Congo" von Luk Perceval am Stadttheater NT Gent.
Szene aus dem Stück "Black / The Sorrows of Belgium I: Congo" von Luk Perceval am Stadttheater NTGent. (Michiel Devijver)
"You got to move."
Vier schwarze und vier weiße Schauspielerinnen und Schauspieler wiegen sich auf der Vorderbühne und singen einen Gospel Blues. Der Beginn von Luk Percevals Theaterabend über die Schrecken der belgischen Kolonialzeit beginnt also mit einem afroamerikanischen Klischee. Wir schreiben das Jahr 1890. Einer aus der Mitte dieser amerikanischen Südstaatengemeinde wird sich auf den Weg machen in den Kongo. Es ist der schwarze Priester und Missionar William Henry Sheppard, der Jahre später, nach seiner Rückkehr in die westliche Welt, mit seinen Berichten einen wesentlichen Beitrag zum Ende des weißen Terrorregimes im Kongo leistet. Der historische Sheppard wurde Zeuge ungeheurer Misshandlungen, Vergewaltigungen, Verstümmelungen und Morde durch das Kolonialregime des belgischen Königs Leopold der Zweite.
Massenmörder statt liebender König
Zehn Millionen Menschen sind dem zum Opfer gefallen und nicht nur Perceval fordert, dass Leopold der Zweite in eine Reihe mit Massenmördern wie Hitler, Stalin oder Pol Pot zu stellen sei. Warum, so fragt sich der Regisseur mit der reichhaltigen Deutschlanderfahrung, gibt es in Belgien keine Aufarbeitung der Gräuel und immer noch Statuen, die den brutalen Ausbeuter Leopold der Zweite als väterlichen Wohltäter inszenieren. Der Regisseur weiß, dass dem Thema mit Blauäugigkeit wohl nicht beizukommen ist, nicht mit blutigen Macheten und abgehackten Theaterhänden. Er inszeniert, fernab vom pädagogischen Eifer eines aufklärerischen Dokumentartheaters, ein Gruppenbild, das eher einer musikdramaturgischen Logik folgt, als einer historischen Chronik.
"Africa! Africa!"
Nach Momenten größter Erregung verfällt das Ensemble immer wieder in Stillstand, ja Ratlosigkeit. So als wollte dieses Theater immer auch seine Unzulänglichkeit beim Umgang mit dem ungeheuerlichen Thema kenntlich machen. Oder als wolle es den weißen Blick stören, indem es die Automatik der Abläufe durchbricht.
Spiel mit der Lächerlichkeit
Einmal turnt Peter Seynaeve mit weissem Kleidchen über die Bühne und führt seine Vision eines flämischen Dorfes inmitten des Kongo vor. Er zeigt, wo zu Ehren der ersten belgischen Königin, die Avenue Louise verläuft, wo der Kartoffelacker sein soll und wo das Tomatenbeet. Er ist hier allenfalls eine Karikatur des historischen Sam Lapsley, einem etwas schwächlichen Weissen. Dass dieser den schwarzen Sheppard zu begleiten habe, hatte die Presbyterian Church dem schwarzen Missionar dereinst zur Auflage gemacht.
Vom Bühnenboden hängen vor dunklem Hintergrund zahllose Seile herab, in der Mitte steht ein großer Billardtisch, auf dem sich das Ensemble gelegentlich zu einem Gruppenbild versammelt, Menschen im Regen, Stillstand, der sehr lange dauert. Abstraktes Urwalddekor mit Resten westlicher Zivilisation. Hintergrund für demonstratives Spiel mit der Lächerlichkeit. Mit bitterem Zorn inszeniert Perceval ein Kindergeflüster mit der Persiflage weißer Ideologie.
"Il ne suffisait pas de brutaliser les hommes. Non. Il fallait aussi recouvrir ces corps scarifié, il fallait aussi piétiner les objets sacrés."
Percevals Theater hilft nicht bei Dekoloniasierung
Auf das Flüstern folgen Schreie, aus dem Schrei wird Stille. Mit entfesselten Furor treibt Theatermusiker Sam Gysel mit dem Schlagzeug das Geschehen an und lässt es mit der elegischen Gitarre wieder ermatten. Erst ganz am Ende des flämisch-, englisch und französischsprachigen Abends mit Textzuflüssen aus diversen Federn, ist die bittere Farce beendet. Nun spricht der schwarze Schauspieler Nganji Mutiri seinen Text über ein neues Denken in der abendländischen Gesellschaft.
"Ich glaube, so sagt Nganji Mutiri, an die plurale Identität, und ich glaube an die Universalität jedes Einzelnen, denn das ist es ja, was ich jeden Tag in all den Augen von Menschen aller Hautfarben sehe."
Dann singt Andie Dushime herzergreifend ihre Version von "Black Bird". Vom konventionellen Klischee des Anfangs ist jetzt nichts mehr zu spüren. Das Publikum ist in Afrika angekommen, im puren unverstellten Ausdruck des Schmerzes und im rassenübergreifenden Konsens. Und doch, Percevals teils provozierender, teils versöhnungstrunkener, teils ratloser Abend scheit auch nicht so genau zu wissen, wie sein Theater helfen kann bei der Dekolonisierung der belgischen Gesellschaft.