Dass in der Reaktor-Sicherheitskommission, dem wichtigsten Beratungsgremium der Bundesregierung in Sachen Atomsicherheit, auch Vertreter der Kernindustrie sitzen, ist nicht neu. Genauso wenig, wie die Befürchtung, dass es dadurch zu Interessenskonflikten kommen kann. Deshalb sieht die Satzung der RSK auch vor, dass beim Verdacht der Befangenheit einzelne Mitglieder der Kommission von bestimmten Beratungen ausgeschlossen werden sollen.
Im Fall des aktuellen Gutachtens, das die Reaktoren Doel-3 und Tihange-2 trotz ihrer zahlreichen Risse in den Druckbehältern als weitgehend unbedenklich erscheinen ließ, ist das aber nicht geschehen. Zwei Mitarbeiter des Atomkonzerns Framatome saßen in dem federführenden Ausschuss, der eben dieses Gutachten ausgearbeitet hat. Der Vorsitzende der RSK, Rudolf Wieland sieht darin – genauso wie das Bundesumweltministerium - keinen Anlass für den Verdacht der Befangenheit:
"Ich sehe diesen Anlass nur dann, wenn die so eingebunden sind, dass sie in dem Thema auch bei ihrem Arbeitgeber irgendwie mit diesem Thema involviert sind. Wenn das nicht der Fall ist, sehe ich da auch keinen Anlass"
Grüner Bundestagsabgeordneter: Anzeichen für Befangenheit
Framatome selbst begründet seine Mitarbeit in der RSK mit seiner "kerntechnischen Kompetenz". Die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen Framatome und den begutachteten Reaktoren bzw. deren Betreiberfirma sind jedoch äußerst intensiv. So war das Unternehmen bereits am Bau der Reaktoren beteiligt – und damit möglicherweise auch an allen Ungereimtheiten bis hin zum Verschwinden wichtiger Dokumente. Bis heute liefert Framatome über sein Werk im niedersächsischen Lingen Brennelemente nach Doel und Tihange. Erst vor zwei Jahren erhielt der Atomkonzern einen millionenschweren Wartungsauftrag für das AKW Doel. Und über den Mutterkonzern EDF ist Framatome sogar Miteigentümer der umstrittenen Reaktoren.
Für Oliver Krischer, Bundestagsabgeordneter aus der Region und Fraktions-Vize der Grünen im Bundestag, sind das genug Anzeichen für eine Befangenheit:
"Es kann doch nicht sein, dass Personen die Sicherheit von Atomkraftwerken beurteilen, die von dem Weiterbetrieb der Anlage in irgendeiner Weise profitieren. Dass so etwas nicht geht, dass sowas Befangenheit ist, weiß jeder Kommunalpolitiker."
Atomaufsicht Baden-Württemberg hält katastrophalen Unfall für denkbar
Kritik an der RSK und ihrem jüngsten Gutachten kommt auch aus Baden-Württemberg. Der Chef der Atomaufsicht des Landes, Gerrit Niehaus, wirft dem Vorsitzenden der Kommission in einer Mail schwere methodische Fehler vor:
ZITAT: Von einem hochrangigen Expertengremium, das nach seinem Selbstverständnis das Bundesumweltministerium nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zur Schadens- und Risikovorsorge berät, ist mehr zu erwarten, als eine ingenieurtechnische Abarbeitung vorgelegter Untersuchungen.
Heißt es in dem Schreiben, das dem WDR vorliegt. Niehaus kommt zu dem Schluss:
ZITAT: Das Risiko eines katastrophalen Unfalls ist nicht mit der Sicherheit ausgeschlossen, die Recht und Gesetz verlangen.
Mit anderen Worten: Der Betrieb von Doel-3 und Tihange-2 ist eigentlich nicht rechtmäßig. Als Konsequenz fordert der oberste Atomaufseher Baden-Württembergs eine Richtigstellung gegenüber der Öffentlichkeit. Der Grünen-Abgeordnete Krischer verlangt hingegen gleich ein neues Gutachten – von unabhängigen Experten jenseits der Reaktor-Sicherheitskommission.