Georg Ehring: Das Atomkraftwerk Tihange liegt in Belgien, rund 70 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt. Es besteht aus drei Druckwasser-Reaktoren mit jeweils gut 1000 Megawatt Leistung. Im Kraftwerk Tihange eins hat es am Wochenende gebrannt, und zwar im nichtnuklearen Teil. Die Feuerwehr hatte den Brand schnell unter Kontrolle, doch es war nicht der erste Zwischenfall in Tihange. Politiker in Deutschland fordern jetzt die Abschaltung des Reaktors, unter anderem Nordrhein-Westfalens Umweltminister Johannes Remmel, und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Remmel.
Johannes Remmel: Guten Tag, Herr Ehring.
Ehring: Herr Remmel, eine Abschaltung ist eine ziemlich drastische Forderung. Der nukleare Teil war von dem aktuellen Brand doch gar nicht betroffen.
Remmel: Na ja, das wird dann immer wohlfeil gemeldet, dass der nukleare Teil nicht betroffen ist. Aber ich sehe und wir sehen das Atomkraftwerk oder die entsprechenden Blöcke als Gesamtheit, und wer kann denn dafür garantieren, dass in einem anderen Fall die automatische Abschaltung nicht erfolgt. Wir haben ja Diskussionen über Tihange schon länger. Das Kraftwerk war an anderer Stelle, in einem anderen Block schon länger abgeschaltet, ist dann wieder angefahren worden. Das ist eine endlose Serie von Diskussionen um die technische Qualität der Kraftwerksblöcke. Wir haben ja die Feststellung auch, dass es an mehreren Stellen erhebliche Risse gibt. All das bringt uns dazu zu sagen, das ist ein Schrottreaktor und der gehört abgeschaltet.
"Wir haben keine nationalen Grenzen in Sachen Strahlung"
Ehring: Könnte man das nicht auch mit mehr Sicherheitstechnik nachrüsten?
Remmel: Wenn wir im Zusammenhang mit Fukushima und den entsprechenden schlimmen Ereignissen dort in Deutschland entschieden haben, wir steigen aus der Atomenergie aus, dann ist das, was jetzt dort in Belgien passiert, mit Sicherheit Anlass dafür zu sagen, bitte, wir haben keine nationalen Grenzen in Sachen Strahlung, und deshalb gehören diese Anlagen, die auch schon "das Zeitliche" hinter sich haben, 40 Jahre alt sind, tatsächlich in den Bereich der Nichtbenutzung, der Abschaltung sozusagen.
Ehring: 70 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, das ist nicht gerade um die Ecke, ist doch ein gewisser Abstand. Sehen Sie Gefahren auch für Nordrhein-Westfalen?
Remmel: Ja selbstverständlich. Wir haben dort eine dauernde Westwindlage. Das ist die Hauptwindrichtung. Und wenn es, was keiner wünscht und toi, toi, toi hoffentlich nie passieren wird, zu Unfällen kommt, dann liegt selbstverständlich Nordrhein-Westfalen, liegt Aachen, aber auch Teile von Rheinland-Pfalz in dem Spektrum der Windrichtung.
Belgien schwankt beim Atomausstieg
Ehring: Haben Sie denn Einflussmöglichkeiten? Gibt es Gespräche mit Belgien über dieses Thema?
Remmel: Das wird schon seit Langem von uns in allen bilateralen Gesprächen immer wieder erwähnt. Der Kollege Wirtschaftsminister ist in dieser Richtung unterwegs, aber auch meine Gespräche mit den belgischen Verantwortlichen haben immer dieses Thema. Aber wir sind natürlich nicht auf der Augenhöhe der Nationalstaaten und deshalb die dringende Forderung jetzt und noch mal wiederholt an die Bundesumweltministerin, aber auch an die Bundeskanzlerin, das mit den belgischen Verantwortlichen zu klären, hier die Interessenswahrnehmung auch der Menschen in Nordrhein-Westfalen, aber auch in Deutschland gegenüber der belgischen Regierung aufzunehmen und deutlich zu unterstreichen.
Ehring: Sie sprechen die Bundesregierung an. Ist denn die Bundesregierung in dieser Sache schon tätig geworden?
Remmel: Wir haben seinerzeit den Bundesumweltminister Altmaier angeschrieben. Er hat uns auch geantwortet, viel sagend und nichts sagend, dass das Angelegenheit der Nationalstaaten sei, aber er selbstverständlich das auch in seinem Herzen trage. Aber ich glaube, jetzt muss mehr passieren. Das reicht jetzt nicht mehr. Wir haben ja auch eine Situation in Belgien, wo wir schon seit Jahren sehr aufmerksam verfolgen, dass die Entscheidungen Richtung Atomausstieg mal in die eine, mal in die andere Richtung gehen und eben nicht klar formuliert auch in Richtung Alternativen man sich dort entschieden hat.
Ehring: Johannes Remmel, der Umweltminister von Nordrhein-Westfalen, war das. Herzlichen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.