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Benachteiligte Uni-Absolventen in Frankreich
Ein Diplom alleine reicht nicht

Uni-Absolventen aus armen Milieus finden in Frankreich trotz guter Ausbildung oft keinen Arbeitsplatz. Häufig fehlt ihnen das Wissen über die Arbeitswelt und sie haben auch keine fördernden Netzwerke. Die Organisation NQT will daran etwas ändern, bietet Schulungen und Mentorenprogramme an.

Von Susanne Hoffmann | 02.01.2020
Uni-Absolventen tragen bei der Übergabe ihrer Urkunden Doktorhüte nach US-amerikanischer Art.
Absolventen aus armen Milieus haben öfter Schwierigkeiten, ihre Fähigkeiten in Bewerbungen gut zu präsentieren (dpa / picture alliance / Axel Heimken)
Redha Bouras bespricht seinen Lebenslauf mit zwei Mitarbeitern einer französischen Bank. Überall im Raum sitzen weitere Grüppchen, gebeugt über Bewerbungsunterlagen. Doch finden hier keine Vorstellungsgespräche statt – die Mitarbeiter der Bank sollen den jungen Uni-Absolventen Tipps für die Jobsuche geben.
"Es ist sehr interessant, mit Leuten aus dem Arbeitsfeld zu sprechen, die erklären können, wo die Bedürfnisse der Branche liegen. Auf der anderen Seite ist es gut, Feedback zu bekommen, wie wir uns präsentieren können, wie wir uns verkaufen können, wie wir unsere Erfahrungen nutzen können", sagt Bouras.
Rheda Bouras ist einer der Uni-Absolventen, die die Organisation NQT bei der Jobsuche unterstützt und die die Schulung organisiert hat. NQT - Das steht für "Nos quartiers ont des talents", was so viel heißt wie "Unsere Brennpunktviertel haben Talente". Gefördert werden nämlich vor allem junge Erwachsene aus Problemvierteln, die in Frankreich "Quartiers prioritaire de la ville" heißen. In Deutschland kennen wir sie unter dem Begriff Banlieue. Ein Beispiel: der Pariser Vorort Saint-Denis. Hier sitzt auch NQT. Das Programm ist offen für Uni- Absolventen, deren Eltern zum Beispiel auf Sozialhilfe angewiesen sind oder die schon besonders lange einen Job suchen. Aurélie Robin leitet die Bewerbungsschulung:
"Ein Diplom zu haben ist gut. Es ist notwendig. Aber es reicht nicht. In Frankreich werden Studenten an der Uni sehr theoretisch ausgebildet. Dadurch fehlt den Studierenden das Wissen über die Arbeitswelt und die nötigen Softskills, um in die Arbeitswelt einzusteigen. Und Organisationen wie NQT gehen auf diese Bedürfnisse der Jugendlichen ein", sagt Robin.
Es fehlt das Netzwerk
Die Hochschullandschaft in Frankreich ist zweigeteilt. Neben den normalen Universitäten existieren die sogenannten Grandes Ecoles – teure Elite-Schulen mit großem Prestige. Sie gelten als Kaderschmieden der zukünftigen Führungselite, sind praxisbezogener als die Universitäten und bieten den Studierenden ein exklusives Netzwerk.
Sozial benachteiligte Jugendliche sind an den Grandes Ecoles kaum vertreten. Und anders als bei Absolventen aus privilegierten Elternhäusern bietet auch ihr familiärer Hintergrund meist kein Netzwerk, das bei der Jobsuche nützlich sein könnte. Sam Blakaj, Pressesprecher von NQT, beschreibt den Hauptgrund für die Schwierigkeiten der Absolventen:
"Menschen, die arm sind, haben kein solides professionelles Netzwerk. Warum sollte es mir wichtig sein, dass diese Person in meinem sozialen Netzwerk ist? Sie oder er wird mir wahrscheinlich nie etwas geben. Ich brauche Leute, die mir im Austausch etwas zurückgeben können."
So werde gedacht. NQT setzt deshalb neben Bewerbungstrainings vor allem auf ein Mentorenprogramm. Die Absolventen bekommen einen Paten oder eine Patin aus einem Unternehmen an die Seite gestellt, der sie bei der Jobsuche unterstützt. Wie genau das Mentoring abläuft, dürfen die Teilnehmer selbst entscheiden. Der 21-jährige Hady Halaoui war zwei Jahr lang auf Jobsuche, schrieb hunderte Bewerbungen. Mit Hilfe seiner Patin fand er innerhalb von nur drei Monaten eine Stelle.
"Wir haben daran gearbeitet, dass ich mich im Vorstellungsgespräch gut präsentiere – damit ich, wenn ich denn eingeladen werde, auch eine Zusage bekomme. Also haben wir mehrere Übungs-Gespräche gemacht, um diesen Aspekt wirklich zu verbessern, und wir haben meinen Lebenslauf und das Anschreiben überarbeitet. Beim Vorstellungsgespräch kam ich dann mit mehr oder weniger vorgefertigten Sätzen, die wir gemeinsam vorbereitet hatten. Ich hatte außerdem eine andere Einstellung als vorher und jetzt zum Beispiel auch mehr Ahnung davon, wie man sich für so ein Gespräch in einer Bank anzieht", sagte Halaoui."
Ziel: Vermischung sozialer Schichten
Seit ihrer Gründung im Jahr 2006 hat die NQT mehr als 48.000 Absolventen bei der Jobsuche begleitet. Den Organisatoren ist dabei auch wichtig, dass sich durch das Mentorenprogramm die sozialen Schichten in Frankreich vermischen, sagt Pressesprecher Sam Blakaj:
"Wir stellen eine Beziehung zwischen Menschen her, die sich normalerweise nie begegnen würden. Die Idee von NQT ist, wenn wir diese Beziehungen aufbauen, beeinflussen wir so die Art, wie Unternehmen ihre Mitarbeiter auswählen.
Aktuell könnten schon die Postleitzahl aus einem Problemviertel oder ein arabisch klingender Name wie der von Hady Halaoui bei der Bewerbung zum Ausschlusskriterium werden. Das will NQT ändern und damit die Arbeitswelt ein Stück fairer machen.