Die Chancen auf einen Job oder darauf, überhaupt zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden, sinken, wenn man Kinder hat - aber nicht für alle Eltern, sondern nur für die Mütter. Das ist das Ergebnis einer Studie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Studienautorin Lena Hipp, Soziologieprofessorin an der Universität Potsdam, erläutert die Ergebnisse der Studie und legt dar, wie Diskriminierung verhindert werden könnte.
Benedikt Schulz: Also Frau Hipp, schlechtere Chancen für junge Mütter. Nennen Sie erst mal die konkreten Zahlen: Was haben Sie herausgefunden?
Lena Hipp: Wir haben ein Experiment durchgeführt und im Rahmen dieses Experiments haben wir Bewerbungsunterlagen von Müttern und Vätern konstruiert, die vergleichbar waren, also dass sie gleich lange Arbeitserfahrung hatten und an ähnlichen Instituten studiert haben, dass sie gleich alt waren. Und diese Männer und Frauen haben wir jeweils einmal ein Kind haben lassen und einmal haben wir in ihren Lebenslauf geschrieben, dass sie kein Kind hatten. Und diese Bewerbungen, knapp 800, haben wir dann zufällig verteilt auf offene Jobangebote verschickt, also wir haben Stellenausschreibungen beantwortet.
Und dann haben wir einfach geguckt: Wer wird denn eingeladen? Werden die Väter häufiger eingeladen als die kinderlosen Männer, werden die Mütter seltener eingeladen als die kinderlosen Frauen? Und das Ergebnis war folgendes, dass wir bei den Männern keinen Unterschied gefunden haben, also es war unerheblich, ob ich ein Kind im Lebenslauf stehen hatte oder nicht. Bei den Frauen haben wir aber gesehen, dass die Frauen zu rund einem Viertel seltener eingeladen wurden, wenn sie in ihrem Lebenslauf angegeben hatten, dass sie ein dreijähriges Kind zu Hause haben.
Frauen leisten immer noch den Löwenanteil in der Kinderbetreuung
Schulz: Jetzt ist natürlich die Frage nach dem Warum, woran liegt das? Traut man den jungen Müttern einfach nicht zu, dass sie im Job Leistung bringen, wenn sie ein Kind haben?
Hipp: Das nicht unbedingt, aber so, wie die Arbeitsverteilung heute noch ist zwischen Männern und Frauen, ist es eben so, dass die Frauen weiterhin den Löwenanteil in der unbezahlten Arbeit und in der Kinderbetreuung schultern. Und es sind eben heutzutage noch immer die Frauen, die mal zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist, die früher gehen müssen, weil ein Elternnachmittag ist. Und das ist natürlich was, was Arbeitgeber womöglich abschreckt, Mütter im Vergleich zu Nicht-Müttern einzustellen.
Schulz: Aber wenn man jetzt weiß, dass das so ist, dass eben Frauen häufiger zu Hause bleiben, wenn das Kind krank ist, jetzt ein Beispiel, oder früher gehen müssen, dann wäre man als Arbeitgeber oder als Arbeitgeberin ja, wenn man so will, gut beraten, da so zu handeln.
Hipp: Na ja, nur, weil es im Durchschnitt so ist, heißt es ja noch lange nicht, dass es jede Familie so macht. Wir sprechen hier von statistischer Diskriminierung, also Arbeitgeber haben einen Wert im Kopf, der mag richtig oder auch falsch sein, wie die Produktivität einer bestimmten Gruppe von Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen ist. Und das heißt aber noch lange nicht, dass dieser Gruppendurchschnitt auch auf jedes Individuum zutrifft. Und so ist es eben bei den Müttern und den Nicht-Müttern auch.
Väter und Mütter werden unterschiedlich behandelt
Schulz: Auf der anderen Seite, Männer, die Väter sind, müssen ja auch immer mehr Erziehungsaufgaben übernehmen, völlig zu Recht. Warum traut man denn denen zu, dass sie die gleiche Leistung im Job bringen, als wenn sie keine Kinder hätten? Weil das ist ja auch ein Ergebnis Ihrer Studie.
Hipp: Na, weil die Arbeitsaufteilung tatsächlich noch so ist, dass die Väter, selbst wenn sie Elternzeit nehmen sozusagen, viel kürzer Elternzeit nehmen und das Zuhause-Bleiben, wenn das Kind krank ist, das frühe Abholen aus der Kita und so weiter tatsächlich hauptsächlich von den Frauen geschultert wird. Ihr Einwand allerdings sozusagen, dass sich das jetzt ändert, das hat mich in einer anderen Studie interessiert und das habe ich auch da untersucht.
Ich hatte einmal sozusagen in einem anderen Experiment Bewerbungen verschickt von jeweils Müttern und jeweils Vätern, die hatte ich für ein ebenfalls drei Jahre altes Kind für unterschiedlich lange Zeit Elternzeit nehmen lassen. Und da hat mich interessiert: Passiert den Vätern das Gleiche wie den Müttern, wenn sie lange Elternzeit nehmen und signalisieren, dass sie zu Hause auch mit Verantwortung tragen? Und da war der paradoxe Befund, dass die Väter mit der langen Elternzeit keineswegs seltener eingeladen wurden zum Vorstellungsgespräch als die Väter mit der kurzen Elternzeit.
Schulz: Das heißt, die Männer können fast nichts falsch und die Frauen fast nichts richtig machen.
Hipp: Das ist leider der sehr deprimierende Befund beider Studien, ja.
Inhalte von Lebensläufen gesetzlich regeln
Schulz: Jetzt fordern Sie, dass private Infos, in diesem Fall eben, hat man ein Kind, hat man kein Kind, dass die grundsätzlich raus sollen aus den Bewerbungen. Das ist ja nicht das erste Mal, dass so etwas Ähnliches gefordert wird. Es gibt auch andere Formen der Diskriminierung, zum Beispiel herkunftsbezogene oder rassistische Diskriminierung, aber da hat es eigentlich bislang vom Gesetzgeber seither wenig Fortschritte gegeben. Wird es sowas jemals geben, so etwas wie eine anonymisierte Bewerbung oder eine entpersonalisierte Bewerbung?
Hipp: Ich glaube, dass wir da hin sollten sozusagen, weil wirklich wichtig ist, was jemand kann, was jemand geleistet hat, und das fände ich wichtig. Steht natürlich jedem frei, welche privaten Informationen er in seinen Lebenslauf schreibt oder nicht. Aber was man eben auch sehen muss, wenn Information nicht explizit drin ist, dann kann das natürlich passieren, dass es zu Zuschreibungen kommt, wenn sich dann eine junge Frau bewirbt, dass ich dann denke, na ja, die hat vielleicht ein Kind, schreibt das aber nicht. Also das ist, was wir aus anderer Forschung wissen, dass sowas oft passiert. Und darum ist es schon wichtig, dass es da eine einheitliche Regelung gibt.
Eine gesetzgeberische Regelung wäre gut, aber es könnten natürlich auch Organisationen in ihren Stellenausschreibungen machen, Organisationen, die daran interessiert sind, ein faires Bewerbungsverfahren zu haben und tatsächlich auch die besten Bewerberinnen und Bewerber nachher zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Also man könnte in eine Stellenausschreibung reinschreiben, bitte sehen Sie davon ab, private und für den Job nicht relevante Informationen im Lebenslauf zu haben, oder indem man sozusagen Bewerbungsmasken online stellt, wo eben gar kein Platz dafür ist, diese privaten Informationen aufzunehmen. Ich finde auch sowas wie Alter und Herkunft gehört nicht in den Lebenslauf, und auch das könnte man damit vermeiden.
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