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Bénédicte Savoy über Kolonialismus-Debatte
"Wir haben viel zu lernen"

Europas Museen sind voll mit Kunst aus den Kolonien. Seit Jahrzehnten fordern afrikanische Länder die Rückgabe. Nun ist die Debatte nicht mehr aufzuhalten, da vor allem die Jugend einen anderen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit fordert, sagte die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy im Dlf.

Bénédicte Savoy im Gespräch mit Änne Seidel |
Die Kunstwerke aus den Kolonien wurden oft mit Gewalt und schmutzigen Tricks nach Europa gebracht, sagte Bénédicte Savoy. Ein Wendepunkt in der Kolonialismus-Debatte ist aber erreicht, wenn wir tatsächlich Kunstwerke zurückgeben. Auf diesem Gebiet passiere schon einiges, so die Kunsthistorikerin. So haben sowohl das Stuttgarter Museum als aus das Deutsche Historische Museum Werke restituiert.
Eigenes Tempo und eigene Vorstellungen
Angestoßen hat die Debatte unter anderem der französische Präsident Emmanuel Macron, der bei Savoy und ihrem senegalesischen Kollegen Felwine Sarr eine Studie in Auftrag gegeben hat, wie Frankreich Kunst an Afrika zurückgegeben kann. Nach der Veröffentlichung hat er versprochen, 26 wichtige Kunstgegenstände nach Benin zurückzugeben. Er will dies innerhalb der nächsten fünf Jahre über die Bühne bringen, doch die Verantwortlichen in Cotonu lassen sich Zeit. "Das ist auch gut so", sagte Bénédicte Savoy. Denn es soll erst in Ruhe ein Museum errichtet werden. Das afrikanische Land will sich nicht von einem jungen Präsidenten das Tempo diktieren lassen. Denn zu lange wurden die Forderungen des afrikanischen Kontinents nach Rückgabe von Kunstwerken nicht gehört.
Engagierte Jugend und öffentliche Debatte
Erstmals flammte die Debatte in den 50er-Jahren auf. Auch in den 70er- und 80er-Jahren wurde breit über die Rückgabe unrechtmäßig erworbener Kulturgüter geredet. Damals wurden die Gespräche jedoch schnell im Keim erstickt.
Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy
Die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy (Deutschlandradio)
"Das ist nicht mehr möglich, denn nun findet die Debatte nicht mehr in Hinterzimmern statt. Das Sprechen über Kunst ist ein Anfang und wir nähern uns damit viel dramatischeren Dingen wie dem Genozid an den Herero und Nama", so die Wissenschaftlerin. Der afrikanische Kontinent sei riesig und noch immer wüssten viele Europäer nicht, wo welches Land zu verorten sei. "Es gibt noch viel zu lernen". Die Diskussion über Raubkunst hilft auch, den Blick auf andere Themen zu lenken und die Europäer, so Savoy, müssen verstehen, dass sie nicht mehr das Zentrum der Welt seien.
Der Druck durch soziale Medien und eine engagierte Jugend in Europa und Afrika lassen nicht zu, dass die Kolonialismus-Debatte wieder zum Erliegen kommt, glaubt Bénédicte Savoy.
Bénedicte Savoy wurde 1972 in Paris geboren. Sie studierte Germanistik und schrieb ihre Magisterarbeit über Anselm Kiefer. Die Kunsthistorikerin leitet das Fachgebiet "Kunstgeschichte der Moderne" an der Technischen Universität Berlin. Zusammen mit dem senegalesischen Wissenschaftler Felwine Sarr erstellte sie im Auftrag des französischen Präsidenten Macron einen Bericht, wie afrikanische Kulturgüter aus Frankreich an die Herkunftsländer zurückgegeben werden können.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.