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Benediktiner über religiöse Extremisten
"Hooligans der Religion"

Nikodemus Schnabel wird immer wieder angespuckt, wenn er sein Kloster in Jerusalem verlässt. Er ist Benediktiner in der Dormitio-Abtei. Er spricht offen über antichristliche Vorfälle, die auf das Konto jüdischer Extremisten gehen. Seine Kritik richtet sich gegen Extremisten jeder Couleur. In seinem Buch "Zuhause im Niemandsland" nennt er sie "Hooligans der Religion".

Nikodemus Schnabel im Gespräch mit Monika Dittrich |
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    Dormitio-Abteil in Jerusalem: Benediktiner Nikodemus Schnabel und sein Buch "Zuhause im Niemandsland" (imago)
    Monika Dittrich: In Israel werden sich bald zwei junge Männer vor Gericht verantworten müssen: Sie sind beide Anfang zwanzig, nationalreligiös eingestellt und sie werden beschuldigt, im Juni den Brandanschlag auf das Deutsche Kloster Tabgha am See Genezareth verübt zu haben. Zwei Menschen wurden damals verletzt und Teile der Klosteranlage völlig zerstört. Das Kloster Tabgha gehört zur Jerusalemer Dormitio-Abtei. Der Angriff in Tabgha reiht sich ein in immer wieder aufflammende anti-christliche Vorfälle in Israel. Ich habe darüber mit Nikodemus Schnabel gesprochen, er ist Benediktinermönch in der Dormitio-Abtei in Jerusalem und Autor des soeben erschienenen Buches "Zuhause im Niemandsland", in dem es um sein Leben als Christ in Israel geht. Schnabel ist 36 Jahre alt, er stammt aus Stuttgart und lebt seit 12 Jahren in Israel. Ich habe ihn gefragt, wie es ihm als Christ und Benediktinermönch in Jerusalem ergeht.
    Nikodemus Schnabel: Jerusalem ist eine Stadt voller Interaktion, unfähig zum Small Talk, unfähig zu diesem "Du machst deins, ich mach meins." Das heißt, sobald ich vor die Tür gehe, kann es sein, dass Leute sagen: Können Sie meinen Rosenkranz segnen, können Sie mein Kind segnen, können wir für ein Selfie posieren? Es kann aber auch sein, dass Leute vor mir ausspucken, sagen: "Go home to Italy". Also das heißt, ich muss einfach nur vor die Tür gehen und ich bin in einer vollen Interaktion, die sehr, sehr positiv sein kann, dass Leute ein tiefes Bedürfnis haben, mir klar zu machen, dass sie froh sind, dass ich da bin. Und es gibt auch Leute, die ein tiefes Bedürfnis haben, mir klar zu machen, dass sie mich lieber nicht in Jerusalem haben wollen.
    Dittrich: Auch Ihre Abtei wurde schon mehrmals Opfer von Vandalismus. Sie beschreiben in Ihrem Buch eine "zunehmend aggressive anti-christliche Gewalt von einigen national-religiösen jüdischen Splittergruppen". Das reiche von Schmierereien an Kirchenwänden und Friedhofsschändungen bis hin zu Brandanschlägen und körperlichen Attacken. Wie erklären Sie sich diese Gewalt?
    Schnabel: Ja, diese Gewalt ist kein Phänomen jetzt nur, was dem Judentum zu eigen ist. Ich meine, das haben wir auch im Islam, wenn wir nach Irak oder Syrien schauen. Ich glaube, ich nenne das im Buch ja auch "Hooligans der Religion". Ich glaube, es ist ein Grundphänomen, wenn Menschen Religion falsch verstehen. In meinem Buch plädiere ich ja für das, was der heilige Benedikt, mein Ordensvater, im 6. Jahrhundert sagt, dass Religion Gottsuche ist. Ein Ringen um Gott, ein Zweifeln an Gott, ein Kämpfen um Gott. Und das macht eigentlich demütig und lenkt den Blick zu dem anderen hin, dass ich sage, wer bin ich, dass ich mich über andere erhebe? Der andere ist doch genauso Abbild Gottes wie ich, genauso von Gott geliebt wie ich. Wenn ich Religion aber wie ein Hooligan betrachte und eigentlich sage, die Welt ist so kompliziert, dieses ganze Wirrwarr, die ganze Globalisierung, und ich nur danach hungere, dass mir jemand billige Antworten gibt – der Koran ist die Lösung, die Bibel ist die Lösung, Talmud ist die Lösung. Wo mir dann genau gesagt wird, das sind deine Freunde, das sind deine Feinde, mit denen verbündest du dich und die spuckst du an, und wenn du das zerstörst, dann tust du etwas Gutes. Ich sage: Das sind nicht die Gottsucher, das sind die Leute, die Gott schon viel zu sehr gefunden haben, die ganz genau wissen, was Gott von ihnen will, die Gott schon in eine Schublade gesperrt haben. Das Bild der "Hooligans der Religion" – das habe ich eingeführt und hoffe, es gibt eine Diskussion darüber – ist eine Reaktion auf die klassischen zwei Reaktionen, die ich immer höre, wenn es Religion und Gewalt geht. Es gibt die eine Reaktion von – sage ich mal – sehr starken Religionskritikern, die sagen, guck dir doch nur an, die Religionen in dem Nahen Osten zeigen ihre wahre Fratze, quasi ihren Wahrheitskampf, der so vernichtend ist. Und dann gibt es oft die Reaktion der Religionsverteidiger, die sagen, das hat nichts mit Religion zu tun, was der Islamische Staat macht, was diese radikalen Siedlergruppierungen machen. Und ich denke, beide Antworten springen zu kurz. Und ich denke, das Bild aus dem Fußball hilft. Weil natürlich haben Hooligans was mit dem Fußball zu tun, sind auch im Stadion, haben auch Fan-Klamotten an, natürlich sind sie auch dabei. Aber ich glaube, jeder normale Fußball-Fan würde sagen: Nein, die Hooligans, mit denen möchte ich nicht in einem Atemzug genannt werden, weil ich fiebere um das, was die Mannschaft auf dem Platz macht, ich fiebere mit dem Spiel. Und die Hooligans nehmen das eigentlich nur als Anlass, um in der dritten Halbzeit sich die Köppe einzuschlagen. Und so sehe ich das auch, dass diese "Hooligans der Religion" Religion als Accessoire missbrauchen, um ihre Identitätskonflikte klar zu lösen und zu wissen, wo sie hingehören, wer sie sind und damit sie Halt im Leben bekommen. Und ich bin der Meinung, dafür ist Religion nicht da. Religion ist ein Ringen, Suchen, Zweifeln um Gott.
    Dittrich: Wer steckt denn dahinter? Aus welchem Milieu kommen die Täter typischerweise?
    Schnabel: Natürlich – wie man das so sagt – aus bildungsferneren Schichten. Ich versuche auch für diese Menschen, irgendwie Verständnis aufzubringen. Ich meine, die Welt ist natürlich kompliziert, wie haben die Globalisierung, wir haben den verschärften Wettbewerb. Und die Menschen – natürlich – wenn man fragt, wie ist das so in Tel Aviv, die Kumpels machen Startup-Unternehmen, machen in Erfolg, und man selbst bleibt auf der Strecke. Dass man da natürlich offen ist für Leute, die einem ganz klar in drei Sätzen die Welt erklären. Ja – deswegen meine – na, Wut ist vielleicht ein falscher Ausdruck – ich sage mal, meine Kritik geht stärker gar nicht an die, die den Brandanschlag verüben. Die sehe ich dann eben auch als Verführte. Die Frage ist wirklich, wer sind die Demagogen dahinter, die die Herzen dieser jungen Menschen verderben, die Hass in ihre Herzen säen statt Erziehung zur Offenheit, zu Neugier auf die anderen, zu Neugier auf diese Welt.
    Dittrich: Mit ihrem Focus auf die anti-christliche Gewalt in Israel müssen wir natürlich auch damit rechnen, von der falschen Seite Applaus zu bekommen – aus dem israelfeindlichen und auch aus dem antisemitischen Lager.
    Schnabel: Also ich glaube, da muss man mein Buch sehr böswillig lesen, weil ich ein eigenes Kapitel im Buch habe, warum ich die Juden liebe und über meine jüdischen Freunde rede, auch über meine eigene Familienbiografie. Mein ganzes Buch – wie ich noch mal sage – lebt ja von diesem Zuhause im Niemandsland. Das ist genau ausgewogen. Sie finden ein Kapitel über Gaza, Sie finden auch ein Kapitel über Tel Aviv. Sie finden ein Kapitel über die Muslime, Sie finden ein Kapitel über die Christen, Sie finden ein Kapitel über die Juden. Dieses Buch ist hart errungen, um wirklich auch mit den Worten sehr behutsam umzugehen, um eben genau – ich will eben islamophob sein, noch antisemitisch. Ich habe ein eigenes Kapitel über die religiös Unmusikalischen, ich möchte auch nicht gegen die Unreligiösen Stimmung machen, sondern ich möchte einfach pro Mensch sein. Ich möchte genau jenseits dieser Klischees denken. Ich möchte einen Menschen nicht erst einordnen: Bist du Israeli, bist du Palästinenser, bist du Jude, Christ, Muslim, säkular? Ich möchte erstmal den Menschen sehen. Und ich versuche auch die verschiedenen Gruppierungen, die auf den zweiten Blick natürlich sichtbar werden, auch mit einer großen Liebe darzustellen. Wenn ich Probleme benenne, gerade auch zum Beispiel diese Kapitel "Hooligans der Religion", geschieht das auch in immer einer sehr – ja ich nenne das mal vielleicht – liebevollen Art und Weise. Also ich hoffe, dass Sie auch heraushören, dass ich nicht einfach nur sage, da und da sind Probleme, sondern ich versuche auch immer zu verstehen, warum mir diese Menschen so begegnen, wie sie mir begegnen. Und natürlich, wenn ich über anti-christliche Gewalt rede, dann kann ich das eben nur, weil ich sie einfach erlebe. Ich kann ja über nichts schreiben, was ich nicht erlebe. Deswegen kann ich eben zum Beispiel nicht über islamistische Gewalt gegenüber Christen schreiben, weil ich die im Alltag nicht erlebe. Ich bin aber nicht blind und weiß, dass es das auch gibt – und erwähne es auch im Buch.
    Dittrich: Und das Buch von Pater Nikodemus Schnabel heißt: "Zuhause im Niemandsland. Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina". 176 Seiten sind im Herbig-Verlag erschienen und kosten 20 Euro.
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