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Beobachtermission ausgesetzt

Ende Oktober wird in der Ukraine ein neues Parlament gewählt. Für die Zeit des Wahlkampfs hat die EU das Mandat der Timoschenko-Beobachtermission ausgesetzt. Damit mochte sich die inhaftierte Politikerin nicht abfinden. Eindringlich wandte sie sich jetzt aus dem Gefängnis heraus in einem Video an ihre Landsleute.

Von Sabine Adler |
    Julia Timoschenko macht ihre Ohnmacht fast rasend. In ihrem Land wird in drei Wochen ein neues Parlament gewählt und ihr sind die Hände gebunden. Aber sie wäre nicht die, als die sie bekannt ist, wenn sie nicht gegen alle Hindernisse ankämpfte. Jetzt hat sie sich mit einem Video an die Öffentlichkeit gewandt. Aus der Charkower Klinik heraus, gegen den Widerstand eines Wärters. Er versucht während ihres gesamten Appells die Aufnahme zu stören, verdeckt mit seiner Hand fast vollständig das Bild, redet auf sie ein, sie solle aufhören, Timoschenko ist nicht zu stoppen. Blass, mit langem blondem Zopf, und offenbar in besserem Gesundheitszustand, zumindest verglichen mit den Fotos aus dem Gefängnis, wirkt sie aufgebracht und aufgeregt.

    Eindringlich wendet sie sich an ihre Landsleute, dass die Ukraine heute im Schatten einer von Kriminellen ausgeübten Macht lebe, sie selbst erfahre das am eigenen Leibe. Für die Regierung Janukowitsch hätten Menschenrechte keinerlei Bedeutung.

    "Ich möchte alle warnen: Wenn ihr nicht versteht, mit wem ihr es an der Regierung zu tun habt, dann wird euch nichts vor ihnen schützen."

    Auch wenn es Timoschenko, abgeschirmt im Krankenhaus, so vorkommen mag: Die Welt hat sie nicht vergessen. In Brüssel und auch in Warschau musste man sich ihres Schicksals nicht erst erinnern, Aleksandr Kwasniewski, bis 2005 zehn Jahre lang polnischer Präsident, steht weiter als Prozessbeobachter der Verfahren gegen Julia Timoschenko zur Verfügung. An seiner Seite der Ire Pat Cox, ehemaliger Vorsitzender des Europäischen Parlaments.

    Der amtierende polnische Präsident Broniswaw Komorowski und auch Kwasniewski treffen sich regelmäßig mit Viktor Janukowitsch in Kiew. Obwohl der ukrainische Präsident außer Julia Timoschenko noch weitere Minister ihres früheren Kabinetts hinter Gitter gebracht hat. Für seine polnischen Amtskollegen immer noch nicht Grund genug, Janukowitsch oder die Ukraine zu meiden.

    Selbst eine Isolierung von Weißrussland kommt für Polen nicht in Frage, auch wenn das im Westen der europäischen Union verwundern mag. Polen hält fest an der Östlichen Partnerschaft, weil sie als ein Weg erscheint, ein Gegengewicht zu Russland aufzubauen. Alles, was zusätzliche Masse in die Waagschale der EU wirft, ist von Vorteil und damit zu begrüßen. Eine Auffassung, die in Warschau durchaus kontrovers diskutiert wird und demzufolge Fragen aufwirft. Timoschenko gilt in Polen nicht ausschließlich als rundum bedauernswertes Opfer, Kwasniewski äußert sich entsprechend zurückhaltend:

    "Die Vorwürfe gegen Timoschenko haben gewisse Grundlagen, sie sind nicht nur erfunden. Wobei die wegen des Gasgeschäfts mit Russlands noch am zweifelhaftesten sind, denn hier geht es um politische Verantwortung."

    Und daraus einen Straftatbestand zu machen, ist kaum möglich, könnte das Ganze wohl etwas direkter formuliert lauten. Kwasniewski, der die beiden Politiker seit Langem kennt, verweist auf deren persönlich vergiftetes Verhältnis:

    "Das bewegt sich auf der psychologischen Ebene. Das sind Leute, die seit vielen Jahren in der Politik tätig sind und sich regelrecht hassen. Ihre Argumente, Vorwürfe sind oft sehr persönlich, überwiegen die sachlichen, die tatsächlich mit Politik oder Recht zu tun haben."

    Die Timoschenko-Beobachtermission der EU ist keineswegs nur Salbe für die Seele. Kwasniewski und Cox verweisen darauf, dass die Ex-Premierministerin, die zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt worden ist, wegen ihres Rückenleidens immerhin im Krankenhaus behandelt wird und nicht in Haft. Und Kwasniewski verzeichnet einen anderen handfesten Erfolg.

    "Eines der inhaftierten Kabinettsmitglieder, das inzwischen freigelassen wurde, ist der ehemalige Verteidigungsminister Waszczenko. Und wir hoffen, dass nach den Wahlen endlich Licht am Ende des Tunnels zu sehen sein wird, dass ein Ausweg aus dieser problematischen Situation gefunden wird."
    Kwasniewski erklärt die Härte von Präsident Janukowitsch. Dem hätte die langjährige Gegnerin, die 2004 aller Welt dessen Wahlfälschung vorführte, doch schon wieder gefährlich werden können. Janukowitschs Partei der Regionen und Timoschenkos Partei seien vor einige Monaten in Umfragen gleichauf gewesen, was der Präsident vor der Parlamentswahl nicht gebrauchen konnte. Die Demokratie in der Ukraine sei schwach, und leider viel zu viel Geld im Spiel, so Kwasniewski.