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Berenberg Verlag
Leuchtend in der Nische

"Mit der Zeit sind mir immer mehr Bücher zugeflogen, wo ich gerne mal meinen eigenen Stempel draufsetzen wollte." So beschreibt Verleger Heinrich von Berenberg die Motivation, 2003 seinen eigenen Verlag zu gründen. Nun wird sein Haus mit dem Kurt-Wolff-Preis ausgezeichnet. Die Belohnung für ein bescheidenes, hochwertiges Programm.

Von Holger Heimann |
    Der Verleger Heinrich von Berenberg, Porträt, in die Kamera lachend
    Der Verleger Heinrich von Berenberg (dpa/picture alliance/Uwe Zucchi)
    Die Wände der Erdgeschossräume in der Sophienstraße sind mit allerlei Zitaten versehen. Gleich rechts neben der Eingangstür ist zu lesen:
    "Was als Komödie anfing, endet als Triumphmarsch - oder etwa nicht?"
    Die in eine Frage mündende Feststellung stammt von dem chilenischen Schriftstellers Roberto Bolaño. Gleich gegenüber steht die Churchill-Zeile: "Das Schlimmste haben wir hinter uns." Im Nebenraum schließlich empfängt ein wahrhaft unvergesslicher Satz des Fußballers Uwe Seeler: "Ich muss eben einfach mehr zum Lesen kommen."
    Heinrich von Berenberg, der die Räume in der Mitte Berlins für seinen Verlag angemietet hat, freut sich, wenn er auf solche Zeilen stößt; Sätze, über die man stolpert und die oft genug schmunzeln lassen. Irgendwann stehen die Worte dann an der Wand, auf einem Plakat oder in der Vorschau des Verlags. Mit einem Lachen auf dem Gesicht blickt er sich um:
    "Es muss Spaß machen. Bücher lesen ist ja nun auch eine ernste Beschäftigung. Gerade unsere Bücher sind ja nicht anspruchslos. Also soll man da immer auch ein bisschen die Luft raus lassen und es ein bisschen komisch machen."
    Etwas Leichtes und Beschwingtes, eine nonchalante Lässigkeit umgibt auch den Mann selbst, der spät Verleger geworden ist. Er war 53 als er seinen Berenberg-Verlag begründete. Zuvor hat er als Lektor gearbeitet, erst bei Wagenbach, dann bei Antje Kunstmann, für die er unter anderem Bolaño entdeckt und übersetzt hat.
    Irgendwann wollte er nicht mehr nur Lektor sein.
    "Jeder Lektor hat das Problem, dass er älter wird und sich überlegen muss, was er macht. Da gibt es einige, die Schriftsteller werden, es gibt einige, die werden Kritiker. Es gibt auch welche, die sind umstandslos ins Verlegerfach gewechselt - mit einem eigenen Verlag. Ich habe einen gegründet, weil mir mit der Zeit immer mehr Bücher zugeflogen sind, wo ich so gerne mal meinen eigenen Stempel draufsetzen wollte. Es gab so ein paar Bücher Ende der 90er, wo ich gesagt habe, die gebe ich nicht mehr her."
    Abkehr von der programmatischen Grundidee
    Im Herbst 2003 erschien das erste Berenberg-Programm - mit vier Titeln, darunter Erinnerungen des britischen Ökonomen John Maynard Keynes an die Friedensverhandlungen von Versailles, eine Studie von Georg Brandes über Nietzsche, eine Kulturgeschichte der Zigarette. Damit war das Profil umrissen: autobiografische und biografische Literatur, Essays, Memoiren und Bücher zur Zeitgeschichte.
    "Das Urbuch ist das Buch von John Maynard Keynes geworden, was wir "Freund und Feind" genannt haben. Und da habe ich mir gedacht, darum baue ich mir einen kleinen Verlag, ein Verlagsprogramm, mit solchen Titeln. Das könnte die Nische sein. Und das ist die Nische auch geworden. Das ist bis heute im Wesentlichen auch die Nische geblieben."
    Noch etwas kam hinzu, die Bücher sollten dünn sein.
    Klaus Wagenbach, der wohl wichtigste Mentor für den späten Verleger, hat einmal gesagt, die menschenfreundliche Art von Büchern sei weniger als 200 Seiten dick. Heinrich von Berenberg hat das nie vergessen. Entscheidend nachgewirkt hat aber vor allem die Begegnung mit dem amerikanischen Historiker und Harvard-Professor Robert Darnton im Wagenbach Verlag:
    "Das ist ein unvergessliches Erlebnis. Wir wollten bei Wagenbach sein Buch über die Enzyklopädie machen. Das war ein 500-Seiten-Schinken. Er ist irgendwann mal im Verlag gewesen und fragte, was macht ihr so? Und wir sagten, na ja, wir haben dieses Buch. Es ist so toll, wir würden es gern machen. Und da hat er gesagt, ja und? Da haben wir gesagt, es ist zu dick. Und dann hat er gesagt, dann kürzt es doch. Da sind wir sowieso schon mal aus allen Wolken gefallen. Und dann hat er zur Begründung diesen epochalen Satz losgelassen: ‚In every fat book there is a small one, it's crying, let me out.' Und das war wirklich einfach toll. Das habe ich nie vergessen."
    Heinrich von Berenberg hat den dünnen Büchern, die aus den dicken raus wollten, einen bestechenden Auftritt verschafft. Der Berenberg Verlag leuchtet aus der selbst gewählten Nische - mit auffallend schönen, sorgsam gestalteten Titeln, deren Markenzeichen der schmale Buchrücken aus schwarzem Leinen und das farbige Vorsatzpapier sind. Neben dem Sinn für das Besondere steckt auch dahinter verlegerisches Kalkül:
    "Wenn man so klein ist, muss man auffallen. Die Bücher müssen herausstechen aus dem großen Einerlei, was man in den Buchhandlungen findet. Deswegen habe ich gesagt, es muss ein bisschen was Exklusives sein. Und es muss einen gewissen Nachhaltigkeitsfaktor haben. Die Bücher sollen haltbar sein, deswegen sind sie alle fadengeheftet. Das muss auch so bleiben. Ich freue mich immer noch: Die ersten Bücher, die im Verlag erschienen sind, kann man immer noch aufmachen, und sie sind immer noch vollkommen neu, sie fallen nicht auseinander, sie zerbröseln nicht."
    Behutsam hat Heinrich von Berenberg das Programm um Lyrik und schöne Literatur erweitert. Gerade sind Gedichte des Amerikaners Jeffrey Yang und ein schmaler fernöstlicher Roman, "Der Fuchs und Dr. Shimamura", von Christine Wunnicke erschienen. Auch dickere Bücher verlegt Berenberg jetzt. Eine Abkehr von seiner programmatischen Grundidee bedeutet das nicht und noch weniger vom ehernen Grundprinzip der Überschaubarkeit:
    "Ich möchte nicht zu viele Bücher machen, weil ich sonst den Überblick über das Programm verliere. Das ist etwas, das ich nicht leiden kann, dass ich ein Programm mache aus Quantitätserwägungen. Es gibt wirklich einfach zu viele Bücher."
    Sechs neue Titel umfasst das aktuelle Programm; darunter eine Abhandlung über das Papsttum und ein Essay über ein dunkles Kapitel deutscher Kolonialgeschichte. Die Startauflage von Berenberg-Titeln liegt selten über 2.000 Exemplaren. Vom erfolgreichsten Buch des Verlags, Richard von Schirachs "Die Nacht der Physiker", wurden 18.000 Exemplare verkauft. In den großen Verlagshäusern mag man darüber schmunzeln, aber das kümmert Heinrich von Berenberg nicht.
    Er verlegt schlicht und einfach die Bücher, die er verlegen will.
    "Du musst mit überschaubaren Mitteln auskommen"
    Womöglich sind ihm dabei diejenigen Titel, die am wenigsten beachtet und gelesen wurden, sogar die liebsten:
    "Und wenn man mich gefragt hat, können Sie davon leben? Dann antworte ich immer, nein, wenn Sie davon leben wollen, müssen Sie etwas anderes verkaufen, Schuhe zum Beispiel oder sich eine tolle App ausdenken."
    Der schmale, hochgewachsene Mann hat das Glück, dass er sich diese Haltung leisten kann, dass er mit seinem Verlag kein Geld verdienen muss - verlieren will er allerdings auch keines. Denn Heinrich von Berenberg ist Abkömmling einer Hamburger Bankiersfamilie. Um die Finanzen braucht er sich keine Sorgen zu machen:
    "Es ist eine der Ungerechtigkeiten, die in unserer Gesellschaft existieren. Ich komme aus einem privilegierten Milieu und habe vieles mitbekommen, auch das nötige Geld, um 2004 diesen Verlag in aller Vorsicht zu gründen. Ich glaube auch, dass es nötig ist. Wenn man so etwas machen will, zumal in unseren Zeiten, braucht man etwas Luft, um atmen zu können, um nicht von Anfang an sofort Angst zu haben, dass es nicht geht. Wenn ein Programm den Bach hinuntergeht, dass man sofort zumachen muss. Diese Angst sollte man, zumal am Anfang, nicht haben, weil sie einen abhält. Ich bewundere die Leute, die es geschafft haben, mit erheblich weniger privilegierten Hintergründen so ein Unternehmen zu gründen. Ein ungerechtfertigtes Privileg, wenn man so will, aber es ist vorhanden, und ich habe versucht, das Beste daraus zu machen."
    Das bedeutet jedoch nicht, dass der Verleger einen Reichtum zur Schau stellt und bedenkenlos Geld in den Verlag investiert. Prunk und Protz sind ihm ebenso fremd wie das Vabanquespiel mit teuren Verlagsrechten.
    "Ich bin in einem protestantischen Milieu aufgewachsen und ich habe mir von Anfang an auch gesagt, du musst es begrenzen, du musst mit überschaubaren Mitteln auskommen. Ich mache eine strenge Trennung zwischen dem Wohlstand, in dem ich lebe, und dem Budget des Verlages."
    Im kommenden Herbst sollen neben den gewohnt schlanken Titeln zwei ungewöhnlich dicke Bücher erscheinen: Ein Diarium von Michael Rutschky und das Buch eines BBC-Journalisten, das in den Kongo und nach Belgien, nach New Mexiko und Japan führt. Nachgezeichnet wird darin der verschlungene Weg bis zur Konstruktion der Hiroshima-Bombe. Es sind beides teure Produktionen, für die das Kurt-Wolff-Preisgeld gerade recht kommt.