Die diplomatischen Drähte liefen heiß, den wieder aufgebrochenen Konflikt schnell zu lösen. Beide Seiten erklärten gestern, ihre bewaffneten Auseinandersetzungen zu beenden, doch in der umkämpften Enklave wurde sogleich eingeschränkt, dass man erst dann zu einem Kompromiss bereit ist, wenn Aserbaidschan die Republik Berg-Karabach offiziell anerkennt. Das dürfte eine schnell und vor allem dauerhafte Lösung erschweren.
Hinter allen Bemühungen bleibt die Frage: Weshalb gerade jetzt dieser Gewaltausbruch. Der russische Historiker Andrej Subow, sagt, er sei nicht überrascht worden und weiß angeblich, wer angefangen hat:
"Leider wurde der Krieg schon seit langem erwartet. Diese Eskalation geht von Aserbaidschan aus. Armenien hat alles bekommen, was es wollte, die Kontrolle über seine Grenze von Berg-Karabach und für Armenien war es das wichtigste, alles zu erhalten, wie es war. Aserbaidschan träumt von der Wiederherstellung der territorialen Einheit und nicht zu vergessen, dass ein Fünftel seines Gebietes von Armenien okkupiert wurde."
Niedergang der aserbaidschanischen Wirtschaft
Swetlana Gannuschkina, die den Ausbruch des Konfliktes 1988 als Menschenrechtlerin aus nächster Nähe beobachtet hatte, sieht im Niedergang der Wirtschaft und der damit einhergehenden politischen Krise in Aserbaidschan die eigentliche Ursache.
"Solche Zuspitzungen geschehen in Zeiten, in denen sich herrschende Regierungen schwach fühlen. Das hat in Aserbaidschan wie bei uns in Russland zurzeit vor allem mit dem gefallenen Ölpreis zu tun. Präsident Ilcha Alijew steht unter Druck. Er hat auf Drängen des Westens eine Amnestie für politische Häftlinge verkündet und das könnte von dem Kreis um seinen Vater und ehemaligen Präsidenten als Schwäche ausgelegt werden."
Das noch größere Interesse an einem Wiederaufflammen des seit 1988 ungelösten Berg-Karabach-Konfliktes aber habe die Türkei, ist der russische Politologe Alexander Skakow überzeugt. Der türkische Präsident Erdogan hatte mehrfach einen Besuch in Baku geplant, wegen der Terroranschläge in der Türkei aber verschoben.
Die bis vor kurzem freundschaftlichen Beziehungen zwischen Ankara und Moskau hatten sich rapide verschlechtert nach dem türkischen Abschuss eines russischen Kampffliegers im Herbst, die türkischen Interessen richten sich jetzt gegen Moskau. Der Historiker Subow:
"Aserbaidschan wird zweifellos von der Türkei unterstützt. Die Türkei will, dass der Südkaukasus nicht mehr länger nur russisches Einflussgebiet ist."
Türkei sichert Aserbaidschan Solidarität zu
Die Türkei werde immer an der Seite Aserbaidschans sein, versicherte gestern der türkische Premier Davutoglu. Russische Fernsehsender berichten, dass sich in den Reihen der aserbaidschanischen Streitkräfte türkische Instrukteure befinden sollen.
Russische Streitkräfte stehen in Armenien, Moskau versteht sich als Schutzmacht Jerewans, aber unterhält auch gute Verbindungen zu Aserbaidschan, verkauft Waffen an Baku. Deswegen ist die offizielle Mittlerposition Moskaus derzeit glaubwürdig. Präsident Putin rief als erster zu einer Beilegung des Konfliktes auf. Deutlich später reagierte Erdogan.
Den Zeitpunkt der neuen Eskalation, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag begann, hält der Historiker Subow nicht für zufällig: Sowohl der armenische als auch der aserbaidschanische Präsident hätten sich außer Landes befunden.
"Solange sich die Präsidenten Aserbaidschans und Armeniens in den USA befinden, ist es sehr einfach, den Konflikt militärisch zu lösen. Wenn es nicht gelingt, sind der General oder die lokalen Kräfte, von denen diese Initiative ausgegangen sein soll, Schuld und sie werden entlassen oder degradiert, wenn es aber gelingt, gibt es einen Effekt wie bei der Krim. Putin hat nach der Okkupation der Krim seine Popularität erhöht und genau davon träumt der aserbaidschanische Präsident: Das Lebensniveau ist gesunken, den Leuten geht es schlecht, der Präsident will seine Beliebtheit erhöhen, indem er die territoriale Einheit des Landes wiederherstellt."