Sina Fröhndrich: Wir verschwenden zu viele Nahrungsmittel, wir essen zu viel Fleisch und wir sind zu dick. Der Weltklimarat fordert deswegen: Wir sollten uns anders ernähren, Land anders nutzen. Denn: Die Landwirtschaft, die Forstwirtschaft und andere Landnutzung waren von 2007 bis 2016 für 23 Prozent der vom Menschen verursachten Treibhausgase verantwortlich.
Wir müssen also umsteuern – doch wie gerecht kann das sein? Das besprechen wir mit Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik. Herr Ekardt, wir sollen weniger Fleisch essen, das passt zur Diskussion in Deutschland, dass Fleisch teurer werden soll - aber ist das fair? Was halten Sie von dem Argument, dass sich dann der Hartz-IV-Empfänger nicht mehr das Schnitzel leisten kann?
Felix Ekardt: Es gibt höchst unterschiedliche Vorstellungen davon, was verteilungspolitisch gerecht ist. Die einen sind für Kommunismus, die anderen finden auch große Einkommensunterschiede vertretbar, deswegen entscheidet man das im demokratischen Diskurs.
Und witzigerweise wird diese Verteilungsfrage immer bei Umweltproblemen aufgemacht, ansonsten wird sie ziemlich selten gestellt. Auch bisher kann sich nicht jeder alles leisten und es wird wenig darüber geredet, dass wir massive Schäden in anderen Teilen der Welt und bei künftigen Generationen anrichten mit dem, wie wir leben. Auch ALG-II-Empfänger sind im Weltmaßstab kaufkraftbereinigt vergleichsweise wohlhabend, sie gehören zu den 15 Prozent der einkommensstärksten Gruppen weltweit.
"Der Klimawandel ist heute schon tödlich"
Fröhndrich: Wenn Sie jetzt das weltweite Fass sozusagen schon aufmachen, das macht ja auch der Weltklimarat, der eben sagt, wir sollten halt alle einfach weniger Fleisch essen. Ist es denn fair, dass wir, die jahrelang einfach Fleisch konsumiert haben, wie wir das wollten und konnten, jetzt anderen Ländern, die sich gerade entwickeln und dahinkommen, dass eben Fleisch erschwinglich wird - vielleicht auch für jeden Tag -, dass wir denen vorschreiben, für euch gilt das nicht mehr so?
Ekardt: Der Klimawandel ist heute schon tödlich für viele Menschen weltweit und der wird noch viel tödlicher werden. Er droht, Kriege auszulösen, riesige Migrationsbewegungen, drastische ökonomische Folgen. Und der Einsatz fossiler Brennstoffe, der stark hinter dem Klimawandel steht, ist auch so unheimlich kostenintensiv und tödlich heute schon, beispielsweise über Luftschadstoffe.
Wir sollten deswegen aufhören mit diesen Schwarze-Peter-Spielen, wo irgendwie die Oberschichten in den Schwellenländern und wir in den westlichen Ländern, die beide jeweils beitragen zum Klimawandel, sich den Schwarzen Peter wechselseitig zuschieben. Wir müssen weltweit zu Null-Emissionen kommen, dazu haben wir uns völkerrechtlich verpflichtet im Pariser Klimaabkommen - und zwar in rund zwei Jahrzehnten, sonst ist die 1,5-Grad-Grenze nicht einzuhalten.
Fröhndrich: Aber ist es denn fair, dass Länder auch Kraftanstrengungen zum Klimaschutz machen müssen, die zugleich auch schon darunter leiden durch Dürren, durch Überschwemmungen?
Ekardt: Es müssen alle Länder zu null Emissionen kommen. Die Frage ist, welche Länder welche anderen Länder finanziell wie unterstützen müssen dabei. Und natürlich sind die Länder unterschiedlich leistungsfähig und sie haben unterschiedlich beigetragen in der Vergangenheit zum Klimawandel.
Genau bei dieser Kostenlast muss man das berücksichtigen, aber rauskommen müssen am Ende alle trotzdem bei null Emissionen. Das heißt, die Hoffnung, dass jetzt alle mal so besinnungslos durch die Gegend fliegen können, wie das irgendjemand mal in der Vergangenheit gemacht hat, können wir der Welt nicht geben.
"Dann haben wir 100 Millionen Afrikaner, die nach Europa wollen"
Fröhndrich: Das heißt also, wir können und müssen jetzt dann auch einigen Ländern oder Bewohnern einiger Länder, in denen viele noch nicht einmal ein Flugzeug von innen gesehen haben, sagen, das wird auch so bleiben, die Chance bekommt ihr nicht.
Ekardt: Zunächst mal müssen wir aufhören, selber ständig ein Flugzeug von innen zu sehen, sonst wird auch unsere Predigt völlig folgenlos bleiben und als lächerlich empfunden werden - zu Recht. Wir müssen aufhören damit und müssen andere finanziell kompensieren auch teilweise dafür, dass sie bestimmte Möglichkeiten nicht haben werden.
Nur auch an der Stelle ist es so, wenn wir jetzt einfach sagen, wir machen weiter wie bisher und obendrauf fliegt jetzt auch noch die Mittelschicht in China, Indien und so weiter in unserem Maßstab, dann vermehren wir die ohnehin schon vorhandenen Opfer des Klimawandels immer weiter. Das heißt, es geht nicht darum, dass andere bestimmte schädliche Dinge genauso oft wie wir machen, sondern es geht darum, dass wir bestimmte Dinge seltener machen.
Natürlich wird man immer versuchen, zunächst mal eine technische Lösung zu finden, das ist attraktiver, das ist leichter umzusetzen, aber das ist wahnsinnig schwierig. Die technischen Lösungen haben, gerade beim Fliegen, gerade beim Konsum tierischer Nahrungsmittel häufig einen Pferdefuß.
Insoweit müssen wir tatsächlich an der Stelle klar darüber reden, was wir an Schäden an der Stelle verursachen und ob das weiter tragbar ist. Und wir sollten uns auch mal fragen, was passiert, wenn wir die Sache weiter ignorieren, wenn wir beispielsweise den Klimawandel weiterlaufen lassen, dann sagen eben vielleicht fünf oder zehn Prozent aller Afrikaner zutreffend, wir können hier nicht mehr leben in Afrika, es ist zu warm, wir müssen nach Europa.
Und dann haben wir nicht, was in Europa bereits Panik ausgelöst hat, eine Million Afrikaner, die nach Europa wollen, sondern vielleicht 100 Millionen Afrikaner. Und darüber muss man dann halt auch reden.
"Die Industrieländer können sich nicht den Schwarzen Peter zuschieben"
Fröhndrich: Und wenn wir jetzt mal auf das Beispiel Landnutzung noch mal schauen, die soll nachhaltiger sein, fordert der Weltklimarat. Nehmen wir das Beispiel Brasilien, die Abholzung des Regenwaldes, das passiert auch, um dann irgendwann mit diesem fruchtbaren Land zu spekulieren. Da geht es um wirtschaftliche Interessen. Müssen wir nicht auch Brasilien zugestehen, sich wirtschaftlich weiterzuentwickeln, wäre das nicht fair?
Ekardt: Vor allem wäre es weiterhin sehr unfair gegenüber den Opfern des Klimawandels gerade in den ärmeren Gegenden der Welt und auch unter künftigen Generationen. Die Schwellenländer und ihre begüterten Oberschichten, Brasilien ist da ein schönes Beispiel, und die Industrieländer können sich nicht wechselseitig den Schwarzen Peter zuschieben. Wir müssen in Europa zu null Emissionen kommen, und die Brasilianer müssen es auch.
Fröhndrich: Sie haben das schon angedeutet, das ist am Ende alles sehr komplex, braucht auch komplexe Antworten. Wenn man sich jetzt den Bericht des Weltklimarates anschaut, dann klingt das so ein bisschen nach radikal umsteuern, alle zusammen sollen die Welt retten. Ist das nicht eine Utopie?
Ekardt: Wenn wir in die Verhaltensforschung gucken, wissen wir, dass wir als Menschen ziemlich irrational sind, wir folgen unseren Gefühlen häufig, Bequemlichkeit, Gewohnheit, Verdrängung, wir neigen zu Ausreden, wir suchen andere Sündenböcke. Wir wollen selber unser Leben nicht ändern, und das gilt für uns alle, das gilt aber auch für Politiker und für Unternehmer - und all diese Leute hängen wechselseitig voneinander ab.
Politik und Bürger zeigen wechselseitig aufeinander, Unternehmen und Konsumenten zeigen wechselseitig aufeinander, jeweils der andere ist schuld, Länder zeigen aufeinander und die Debatte Lebensstil ändern oder Politik ändern ist auch so ein Weg, sich gegenseitig verantwortlich zu machen. Gesellschaftlicher Wandel geschieht im Wechselspiel verschiedener Akteure, da bin ich ein Teil davon, ich als Bürger bin immer auch Konsumbürger und politischer Bürger. Das ist nicht nur alle paar Jahre wählen gehen, ich kann rein in die Parteien, rein in die Verbände gehen, hin zu Demonstrationen, kann mich im Internet engagieren.
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Ganze rechtzeitig in Gang kommt beim Klimaschutz, ist tatsächlich sehr begrenzt. Es kann sehr gut sein, dass wir gegen den Baum fahren, das wird allerdings für die Menschheit dann ein existenzielles Problem sein. Wenn es allerdings passiert, dann war es nicht der liebe Gott, dann haben wir es nicht besser hingekriegt.
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