Die Ergebnisse des Senatsberichts seien "skandalös", so Voigt. Sie zeigten, dass nach den Anschlägen des 11. Septembers 2001 in den USA die Balance "zu sehr in Richtung Sicherheit und dies zu Lasten der Freiheit" verändert worden sei. Als Beispiel nannte er das US-Bundesgesetz Patriot Act.
Nach dem nun veröffentlichten Bericht über die Foltermethoden des Geheimdienstes CIA erwartet der SPD-Politiker eine Debatte über diese "Fehlentwicklung". Das Trauma der amerikanischen Gesellschaft nach 9/11 erkläre zwar, entschuldige aber nicht, dass sich das Land so entwickelt habe.
Dass die Verantwortlichen für die Folterpraxis auch rechtlich zur Rechenschaft gezogen werden, erwartet Voigt allerdings nicht. In Deutschland würden sie strafrechtlich verfolgt werden, hier offenbare sich die unterschiedliche politische Kultur zwischen der Bundesrepublik und den USA. Barack Obama sei als US-Präsident Teil dieser Kultur, auch jetzt werde er "nicht viel machen".
Das Interview in voller Länge:
Thielko Grieß: Mehr als 6.000 Seiten umfasst der Bericht der demokratischen US-Senatorin Dianne Feinstein und ihrer Mitarbeiter. Davon sind nur einige hundert als Zusammenfassung öffentlich. Es braucht eben all diesen Platz, um zu beleuchten, wie einer der vielen US-Geheimdienste, die CIA, versucht hat, Informationen aus Gefangenen herauszupressen, buchstäblich herauszupressen offenbar. Das jedenfalls legt der Bericht nahe. Eine Auswahl der Foltermethoden für 119 Häftlinge könnte so lauten: Temperaturen in der Haftzelle von heiß auf kalt ändern und wieder zurück, natürlich ohne Ankündigung, Schlafentzug, Desorientierung, laute Musik, in wenigen Fällen auch das berüchtigte Waterboarding, also die Simulation zu ertrinken - wie gesagt nur eine Auswahl. Die Vereinigten Staaten debattieren, wie dieser Bericht zu bewerten ist.
Am Telefon begrüße ich jetzt Karsten Voigt, der von 1999 bis 2010, also elf Jahre lang, Koordinator der Bundesregierung für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit war. Guten Morgen, Herr Voigt.
Karsten Voigt: Guten Morgen, Herr Grieß.
Grieß: Wissen Sie jetzt genug über die Folterkeller der CIA?
Voigt: Genug, um das, was herausgekommen ist, für skandalös zu halten, und das empfinde ich ja genauso wie viele Amerikaner, auch viele amerikanische Politiker. Und jetzt geht es darum, die politisch Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, damit gezeigt wird, dass das amerikanische demokratische System mit solchen Fehlentwicklungen in einer konstruktiven Weise umgehen kann. Das heißt, die Missstände beheben kann.
Keine Aussicht auf strafrechtliche Verfolgung
Grieß: Das mögen Sie sich wünschen, aber es sieht in den Vereinigten Staaten ja überhaupt nicht danach aus, dass irgendjemand mit Verantwortung diese Verantwortung wird beweisen müssen.
Voigt: Es geht ja um die politische Verantwortung. Darüber gibt es eine Debatte, die ist kontrovers. Und dann geht es um eine rechtliche Verantwortung. Da, glaube ich, ist bedauerlicherweise es nicht abzusehen, dass irgendwelche Leute vor Gericht gestellt werden. In Deutschland wären solche Entscheidungen, solche Handlungen, solche Folterei eindeutig strafbar und würde auch strafrechtlich verfolgt. Aber hier zeigt sich in einem von vielen Punkten, dass die Kultur im Umgang mit Nachrichtendiensten in Deutschland und in den USA anders ist.
Grieß: Wie soll die politische Verantwortung am Ende aussehen, dass jemand sie wahrnimmt? Alle diejenigen, die betroffen sind, George W. Bush und andere, sind längst nicht mehr im Amt.
Voigt: Das ist klar. Das ist eine Sache, womit sozusagen nur noch ihr Bild in der Geschichte verändert wird und von der liberalen Seite in den USA ja natürlich noch weiterhin in negativer Richtung. Aber es geht natürlich darum, dass jetzt eine öffentliche Debatte stattfindet in den Medien, die findet statt, im Kongress stattfindet, die findet auch statt. Aber da gibt es dann natürlich die Gegenbewegung durch zahlreiche Leute besonders auf der republikanischen Seite. Und dann ist es immer noch so, dass 9/11 insgesamt ja die USA in einer Weise verändert haben, wo die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit zu sehr in Richtung Sicherheit verschoben ist. Das muss nicht nur in Bezug auf die Nachrichtendienste, sondern auch in Bezug auf die Gesetzgebung meiner Meinung nach verändert werden. Ob das passiert, kann ich natürlich nicht voraussagen.
Grieß: Nun ist 9/11, der 11. September 2001, nicht nur ein schrecklicher Tag gewesen, sondern auch ein Trauma der Vereinigten Staaten. Reicht das, um mildernde Umstände geltend zu machen?
Voigt: Nein, das reicht nicht. Das erklärt es, aber es entschuldigt es nicht. Und ich sage noch einmal: Aus meiner Sicht - diese Sicht wird von Amerikanern geteilt, aber lange nicht von allen - ist die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit insgesamt nach 9/11 ins Rutschen geraten, hat sich zu sehr in Richtung Sicherheit verschoben und zu sehr zu Lasten Freiheit. Das gilt für das Patriot Act. Wichtige Sachen in diesem Patriot Act sind nach wie vor noch in Kraft, die meiner Meinung nach in die Freiheitsrechte von Bürgern eingreifen. Also es ist keineswegs so, dass die Debatte jetzt mit der Debatte über die Missstände und Fehlentwicklungen im CIA beendet ist.
"Obama hat sich im Zweifel immer vor die Nachrichtendienste gestellt"
Grieß: Was erwarten Sie vom amtierenden US-Präsidenten, von Barack Obama, um sichere Schranken einzuführen, die dazu führen könnten, dass solche Rückfälle künftig nicht mehr geschehen können?
Voigt: Da muss man ganz nüchtern sehen: Der amerikanische Präsident ist Teil der amerikanischen politischen Kultur. Er steht auf der liberaleren Seite, aber die liberalere Seite in den USA ist immer noch von den Ereignissen, dem Schock von 9/11 geprägt, anders als wir. Wir haben das nicht erfahren und werden das hoffentlich nicht erfahren. Aber das heißt, vieles von dem, was ich mir wünschen würde, was in Amerika jetzt passiert in Bezug auf die Debatte und in Bezug auf die Bereinigung von Fehlentwicklungen, wird er nicht machen. Er hat sich immer im Zweifelsfall vor die Nachrichtendienste gestellt. Diesen Foltervorwürfen, denen wird er nachgehen, das wird er verurteilen, aber er hat sich insgesamt immer in einer Weise vor die Nachrichtendienste gestellt, wie ich das hier in Deutschland hoffentlich nie erleben werde, wenn solche Fehlentwicklungen stattfinden würden, was ich aber nicht sehe zurzeit bei uns. Und er hat sich auch immer in sehr starker Weise für die Beibehaltung von Gesetzen ausgesprochen, die ich für problematisch halte.
Grieß: Nun ist es so, das jedenfalls legt der Bericht nahe, dass die Folterungen nicht so sehr in den Vereinigten Staaten stattgefunden haben, sondern vor allem in Polen, in Rumänien, wohl auch Litauen. Das sind alles europäische Länder, Herr Voigt. Wie viel Selbstkritik braucht unser Kontinent und brauchen unsere Staaten?
Voigt: Natürlich macht es einen Unterschied aus, ob man sozusagen selber foltert, oder ob man auf seinem Land foltern lässt. Aber das ändert ja nichts an der Mitverantwortung. Und soweit ich die polnische Diskussion verfolge, hat die ja jetzt begonnen. Kwasniewski, der ehemalige Präsident, hat ja eine gewisse Mitverantwortung zugestanden. Aber damit ist die Debatte dort nicht beendet. Diese europäischen Aspekte, die werden bestimmt nicht nur in den betroffenen Ländern, sondern in Europa insgesamt diskutiert werden.
"Es braucht eine richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit"
Grieß: Das ist vor allem deshalb interessant, weil Sie vorhin erwähnt hatten, dass Sie ähnliche Entwicklungen in Deutschland zum Beispiel nicht sehen. Aber es zeigt doch auch deutlich, dass das moralische Lot in Europa sehr schnell auch aus dem Lot geraten kann.
Voigt: Ich sehe solche Entwicklungen, wie sie in den USA stattgefunden haben, in Deutschland nicht. Das ändert aber nichts daran, dass es immer wieder auch Fehlentwicklungen bei uns in den Nachrichtendiensten gegeben hat. Deshalb muss es immer darum gehen, auch eine vernünftige politische Aufsicht über die Arbeit der Nachrichtendienste bei uns zu haben. Man kann das nicht einfach so treiben lassen oder sich entwickeln lassen, sondern auch bei uns geht es immer darum, die richtige Balance zwischen Freiheit und Sicherheit herzustellen, und diese Debatten werden nie enden und es wird auch immer wieder Missstände geben. Ich selber bin in einem oder zwei Fällen davon auch selber betroffen gewesen. Aber die Kultur im Umgang mit den Nachrichtendiensten - das möchte ich noch mal hervorheben - ist in Deutschland und den USA sehr unterschiedlich. Es sind ja auch sehr unterschiedliche Dienste. Die haben unterschiedliche Aufgaben, unterschiedliche Größenordnungen. Und 9/11 hat es bei uns auch nicht gegeben. Also insgesamt gibt es bei uns Missstände, sie sind aber in einer anderen Qualität als die, die in den USA wir jetzt wieder zu beklagen haben.
Grieß: Weiß Deutschland alles, was es wissen muss, was die Foltermethoden der CIA anbetrifft?
Voigt: Das weiß ich nicht. Das kann ich schlicht und ergreifend nicht beurteilen. Aber wir wissen genug, um zu sagen und zu wissen, dass man bei aller Partnerschaft und Zusammenarbeit mit dem CIA, die es ja auch gibt, immer im Einzelfall darauf achten muss, ob dabei die deutschen Rechtsnormen beachtet werden und nicht etwa verletzt werden. Und das ist ein Punkt, wo man immer wieder neu darauf hingucken muss und sich nicht automatisch auf ein Vertrauen gegenüber dem Partnerdienst, mit dem man ja weiterhin zu tun hat, dem CIA, verlassen kann.
Grieß: …, sagt Karsten Voigt, der elf Jahre lang Koordinator verschiedener Bundesregierungen für die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit war, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Herr Voigt, danke schön für Ihre Einschätzungen und Analysen.
Voigt: Auf Wiederhören.
Grieß: Auf Wiederhören und einen schönen Tag.
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