Britta Fecke: Der Satz, das Wort, die Sprache - allein die willkürlich wirkende Wahl der Artikel zeigt, wie schwierig es sein muss, diese unsere Sprache nach der eher intuitiven Phase der kindlichen Nachahmung zu lernen -für erwachsene Syrer beispielsweise oder jugendliche Türken. Eine Methode der Artikelfrage zu entgehen ist sie einfach wegzulassen. "Ich geh Hotel." Heißt es dann oder: "Du suchst Wort" klingt nicht schön, ist aber bei der Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in größeren deutschen Städten öfter zu hören.
Wie hat sich die deutsche Sprache im Laufe der letzten Jahre verändert, welchen Einflüssen war sie ausgesetzt? Stichwort Chat-Kommunikation, oder Zuwanderung.
Heute haben die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung und die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften ihren zweiten Bericht zur Lage der deutschen Sprache in Berlin vorgestellt haben. Von Professor Wolfgang Klein, Vizepräsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, wollte ich wissen warum Artikel und Präpositionen weggelassen werden und es am Ende nur noch heißt: "Ich geh Hotel".
Wolfgang Klein: Es fällt nicht nur in der deutschen Sprache weg, sondern in der Sprache von einigen, vergleichsweise wenigen Leuten, in erster Linie bei türkischen Jugendlichen, und das hängt wahrscheinlich mit strukturellen Eigenschaften des Türkischen zusammen, weil man da auch die entsprechenden Elemente oft nicht hat. Eine andere Frage ist, inwieweit sich das durchsetzt bei nichttürkischen Jugendlichen, und da ist es so, dass in der Tat in Gegenden, wo es einen relativ starken Sprachkontakt gibt, auch deutsche Jugendliche das übernehmen.
"Der deutsche Wortschatz wird immer größer"
Fecke: Das heißt, Neukölln, da passiert das öfter als …
Klein: Ja, ganz genau. Es gibt eine sehr schöne Untersuchung, eine Dissertation von einer Frau namens Marossek, die das in insgesamt 30 Berliner Schulen untersucht hat. Da ist es so, dass das je nach Gegend, Neukölln beispielsweise gegenüber Zehlendorf, ganz unterschiedlich häufig aufgenommen wird. Aber es wird normalerweise nur gemacht in der Kommunikation zwischen Jugendlichen. Es gibt einige wenige Fälle, in denen dann Lehrer das in der Tat auch so sagen, aber auch da nur, wenn sie mit den Jugendlichen, die das häufig sagen, in Kontakt sind. Das ist also ein Phänomen, das es durchaus gibt. Das ist ganz klar. Aber es ist begrenzt auf eine relativ kleine Gruppe.
Fecke: Der erste Bericht zur Lage der deutschen Sprache erschien 2013, also vor vier Jahren, zu den Themengebieten Wortschatz, Anglizismen und Nominalstil. Was hat sich denn seitdem getan?
Klein: Die deutsche Sprache hat sich weiter verändert, denn jede Sprache verändert sich. Aber das kann man durch einen Vergleich zwischen dem ersten und dem zweiten Bericht eigentlich nicht sagen. Man kann zum Beispiel sagen, dass sich der deutsche Wortschatz fortwährend verändert. Er wird eigentlich immer größer, ganz deutlich größer, und das wird wahrscheinlich auch für die letzten vier Jahre gelten. Das haben wir aber nicht untersucht, sondern das Thema des zweiten Berichts über die deutsche Sprache war eigentlich die Vielfalt des Deutschen. Das Deutsche ist ja nicht nur die Standardsprache, was man so in der Schule lernt oder in den Zeitungen liest oder wie wir es beispielsweise jetzt sprechen, sondern es gibt unglaublich viele Dialekte, Soziolekte, dann, was wir eben hatten, Jugendsprache, Migrantensprache, Internetkommunikation. Da verändert sich in der Tat einiges.
"Neue Wörter kommen, wenn es neue Dinge gibt"
Fecke: Lassen Sie uns trotzdem kurz beim Wortschatz bleiben, weil den haben Sie gerade noch erwähnt. Sie sagen, der ist größer geworden, der Wortschatz.
Klein: Ja.
Fecke: Ist der durch neue Wörter, die mit der Migration zu uns kamen, angewachsen, oder schöpfen wir selber neue Wörter?
Klein: Wir schöpfen in erster Linie selber neue Wörter. Neue Wörter kommen normalerweise dann in eine Sprache hinein, weil es neue Dinge gibt, über die man irgendwie redet oder reden möchte, neue Gegenstände, die man irgendwie benennen möchte. Denken Sie an so einen Fall wie, sagen wir, vor 100 Jahren das Auto, dass man erstmals ein Fahrzeug hatte, was sich von selbst bewegt hat. Dann musste man irgendwie ein Wort dafür haben. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten: Entweder man erfindet es als total neues, was ganz selten vorkommt interessanterweise, oder man übernimmt etwas aus einer anderen Sprache. Das ist der Fall mit Automobil, wo es in diesem Beispiel sogar so ist, dass man etwas aus dem Griechischen und aus dem Lateinischen kombiniert hat. Oder aber man nutzt die Möglichkeiten der Wortbildung, und das Deutsche ist, glaube ich, unter allen Sprachen, soweit ich sie kenne - und ich kenne einige -, jene, die die reichsten Wortbildungsmöglichkeiten hat. Damit meine ich nicht nur so wahnsinnig komplizierte Sachen wie Donaudampfschifffahrtskapitän - das ist das Standardbeispiel -, sondern relativ einfache Wörter, sagen wir mal stahlblau oder so etwas. Das Deutsche macht in einem unglaublichen Ausmaß davon Gebrauch.
Fecke: Haben Sie denn auch ein aktuelles Beispiel für eine neue Wortschöpfung?
Klein: Ja: Abwrackprämie.
Fecke: Dieseldesaster.
Klein: Ja, genau. An dem Beispiel kann man sehr schön sehen, wie das funktioniert. Die Abwrackprämie - das Wort kam auf, als vor vielleicht zehn Jahren aufgrund einer Krise auch es große Prämien gegeben hat. Das Wort ist dann wieder weithin verschwunden, nachdem diese Prämie nicht mehr gezahlt wurde, und jetzt kommt es auf einmal wieder auf, weil es einen Grund dafür gibt.
"Wörter verschwinden nur selten"
Fecke: Es gibt aber auch viele schöne Wörter, die verschwinden, wie Kokolores oder Sapperlot oder brüsk oder potzblitz. Was machen Sie denn damit? Werden die unter Schutz gestellt? Bekommen die einen Wortpaten, der sich verpflichtet, die öfter zu nennen?
Klein: Ich finde es eigentlich sehr schön, wenn man mal so eine Regel einführen würde, oder überhaupt vielleicht mehr Verben wieder unregelmäßig flektieren würde, statt "er erbte" "er arb" sagen würde oder so. - Nein, im Ernst: Erstens ist es ja jedem unbenommen, diese Wörter weiterhin zu gebrauchen. Dass die Wörter verschwinden, heißt einfach nur, dass es weniger Leute gibt, die sie dann noch verwenden. Es ist allerdings ein Irrtum zu glauben, dass diese Wörter völlig verschwinden. Das ist ein Fall, der vergleichsweise selten ist. Die haben dann nur irgendwie eine altertümliche, eine altfränkische Anmutung. Man staunt. Wir haben das mal wirklich untersucht für das Wort Weiland. Das taucht erstaunlich häufig auf, heute noch, und dann hat man irgendwie so einen altertümlichen Touch, sage ich jetzt mal, und das kann man einfach ausnutzen, um einen bestimmten Effekt zu erzielen.
Wörter verschwinden, Sie haben recht, aber es ist A vergleichsweise selten und B wenn sie dann verwandt werden, dann haben sie irgendwie eine eigentümliche stilistische Konnotation. Und das ist sehr, sehr selten im Vergleich zu der Zahl der Wörter, die hinzukommen.
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