Die Journalistin Anna Politkowskaja, Ex-Agent Alexander Litwinenko, Oppositionspolitiker Aleksej Nawalny – die Liste russischer Opfer von Giftanschlägen ist lang, das hier sind nur einige der prominentesten Namen. Litwinenko wurde sogar mitten in London vergiftet, Nawalny in der Berliner Charité behandelt.
Und in Berlin spielt auch ein Teil der Geschichte, die gerade Schlagzeilen macht: Denn eine exilrussische Journalistin soll in dem Universitätskrankenhaus behandelt worden sein. Gemeinsam mit einer weiteren Exilrussin hatte sie zuvor an einer Konferenz in der deutschen Hauptstadt teilgenommen. Beide klagten anschließend über gesundheitliche Probleme.
Bislang keine belastbaren Belege für Vergiftung
Die eine, Leiterin der gemeinnützigen Organisation „Freies Russland“ mit Sitz in den USA, habe auf Facebook berichtet, sie habe "seltsame Symptome" und einen "akuten Schmerz" gespürt, geblieben sei zudem ein Taubheitsgefühl. Darüber berichtete die „Welt am Sonntag“ zunächst mit Bezug auf das russische Portal Agentstvo. Bei der anderen in Berlin behandelten Journalistin können demnach die Symptome bereits vor der Konferenz aufgetreten sein.
Diese Mitarbeiterin des seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine in Russland
verbotenen Radiosenders Echo Moskwy
habe deshalb auch um Zurückhaltung gebeten, sagte Russland-Expertin Gesine Dornblüth im Deutschlandfunk. Die Berliner Polizei ermittele zwar, es gebe bisher aber „keine Erkenntnisse über belastbare Belege für eine Vergiftung“.
In dem Kollegengespräch erinnert die frühere Moskau-Korrespondentin daran, dass es bereits zur Zeit der Sowjetunion gezielte Giftanschläge gegeben habe.
Aber auch im modernen Russland seien „zahlreiche Journalisten vergiftet worden“, so Dornblüth.
DJV: Diplomatische Antworten im Fall der Fälle
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hatte zuvor "diplomatische Antworten" von Seiten der Bundesregierung gegenüber Russland verlangt, wenn sich der Verdacht von Giftanschlägen auf die zwei Journalistinnen bestätigen sollte.
"Dass der Kreml kritische Journalistinnen und Journalisten auch im Ausland unter Druck zu setzen versucht, ist schlimm genug", erklärte der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall. Sollte sich herausstellen, dass Russlands Präsident Wladimir Putin "sogar vor Mordversuchen nicht zurückschreckt, ist eine klare Antwort des Auswärtigen Amtes unverzichtbar".
Die Journalistinnen hatten im April an einer Konferenz des russischen Regierungskritikers Michail Chodorkowski teilgenommen. Die Sicherheitsvorkehrungen dort seien „relativ lax“ gewesen, sagt Gesine Dornblüth, selbst Teilnehmerin an der Konferenz. Die Veranstaltung habe in einem Bürogebäude in Berlin-Mitte stattgefunden, ein Zugang sei ungehindert ohne Kontrollen möglich gewesen.
Angst vor Anschlägen
Zur allgemeinen Sicherheitslage erklärt Dornblüth, sie wisse von vielen russischen Exiljournalistinnen und -journalisten, die sich auch in der EU nicht sicher fühlten.
In Staaten außerhalb der EU, wie etwa Georgien oder Armenien, komme die Angst um den Aufenthaltsstatus hinzu hinzu, im Fall, dass Russland eine Auslieferung verlangen würde. „Aber ganz konkret haben die Kolleginnen und Kollegen auch Angst vor Anschlägen.“
Weitere Verunsicherung
Das gelte auch für Journalisten, die zu Russland recherchieren würden, wie beispielsweise der Bulgare Christo Grozev. Dieser sei in diesem Jahr nach Warnungen von mehreren Sicherheitsorganen von Österreich in die USA gezogen.
„Diese Nachrichten aus Berlin, ob sie sich nun bewahrheiten oder nicht, werden für weitere Verunsicherung sorgen“, ist Dornblüth überzeugt. Konferenzen mit ausschließlich russischen Exiljournalisten würden längst nur noch unter sehr strengen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden.