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Berichterstattung aus Afghanistan
Mehr als Burka, Bärtige und Bewaffnete

Der freie Journalist Martin Gerner wünscht sich einen intensiveren Blick auf Krisenländer wie Afghanistan - und beklagt, dass heimische Redaktionen zu wenige Beiträge über Kultur und Alltag bestellen. Vor allem der Nachrichtenhäppchenjournalismus werde nachgefragt, sagte Gerner im Dlf.

Martin Gerner im Gespräch mit Brigitte Baetz |
Eine Gruppe junger Mädchen steht in einer schmalen Gasse. Die Kinder blicken in die Kamera.
Der Alltag in Afghanistan spiele eine zu geringe Rolle in westlichen Medien, beklagt der Journalist Martin Gerner. (imago/ Rahmat Alizadah)
Brigitte Baetz: Der Nachrichtenzyklus weltweit ist getrieben von Aktualitäten. Langfristbeobachtungen werden kaum durchgeführt. Afghanistan war lange Jahre im Zentrum auch der westlichen Aufmerksamkeit. Grund war der so genannte Krieg gegen den Terror. Das hat sich inzwischen geändert, obwohl das Land am Hindukusch immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist. Mein Kollege Martin Gerner ist regelmäßig in Afghanistan unterwegs und er sagt, dass westliche Medien den realen Entwicklungen im Land häufig hinterherhinkten. Und ich fragte ihn, woran er diese Beobachtung festmacht.
Martin Gerner: An der Tatsache, dass wir viel über Krieg erfahren, über Anschläge, über Oper, über Tote, aber wenig vom Kriegsalltag zu bieten haben – letztendlich auch wenig recherchieren über diesen Kriegsalltag. Das geht fast unter. Es ist wichtig, um den Ländern und den Menschen gerecht zu werden. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir haben in einigen Tagen hier in Kabul das internationale Frauenfilmfestival. Da habe ich doch selbst von Journalistenkollegen großes Erstaunen gehört in den letzten Tagen, als ich das Thema unter Journalisten angeboten habe. Gibt es so etwas dort überhaupt? Ja, es gibt afghanische Regisseurinnen, es gibt eine Frau neuerdings als Leiterin der afghanischen Filmbehörde. Ein anderes Beispiel wäre der Wiederaufbau des Darul-Aman-Palastes, ein Bau etwa in der Größe des Reichstags in Berlin. Symbol der Zerstörung auf unseren Bildern, die Sie angedeutet haben in Ihrer Anmoderation, was ist typisch scheinbar aus Afghanistan. Der ist jetzt strahlend neu im Glanz errichtet und eingeweiht worden vorgestern. Ich habe darüber sehr wenig in deutschen Medien gelesen, obwohl es zugleich als sehr positives Zeichen in all der Zerstörung hier empfunden wird. Das noch als zwei Beispiele vielleicht.
"Wenige permanente Beobachter, Korrespondenten, Freie"
Baetz: Das heißt, das alltägliche Leben kommt zu wenig vor? Woran liegt das?
Gerner: Ich habe die Vermutung, dass es daran liegt – und das gilt nicht nur für Afghanistan natürlich, man könnte Irak, Syrien, Palästina nehmen – ich habe den Eindruck, dass in unseren Medien, aber auch in unserer Öffentlichkeit ein Hang ist, solche Länder leiden zu sehen. Wir könnten auch Afrika als ganzen Kontinent nehmen. Wer Afrika von Nord nach Süd und West nach Ost bereist, der wird auf Alltag stoßen. Trotzdem ist für uns Afrika, wie gewisse Teile der Konfliktwelt, ein gewisser verlorener Kontinent, wo immer Gewalt herrscht, der wir scheinbar nicht Herr werden können. Zugleich scheint es auch unsere humanitäre Position, die ja auch durch die Medien transportiert wird auf verschiedenste Weisen, zu bestätigen. So kommt ein schiefes Bild ganz wesentlich zustande. Die zweite Sache ist, dass gerade in Konfliktländern, Kriegsländern wie Afghanistan wenige permanente Beobachter, Korrespondenten, Freie sind. Dadurch wird das Bild sehr lückenhaft. Es fehlt die Kenntnis an einheimischen Kontakten, Sichtweisen. Es geht auch darum, diese Sichtweisen zuzulassen. Denn wenn man als Maßgabe immer nur die Agenturen aus den heimischen, westeuropäischen Redaktionen hat, dann ahnt man schon, dass gewisse Dinge da nicht auf den Tisch kommen. Etwa die beiden Dinge, die ich eben beschrieben habe.
Baetz: Liegt das nicht auch daran, dass der Nachrichtenjournalismus gewisse Gesetzmäßigkeiten hat. Sie sind ja selber lange Jahre im Zeitfunk im Deutschlandfunk aktiv gewesen. Bräuchte Afghanistan ein paar Ereignisse, die uns da wieder genauer hinschauen lassen?
Gerner: Ich glaube tatsächlich, dass von so genannten Leitmedien, das ist ja immer schwieriger heute zu definieren, was ein Leitmedium ist in Zeiten der digitalen Medien. Ich glaube tatsächlich, dass immer wieder enorme Anstrengungen unternommen werden. Ich glaube aber in der Tat auch, dass eine Formatierung stattgefunden hat. Man findet das ja unter den festen Korrespondenten in allen großen Hauptstädten der Welt, dass sie immer weniger selbst reisen können, dass der Bedarf an kurzem Nachrichtenhäppchenjournalismus gerade auch aus diesen Konfliktländern immer häufiger wird. Und so kommt dieses schiefe Bild. Ich bringe das häufig auf die drei "B"s zu Afghanistan: Burka, Bärtige und Bewaffnete, das sich dann immer wieder durchsetzt. Und zugleich gibt es zwei Journalistenwirklichkeiten. Das dürfen wir nicht vergessen. Gerade weil die festen Korrespondenten immer häufiger aufgrund dieses enormen Bedarfes in allen Medien nicht in die Fläche journalistisch gehen, wie noch vor Jahrzehnten, wenn man etwa bei Ryszard Kapuściński liest. So was kann sich ja ein Korrespondent in Afrika, in Asien heute an Reisen gar nicht mehr erlauben, um ernst genommen zu werden. Gerade da kommen die Freien ins Spiel, die freien Autoren, die wiederum – davon könnte ich jetzt ein Lied singen – hohe Budgets selbst investieren, hohe Risiken auf sich nehmen, aber auch da immer mehr kämpfen müssen, dass sie als sinnvolle Teile in diesem Puzzle gesehen werden von den heimischen Redaktionen.
Zu wenig Interesse an Afghanistan
Baetz: Nichtsdestotrotz sind Sie regelmäßig in Afghanistan unterwegs. Treffen Sie eigentlich noch dieselben Kollegen. Gibt es da noch so etwas wie eine nachhaltige Berichterstattung?
Gerner: Wir haben lange über die Bundeswehr aus Afghanistan berichtet, ohne permanente Korrespondenten hier vor Ort. Wir haben wenig von dem Kriegsalltag zusammengestellt. Und über die Bilder funktioniert es noch mehr. Ich stelle in diesen Tagen mit einem deutschen Verlag einen Fotoband über Kriegsalltag zusammen. Meine These ist, dass über das Bild – Stichwort Burka – als scheinbares Symbol für Afghanistan ausschließlich, so ergänzungsbedürftig ist. Wir haben es auf verschiedene Weise auch mit einer Kulturnation hier zu tun. Alexander der Große, das baktrische Gold: Da muss man mal nachschlagen. Unsere historische Erinnerung, auch journalistische Erinnerung, geht meistens nur bis zu den Taliban. Der angesprochene Darul-Aman Palast, der jetzt wieder neu erschienen ist, ist nicht durch die Taliban, wie man vermuten würde in den Kriegsjahren zerstört worden, sondern durch die Warlords, die der Westen in vielen Jahren wieder in Nadelstreifen in Position gebracht hat und die nie abgeurteilt worden sind. Das ist ein Teil des Bildes, den wir auch zu wenig kritisch beleuchtet haben bisher. Nach wie vor, gerade jetzt, wo die Taliban wieder mit an die Macht kommen könnten, eigentlich einen intensiven, investigativen Blick von uns westlichen Journalisten verdienen würde. Um es vielleicht noch zugespitzter zu sagen: Wir sind allzu häufig, da nehme ich mal nicht nur die Medien in den Fokus, sondern die deutsche Öffentlichkeit, zugespitzt, sind wir manchmal nicht weniger Analphabeten über dieses Land und seine Kultur als umgekehrt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.