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Berichterstattung aus dem Gericht
Eine Bühne für den Täter?

Nach Gewaltverbrechen berichten Medien zu viel über Täter und zu wenig über Opfer – diese Kritik ist in den vergangenen Jahren immer lauter geworden. Justizreporterinnen müssen sich inzwischen fragen, wie sie verhindern, dass der Gerichtssaal zur Bühne für Angeklagte wird.

Claudia Kornmeier im Gespräch mit Sebastian Wellendorf / Text von Michael Borgers |
Justizbeamte und Journalisten warten im Landgericht Magdeburg auf den Beginn des Prozesses gegen den mutmaßlichen Attentäter von Halle.
Nach dem Attentat der Prozess: Die Bundesanwaltschaft wirft dem Angeklagten 13 Straftaten vor, unter anderem Mord und versuchten Mord. (picture alliance/Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/Pool/dpa)
Neun Monate nach dem Anschlag von Halle hat der Prozess gegen den Angeklagten begonnen. Dem Mann wird vorgeworfen, zwei Menschen getötet und weitere verletzt zu haben. Zuvor soll er laut Anklage versucht haben, in eine Synagoge zu gelangen, um auch dort zu töten. Entsprechend groß ist die mediale Aufmerksamkeit für das Strafverfahren.
Vertreter zahlreicher Medien aus der ganzen Welt haben zum Prozessauftakt einen Angeklagten erlebt, der lange und detailliert über seine Taten gesprochen und die Vorwürfe gegen seine Person weitgehend eingeräumt hat. Für die Journalistinnen und Journalisten stellt sich nun die Frage: Wie soll man umgehen mit diesen Aussagen und der Darstellung des Angeklagten?
Eine Justizbeamtin wartet im Landgericht Magdeburg auf den Prozessbeginn. Auf ihrem Arm ist das Wappen der sächsischen Justiz zu sehen.
Kommentar: Abgrund aus Rassismus und Empathielosigkeit
Beim Prozessauftakt zum Anschlag in Halle habe sich ein Abgrund aufgetan, kommentiert Niklas Ottersbach. Man merkte, dass der Angeklagte Stephan B. eine Bühne suchte.

"Es liegt an uns, wie wir berichten"
Für den MDR berichtet Roland Jäger vom Landgericht in Magdeburg, wo der Prozess stattfindet. Seine Zusammenfassung des ersten Verhandlungstages hat der Journalist mit "Die Verantwortung der Medien" überschrieben. Gleich zu Beginn seines Artikels beschreibt er seine Eindrücke eines Angeklagten, der sich von dem Verfahren "eine Bühne verspricht".
In einem Kollegengespräch im MDR-Fernsehen führt Jäger aus, er habe einen Menschen erlebt, der "völlig berechnend" versucht habe, seine rechtsextreme Botschaft zu wiederholen. "Es liegt an uns Medien, wie wir darüber berichten, ob wir über dieses Stöckchen springen oder nicht", so Jäger – und stellt für sich fest, er wolle genannte Ausführungen und Details nicht wiederholen, "eben um da kein Gehilfe zu sein".
Projekt #imGespräch: Lehren aus Halle und Hanau
Für ein Onlineprojekt haben sich Betroffene der Attentate von Halle und Hanau mit Journalistinnen getroffen. Ein Ergebnis: Noch immer gehen viele Medien nicht angemessen mit solchen extremen Ereignissen um.

Den vollen Namen nennen?
Der MDR will nach diesem Prozessbeginn nicht mehr den vollständigen Namen des Angeklagten nennen und beschränkt sich auf dessen Vornamen und den ersten Buchstaben des Nachnamens. Viele Medien halten es so, darunter "Frankfurter Allgemeine", "Süddeutsche Zeitung" oder die Sender des Deutschlandradios. Andere nennen den Mann mit seinem vollen Namen, etwa "Spiegel", "taz" oder "Welt".
Opfer des Anschlags und Hinterbliebene von den Menschen, die bei dem Angriff getötet wurden, hatten vor dem Prozess darum gebeten, nicht den Namen des Attentäters zu verbreiten. Der Mann selbst hatte das ausdrücklich gewünscht; auch könne er unverpixelt gezeigt werden, teilte sein Anwalt mit - ein Wunsch, dem ebenfalls einige Redaktionen nachgekommen sind.
Und müssen Medien nicht auch so ausführlich berichten, wie sie können? Also auch den Namen nennen?
"Keine Rechtsfrage, sondern eine ethische"
Im Fall des Attentäters von Halle würde nicht dessen Persönlichkeitsrecht verletzt, erklärt Tobias Gostomzyk, Professor für Medienrecht an der TU Dortmund, da der Angeklagte dem ja ausdrücklich zugestimmt habe. "Deshalb handelt es sich hier um keine Rechtsfrage, sondern eine ethische Frage, ob Medien diesem Wunsch nachkommen wollen."
"Medien sind grundsätzlich berechtigt, über jedes Gerichtsverfahren einschließlich dazugehöriger Beweisaufnahmen und Zeugenvernehmungen zu berichten. Das schließt allerdings nicht automatisch das Recht zur identifizierenden Berichterstattung von Angeklagten und Opfern ein", so Gostomzyk. "Ob eine solche zulässig ist, ist vielmehr auf Grundlage einer Abwägung im Einzelfall zu ermitteln."
Verdachtsberichterstattung: Dürfen die das?
Medien sollen nicht nur über Tatsachen berichten, sondern auch aufdecken. Dabei geht es – wie bei Dieter Wedel – oft um Vorwürfe und Verdächtigungen. Wie sollten Journalisten mit diesen heiklen Fällen umgehen?
"Presse darf sich nicht zum Werkzeug machen"
Persönlich würde sie wohl auf eine Nennung des vollen Namens verzichten, sagte Claudia Kornmeier von der ARD-Rechtsredaktion im Deutschlandfunk; sie berichtet nicht über diesen Prozess. Sie würde aber auch nicht sagen, dass das die einzige richtige Lösung ist.
Die promovierte Juristin und Journalistin plädiert dafür, Aussagen von Angeklagten nicht nur zu zitieren, sondern immer auch einzuordnen. "Nur ganz abstrakt über den Menschen zu reden, halte ich auch für schwierig."
Die Presse dürfe sich nicht zum Werkzeug von Tätern mache, so Kornmeier. Grundsätzlich stelle der Pressekodex eine gute Leitlinie dar.
DJV: Es geht um Einordnung
Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hat dazu aufgerufen, nicht die Opfer des Attentäters von Halle und deren Angehörige nicht aus dem Blick verlieren. "Wenn dem Angeklagten durch die journalistische Berichterstattung eine Bühne zur Verbreitung seiner rechtsextremen und antisemitischen Ideologie geboten würde, hätten die Kollegen im Gerichtssaal etwas falsch gemacht", sagte ein DJV-Sprecher gegenüber dem Evangelischen Pressedienst.
Im Pressekodex sei klar geregelt, "dass Prozessberichterstattung weitaus mehr ist als das ungefilterte und unkommentierte Abspielen von Äußerungen eines Angeklagte". Journalisten hätten vielmehr die Aufgabe der Einordnung.