Das Wochenmagazin "Stern" entschied an diesem Freitag, zu "schweigen", präsentierte auf seinem Internetauftritt statt dem sonstigen Programm eine Erklärung und Bilder zum Syrien-Konflikt. Während die syrischen Regierungstruppen in Aleppo weiter vordrangen, Russland eine Dringlichkeitssitzung des UNO-Sicherheitsrat einberief und in Berlin erste Stimmen Sanktionen gegen Moskau forderten. Das Leid der Syrer mache sie zunehmend sprachlos, schrieben die Kollegen von stern.de. Und beantworteten die Frage, ob sie in der Vergangenheit ausreichend über das Thema berichtet hätten, mit Nein.
Auch wir beim Deutschlandfunk fragen uns täglich, wie wir informieren. Und wie wir es können. Vor Kurzem kritisierte in "Markt und Medien", dem samstäglichen Fachmagazin im Deutschlandfunk, der Schweizer Kriegsreporter Kurt Pelda, wir hätten uns an diese sich in Syrien abspielende "größte humanitäre Katastrophe der letzten Jahrzehnte" gewöhnt. Berichtet würde nur "jeden zweiten Tag", und dann "nicht von Journalisten, die da waren". Dabei hätten Redaktionen die Pflicht, vor Ort zu sein - scheuten aber die Kosten dafür.
Ähnlich sieht es "Markt und Medien"-Moderatorin und -Redakteurin Brigitte Baetz. "Leider sind die meisten Medien nicht in der Lage oder auch willens, genug Geld in die Hand zu nehmen, um Journalisten nach Syrien zu schicken." Zudem gebe es nur wenige Journalisten, "die wüssten, wie man sich im Krieg bewegt". Die, die es gebe, müsse man hegen und pflegen. "Dass man das nicht tut, ist ein Skandal", kritisiert Baetz - mahnt aber andererseits auch zur Vorsicht: "Muss ich Fassbomben in brennenden Straßen sehen, um zu begreifen, was dort passiert? Wir sprechen hier von einem Konflikt, der das Zeug hat, sich zu einem Weltkrieg zu entwickeln." Medien müssten deshalb sehr aufpassen, nicht zum Brandbeschleuniger zu werden.
Vom Glück, ein Visum zu erhalten
Thomas Aders war vor Ort. Fünf Jahre lang, fast von Beginn des syrischen Bürgerkriegs an berichtete er aus der arabischen Welt, als Korrespondent der ARD in Kario. Für den öffentlich-rechtlichen Sender sei er rund 20 mal in Syrien gewesen, von allen westlichen Medien in diesem Zeitraum am häufigsten, schätzt Aders im Gespräch mit dem DLF. Das Regime von Machthaber Baschar al-Assad - den der Journalist im März interviewte - bewerte die ARD wohl als wichtiges Medium, denn: Visa an Journalisten würden eigentlich nur spärlich vergeben. Das Gefühl von Ohnmacht anderer Medien könne er deshalb gut verstehen. Auch er habe Einschränkungen erlebt, durfte beispielsweise nur einmal nach Aleppo reisen, in der Begleitung von Mitarbeitern des Informationsministeriums.
Fünf Jahre, rund 20 Inlandsreisen, nur einmal Aleppo - und wie hat er sonst über Syrien berichtet, in zahllosen Schalten? Die ARD habe ein gutes Netzwerk im Land, erklärt Aders, könne auf "uralte Kontakte" zurückgreifen. Und: auf die Quellen, die aus Syrien selbst kommen, auf Bilder und Videos von syrischen Bürgerjournalisten. Diese würden von Mitarbeitern in Kairo auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. So sei es einmal gelungen, den Urheber eines Videos, das den Abwurf von Fassbomben im Norden des Landes dokumentierte, herauszufinden und persönlich zu sprechen.
Zusätzlich können sich Aders und seine Kollegen vom "Content Center" der ARD in Hamburg helfen lassen. Michael Wegener leitet diese Abteilung, bei der es mehr um "Indizienprozesse" denn eine "Verifizierung" gehe, wie er gegenüber dem Deutschlandfunk betont. In einem vierstufigen Verfahren würden Hinweise gesammelt und überprüft, die für die Authentizität eines Videos sprächen. Syrien spiele wie auch die Ostukraine eine große Rolle in der Arbeit seines Teams, und in beiden Ländern gebe es inzwischen "eine Menge guter Quellen" wie die syrische Freiwilligenorganisation "Weißhelme", also Kontakte, die sich in der Vergangenheit bereits als glaubhaft erwiesen hätten.
Vereinnahmte Berichterstatter
"Reporter ohne Grenzen" (ROG) bewertet die Arbeit der Bürgerreporter in Syrien als unersetzlich. Es gebe ja kaum noch professionelle Journalisten, erinnert Geschäftsführer Christian Mihr gegenüber dem DLF. Wie Kriegsreporter Kurt Pelda kritisiert er, dass westliche "Medienhäuser keine Verantwortung mehr übernehmen, Leute nach Syrien zu schicken". Und die, die sich noch trauten, liefen Gefahr, entführt zu werden - so wie die jüngst nach langer Gefangenschaft wieder entlassene deutsche Journalistin. Ihr Fall zeigt für Mihr die Gefahren: Wie auch in der Ukraine würden in Syrien die Kriegsparteien inzwischen versuchen, die Berichterstatter zu vereinnahmen. Andernfalls drohte diesen, eben entführt oder brutal ermordet zu werden. Mit dieser Entwicklung würde der Grundsatz der Unabhängigkeit von Journalisten in Frage gestellt, so der ROG-Geschäftsführer.
Und die meisten syrischen Kollegen hätten schon lange das Land verlassen. Für sie sei die Lage "katastrophal". Syrien steht auf Platz 177 von 180 Staaten auf der jährlichen Rangliste der Pressefreiheit von ROG. Derzeit sind in dem Bürgerkriegsland rund 50 Journalisten im Gefängnis, entführt oder vermisst.