"Die Tour 2020. Live im Ersten!"
"Und alles ist bereit für den längsten und schnellsten Maskenball der Geschichte. Willkommen zur 107. Ausgabe der Tour de France hier in Nizza…"
Das sagt Michael Antwerpes zum Start der Übertragung an diesem Wochenende und zieht mit einer gekonnten Bewegung seine blaue Maske mit dem weißen Logo der ARD von seinem Gesicht. Die Tour de France 2020 ist anders, auch für Journalistinnen und Journalisten. Das spürt vor allem, wer die Tour ins Fernsehen und Radio bringen möchte. Gabi Bohr ist die Teamchefin der ARD.
"Die Interviewpositionen haben sich natürlich verändert. Das ist alles etwas schwieriger geworden. Es ist eine neue Herausforderung. Aber: Deshalb sind wir vor Ort, dass wir das auch den Zuschauern und den Zuhörern auch mitteilen."
Hotels als verbotene Zone für Journalisten
Im Programm ist das tatsächlich nicht zu überhören. Immer wieder streuen Moderator und Kommentator Bemerkungen über die neuen Zwänge bei der Berichterstattung ein.
"Jetzt stellen sich die deutschen Fahrer erst mal selbst vor. Das haben sie mit eigenen Handyvideos uns geschickt, weil es natürlich nicht so einfach ist für uns, auch an die Fahrer heranzukommen. Die Hotels sind verbotene Zone für Journalisten. Man soll in seiner eigenen Blase bleiben. Aber die Jungs haben geliefert."
"Hallo, ich bin André Greipel. Ich bin eigentlich zu alt für diesen Sport, aber dennoch bin ich sehr ambitioniert. Ich möchte nach Paris kommen…"
Schutz für die Team-Blasen
Alle wollen nach Paris. Dafür schränkt die A.S.O., die Organisation, die die Tour organisiert, die Bewegungsfreiheit der Berichterstatter massiv ein. Der große Plan, der auch die Medien einschließt, skizziert von Tour-Chef Christian Prudhomme:
"Alles wird getan, um die Blase von 30 Leuten pro Team zu schützen. Keine Isolation, aber Abstand: Keine Selfies, keine Autogramme, nur standardisierte Interviews."
Interviews in Boxen
Interviews führt für die ARD Moritz Cassalette. Bei der Tour konnten sich er und seine Kollegen lange völlig frei bewegen. Das ist jetzt anders.
"Also normalerweise haben wir nach den Etappen immer an den Bussen gewartet, wo die Fahrer dann der Reihe nach eingetrudelt sind. Das geht jetzt nicht mehr. Aber wir haben sowohl am Start als auch am Ziel so Interviewboxen, die zugewiesen sind. Und da können wir warten und nach Rücksprache mit den Pressesprechern dann auch Gespräche führen mit den Fahrern – eben mit Abstand, mit Angel, also wir sind dann so zwei Meter voneinander entfernt. Aber das geht schon und das hat am ersten Wochenende wirklich gut funktioniert."
Reporter müssen also vorher die Teams fragen, ob Fahrer bei ihnen vorbeischauen wollen. Außerdem sollen sich vor dem Start grundsätzlich keine Träger besonderer Trikots vor den Interviewboxen, in der sogenannten "Mixed Zone", blicken lassen. Stattdessen verteilt der Veranstalter zentral Material an Medienvertreter. Letztlich: PR. Fahrer können bei diesem Prozedere kritische Fragen leicht umgehen.
Nicht alle dürfen in die Mixed-Zone
Auch schreibende Journalisten spüren Einschränkungen. Emanuel Reinke berichtet für den SID, den Sportinformationsdienst. Die A.S.O. zwingt ihn und seine Kollegen von Zeitungen und anderen Nachrichtenagenturen zur Zusammenarbeit.
"Wir sind, Stand jetzt, sechs deutsche Schreiber vor Ort. Das wird sich auch in den kommenden Wochen noch mal ein bisschen durchmischen, denke ich, aber von den sechs Anwesenden hier darf immer nur einer in die Mixed-Zone nach dem Rennen. Das heißt, wir müssen uns untereinander auch organisieren, absprechen, wer denn vor dem Rennen und nach dem Rennen in die Mixed-Zone geht und dann die Fragen stellt."
ARD-Reporter: Kompromisse notwendig
Dennoch wollen Journalisten vor Ort präsent sein. Atmosphäre mitnehmen, soweit es irgendwie geht. Viele Restriktionen findet ARD-Reporter Cassalette, wie er sagt, "nicht wirklich befriedigend". Er sagt aber auch:
"Das ist in diesem Jahr einfach so: Die Teams haben einfach, glaube ich, auch Angst, dass sie positive Fälle in ihrer Mannschaft haben, denn das könnte ja den Ausschluss von der Tour de France bedeuten. Und ich glaube, wir müssen alle in diesem Jahr einfach mit diesen Kompromissen klarkommen. Langfristig wäre das nicht schön."
Corona ein zusätzlicher Aspekt in der Berichterstattung
Genau das aber ist die Gefahr: Dass der Radsport – wie schon so viele Sportarten zuvor – einen neuen Standard etabliert für den Kontakt der Fahrer mit Journalisten. Ob das passiert, lässt sich freilich erst beurteilen, wenn Corona keine Bedrohung mehr ist für alle Beteiligten.
Bis dahin macht die ARD die Not zur Tugend. ARD-Teamchefin Gabi Bohr sagt: Neben Sport und Kultur geht es jetzt eben auch um Corona und die Hygienevorschriften.
"Insofern haben wir noch Themen mehr, die wir in unserem Programm präsentieren werden und wollen. Und wir hoffen natürlich, dass es weiter sehr interessant bleiben wird."