Ulrike Schenk arbeitet seit vielen Jahren für "37 Grad" im ZDF, ein vielfach für seine Reportagen ausgezeichnetes TV-Format. Eine Sendung, die über sich selbst sagt, "Geschichten mitten aus dem Leben, authentisch und nah am Menschen" zu erzählen. Geschichten wie diese:
"Den Realschulabschluss in der Tasche und gerade eine qualifizierte Lehrstelle gefunden – der junge Afghane Samir kam als 15-Jähriger allein nach Deutschland. Fünf Jahre lang haben wir ihn begleitet, Jahre zwischen Hoffnung und Angst."
Fünf Jahre, über die Autorin Ulrike Schenk heute sagt: "Natürlich hat man auch eine höhere Verantwortung, weil man ja irgendwann auch an einen Punkt kommt, wo man Fragen beantworten muss und auch mal einen Ratschlag gibt. Und da war ich irgendwann auch in einer Position, da hatte ich das Gefühl: Das wird mir zu viel."
Schenk ist in dieser Zeit nicht nur Journalistin. Zu Beginn, nach der ersten Reportage, bleibt sie in Kontakt mit dem Jugendlichen. Als Privatperson, wie sie betont - und hilft Samir, sich zurechtzufinden im Kontakt mit Behörden, bei seinem Versuch, dauerhaft Asyl zu erhalten. Als sie sich entscheidet, wieder über den Fall zu berichten, helfen ihr diese Erfahrungen bei der Recherche.
Informationen nach Drehschluss
"Weil: Ich hab dann ja ganz oft nach Drehschluss so kleine Randbemerkungen mitbekommen, ich hab seinen afghanischen Vormund kennengelernt und konnte sowohl seine Fluchtroute als auch seine Familiengeschichte eben sehr genau nachrecherchieren."
Dass sie als Journalistin einem Protagonisten näherkommt – für Schenk ist das nicht ungewöhnlich: "Bei '37 Grad' haben wir fast immer die Situation, dass wir Menschen über mehrere Monate begleiten als Autoren. Und da entstehen natürlich auch Beziehungen."
Alles andere wäre nicht menschlich, findet sie. Sagt aber auch klar: Journalistisch habe sie weiterhin ihre Hausaufgaben machen und genau recherchieren müssen.
Auch Katrin Elger berichtet als Journalistin regelmäßig über Flüchtlingsgeschichten. Für den "Spiegel" geht sie immer wieder der Frage nach, wie Integration gelingen kann. Lange Geschichten. Die Redaktion lässt dabei bereits im Vorfeld abklären, ob bei dem Bericht ausreichend emotionale Distanz zum Thema gewahrt bleibt.
"Wir haben Standards beim 'Spiegel', die uns vorgeben, wie wir arbeiten sollen. Da gibt es auch ein Kapitel, das nennt sich 'Nähe'. Da steht zum Beispiel, dass wir Verständnis für die schwierige Lage von Protagonisten zeigen, aber wir beraten sie nicht, wir therapieren nicht oder werden gar zu deren Verbündeten. Wir wahren professionelle journalistische Distanz."
Nähe zu den Menschen
Theoretisch sei das eine gute Anweisung, praktisch aber oft schwer umsetzbar, so Elger: "Die Texte leben ja davon, dass man sehr nah drankommt. Und man kommt an die Menschen nicht nah ran, ohne dass man Nähe zu ihnen kriegt."
Immer wieder schreibt Elger über Familien, die auf der Flucht getrennt werden, über Schicksale, die sie auch persönlich berühren. Und manchmal bleibt ein Kontakt über die Geschichte, wenn sie aufgeschrieben ist, hinaus erhalten. So wie im Fall eines syrischen Ehepaars, das sich nach Jahren der Trennung zum ersten Mal wiedersieht.
"Für mich war das aber auch ein emotionaler Moment, weil ich darüber geschrieben hatte, weil sie mir leidtat. Das stellt man ja nicht ab als Journalistin. Man ist ja nicht nur Journalist, sondern auch Mensch."
Klare Motive auf beiden Seiten
In den meisten Fällen aber bleibt es bei rein beruflichen Kontakten. Schuldgefühle habe sie keine, wenn sie Menschen ihren Schicksalen überlässt und sich nicht wieder meldet. Das Verhältnis, für sie klar definiert: Als Journalistin geht sie ihrem Beruf nach – und auch Flüchtlinge haben bestimmte Erwartungen an diese Begegnungen.
"Warum sollten die sonst mit uns sprechen? Wenn sich jemand entscheidet, uns zu kontaktieren, oder bereit erklärt, mit mir zu sprechen, dann steckt da natürlich oft das Motiv dahinter, dass der- oder diejenige hofft, dass durch die Aufmerksamkeit, dass der dadurch etwas erreicht, dass die Behörden aufmerksam werden, dass das ein Verfahren beschleunigt."
So war das auch im Fall von Samir, den Ulrike Schenk kurze Zeit nur privat und vor allem als Journalistin begleitet hat. Der mittlerweile 20-Jährige hat zwar inzwischen erfolgreich eine Lehre als Kälteanlagenbauer hinter sich. Auf einen sicheren Aufenthaltsstatus wartet er aber bis heute vergebens: "Es ist genau das, was man uns ja vorwerfen würde, dass wir da agieren, das hat überhaupt nicht geholfen, das hat die Gerichte auch nicht beeindruckt."
Mit ihrer Berichterstattung habe sie dem afghanischen Flüchtling also weder geschadet noch wirklich geholfen, sagt die ZDF-Journalistin.