Am 4. November 2011 begingen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohnmobil in Eisenach Selbstmord. Damit flog der rechtsterroristische Nationalsozialistischen Untergrund auf. Drei Tage später stellte sich Beate Zschäpe. Elf Jahre, von 2000 bis 2011, lebten die Haupttäter des NSU in Zwickau, mordeten in ganz Deutschland - unentdeckt von den Sicherheitsbehörden, unterstützt von der lokalen Neonaziszene.
Bis zum November 2011 waren die zehn NSU-Morde nicht als rechtsterroristische Taten sondern in andere Zusammenhänge gebracht worden - nicht nur von den Behörden, sondern auch von den Medien. Diese berichteten von migrantischen Parallelgesellschaften oder der türkischen Mafia - von "Döner-Morden".
Welche Rolle haben Medien bei der Wahrnehmung und Bewertung dieser Taten damals gespielt? Und was haben Sie gelernt in puncto Rassismus und Vorurteile? Die Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke hat sich lange mit dem NSU selbst aber auch mit der Berichterstattung darüber befasst.
"Ich glaube, es gibt wirklich eine ganze Menge an Medien, die dazugelernt haben", sagte sie im Dlf. Vielen Menschen in Medienbereich sei 2011 klargeworden, dass der Umgang mit dem damals oft noch als Nischenthema wahrgenommenen Rechtsextremismus sich ändern musste. Heute würden viele Redaktionen intensiv und sehr empfindsam über das Thema berichten.
"Müssen uns viel intensiver mit den Betroffenen auseinandersetzen"
Der Fokus werde mittlerweile mehr auf die Betroffenen gerichtet – auch wenn es hier noch Luft nach oben gebe: "Wir müssen uns als Medienvertreter einfach auf viel intensiver mit den Betroffenen auseinandersetzen. Wie würden Sie sich das wünschen? Wie ist Ihre Sichtweise auf die Medienberichterstattung? Dafür bräuchten wir eine sehr intensive Analyse und eine Selbstkritik."
Beispielsweise würden im Bereich der Sprache in weiten Teilen der Medienlandschaft noch Rassismen reproduziert. "Allein schon über Begrifflichkeiten wie ‚Clan-Kriminalität‘, die immer auch rassistisch besetzt sind. Da wird gar nicht darauf hingewiesen, dass es auch da durchaus deutsche Rockergruppen sein können, die dazu zählen", so Röpke.
"An bestimmten Orten in Deutschland kann man nicht mehr berichterstatten"
Röpke, die seit Jahrzehnten im Bereich Neonazis und Rechtsterrorismus recherchiert, verwies im Gespräch mit @mediasres auch auf die Gefahren, die es rund um das Berichten über Rechtsextremismus in Deutschland noch immer gebe.
Recherchen seien sehr aufwendig und schwierig geworden – unter anderem wegen Einschüchterungsversuchen auf juristischem Wege, aber auch durch physische Gewalt gegen Journalistinnen und Journalisten auf Demonstrationen und dort fehlendem Polizeischutz: "Ich finde am Allerschlimmsten, dass wir Regionen haben, bei denen beschlossen wird, lieber nicht hinzufahren, wenn wir nicht ausreichend genug Leute haben, wenn wir keine Bodyguards für uns organisieren können, dann kann man einfach an bestimmten Orten in Deutschland schon gar nicht mehr berichterstatten."
Das Interview zum Nachlesen:
Sebastian Wellendorf: Die Otto-Brenner-Stiftung hat schon 2015, eine Studie zur Medienberichterstattung über die NSU-Morde veröffentlicht, und deren Ergebnis war: Vollversagen. Wie beurteilen Sie das?
Andrea Röpke: Nein, das kann man so allgemein nicht sagen. Also insgesamt war es natürlich sehr zu kritisieren, das steht schon mal fest. Aber ich glaube, es gibt wirklich eine ganze Menge an Redaktionen und Medien, die dazugelernt haben, die sehr intensiv, sehr empfindsam und sehr, sehr stark auch mit dem Fokus auf die Betroffenen berichtet haben.
Also ich glaube, wir haben seither schon eine starke Sensibilisierung in Teilen der Medienlandschaft zu verzeichnen. Also ich würde ein kritisches Urteil fällen, aber dennoch betonen, dass es auch sehr, sehr vorbildliche Berichterstattung gegeben hat.
"Rassismus wurde von großen Teilen der Medien mitgetragen"
Sebastian Wellendorf: Sie haben es schon gerade angesprochen, dass sich seitdem eine Menge getan hat, auch in Sachen Sensibilität. Dennoch schauen wir doch mal zurück. Die Kritik war, dass es keine vernünftige, beziehungsweise keine kritische, auch polizei- oder behördenkritische Recherche und Berichterstattung damals gab. Weil auch damals Medien davon ausgegangen sind: Ja, das sind so Milieumorde, bei denen sich "die Ausländer" untereinander bekriegen - ich glaube, das war eine Formulierung. Also lag es damals daran?
Andrea Röpke: Ja, natürlich, der Rassismus und diese einschlägigen Vorwürfe, die dann aufkeimten, die fürchterlich waren, die wurden natürlich von großen Teilen der Medien mitgetragen. Das war verhängnisvoll. Aber Medien und Redaktionen haben auch schnell gelernt.
Aber man muss auch dazu sagen, der Rechtsextremismus ist immer ein Stiefkind gewesen, auch in der Medienlandschaft. Also wir als Fachjournalistinnen wurden noch immer gefragt: Wie hältst du das aus? Wie kannst du dich mit diesem Schmuddelthema beschäftigen? Man hat da wirklich auch kein großes Interesse, keine großen Vorbildung in den Redaktionen, langfristig, nachhaltig, dann den Mitarbeiterinnen verordnet. Also von daher, da war das Kind in den Brunnen gefallen und alle muss reagieren.
Da hat man erst mal die staatlichen Anordnungen, die staatlichen Verkündung übernommen. Und nach und nach sind dann die eigenen Recherchen haben, dann begonnen. Ich denke gerade beim NSU, seit den Enthüllungen 2011, ist auch vielen Menschen in Medienbereich klargeworden, dass es so wie es vorher lief, im Umgang mit Rechtsextremismus nicht weitergehen konnte.
"Das staatliche Narrativ war: Der Rechtsextremismus ist nicht die Gefahr für Deutschland"
Sebastian Wellendorf: Also um das klarzumachen: Eigentlich haben Rassismus und Vorurteile erst dazu geführt, dass Recherchen ausgeblieben sind, weil man einfach andere Annahmen übernommen hat.
Andrea Röpke: Ja, das war Teil davon. Wie gesagt, es war immer die staatliche Mär, das staatliche Narrativ, zu sagen: Der Rechtsextremismus ist nicht die Gefahr für Deutschland, es ist keine Alltagsproblematik, also damit müssen wir uns überhaupt nicht so beschäftigen, das ist ein Nischenthema. Und ich glaube, das ist tatsächlich der der heftigste Auslöser gewesen.
Man hat ja auch in der Prävention nicht genug Geld zur Verfügung gestellt, man hat keine Betroffenenbetreuung veranlasst. Das ist ja alles danach erst in Gang gekommen. Und natürlich ist der Rassismus, auch der Umgang damit, der lapidare Umgang in den Medien, auch mitverantwortlich. Da kommt wirklich sehr, sehr viel zusammen.
Hinsichtlich rassistischer Sprache "hat man wenig dazugelernt"
Sebastian Wellendorf: Ja, sie haben eben die Sensibilität in Sachen Sprache angesprochen – vielleicht schauen wir da noch mal drauf. Sie recherchieren ja schon seit den Neunzigern im Bereich Rechtsterror, gab ja genügend Anlässe, Mölln, Solingen oder Rostock. Dennoch, so nehme ich es zumindest wahr, sind diese medialen Begriffe wie zum Beispiel der "Döner-Mord" durch die NSU Berichterstattung erst wirklich populär geworden. Gibt es da einen sensibleren Umgang mittlerweile in den Medien bezüglich Rassismus und rassistischer Klischees, also in der Sprache, zum Beispiel "Döner- oder Shisha-Morde"?
Andrea Röpke: Na ja, ich glaube, gerade in der Sprache gibt es den leider nicht. Zumindest in weiten Teilen der Medienlandschaft hat man wenig dazugelernt. Allein schon über Begrifflichkeiten wie "Clan-Kriminalität", die immer auch rassistisch besetzt sind. Da wird gar nicht darauf hingewiesen, dass es auch da durchaus deutsche Rockergruppen sein können, die dazu zählen. Also da ist leider wenig geschehen.
Medien übernehmen oft zu sehr sofort die staatlichen Verkündungen, wenn es bei rechten Anschlägen um psychisch gestörte Täterinnen geht, wenn es um alleinige Täter geht. Anstatt das Ganze zu hinterfragen und vorsichtiger Bericht zu erstatten, ist man da immer noch sehr schnell dabei, sehr unüberlegt dabei.
Was wir brauchen, ist wirklich eine totale Sensibilisierung für die Betroffenen. Und dafür müssen wir uns als Medienvertreter einfach auf viel intensiver mit den Betroffenen auseinandersetzen. Wie würden Sie sich das wünschen? Wie ist Ihre Sichtweise auf die Medienberichterstattung? Dafür bräuchten wir eine sehr intensive Analyse und eine Selbstkritik.
"Entgrenzung von rechten Demonstranten hat massiv zugenommen"
Sebastian Wellendorf: Einmal noch ein Blick auf ihre Arbeit, auf ihre Recherchen, die sie nun seit Jahrzehnten anstrengen. Das ist ein hochgefährliches, eine hochaggressive Klientel. Wie sind sie geschützt?
Andrea Röpke: Naja, wir versuchen, uns immer wieder auch zu solidarisieren und zu vernetzen. Wir haben natürlich auch dazugelernt. Und gerade wir als freie Journalisten und Fotografen, die gerade über die Querdenken-Veranstaltungen unzählige Angriffe miterleben, das ist eigentlich Wochenende für Wochenende so, dass da die Verrohung, die Entgrenzung von rechten Demonstranten massiv zugenommen hat.
Das heißt, wir müssen uns wirklich solidarisieren. Wir müssen uns zusammenschließen oder überlegen: Wer kann dahinfahren? Wie schützen man sich? Gibt es da Polizei, die bereit ist, uns zu schützen und zu helfen, zu unterstützen? Das ist nicht mehr selbstverständlich.
Also das ist schon tatsächlich sehr aufwendig und sehr schwierig geworden. Und ich finde am Allerschlimmsten, dass wir Region haben, bei denen beschlossen wird, lieber nicht hinzufahren, wenn wir nicht ausreichend genug Leute haben, wenn wir keine Bodyguards für uns organisieren können, dann kann man einfach an bestimmten Orten in Deutschland schon gar nicht mehr berichterstatten.
Einschüchterungsversuche auf juristischem Wege
Sebastian Wellendorf: Das ist ja nicht nur die physische Gewalt, vor der man Angst haben muss, sondern zunehmend, habe ich zumindest den Eindruck, auch die rechten Anwälte, für die zum Beispiel nicht alle freien Kollegen ein starkes Justiziariat im Rücken haben.
Andrea Röpke: Ja, das ist eine riesengroße Katastrophe. Es gibt da regelrechte Abmahnwellen, es gibt Einschüchterungsversuche über die Instrumente Abmahnung, und Klageverfahren. Das ist oft total haltlos. Die müssen einem überhaupt keine Fehler nachweisen. Das sind wirklich bestimmte Kanzleien in Deutschland, die ganz strategisch vor allem gegen freie Journalistinnen und Rechercheure vorgehen und genau wissen, dass die Schwierigkeiten haben.
Wenn wir nicht gewerkschaftlich organisiert sind, wenn wir keinen Rechtsschutz haben, dann haben wir ganz große Probleme, solche juristischen Attacken gut zu überstehen.
Sebastian Wellendorf: Warum bleiben Sie dennoch dran?
Andrea Röpke: Naja, ich lebe in dieser Gesellschaft, und ich möchte, dass die Gesellschaft, dass sie so bleibt, dass sie bunt ist, dass sie offen ist, dass sie emanzipiert ist. Und ich sehe es als meine Aufgabe. Und Journalismus ist wirklich genau der richtige Beruf, um das eigene Engagement, aber vor allen Dingen auch einen guten Beruf miteinander zu verbinden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.