"Hier standen sich am 27. Oktober 61 die beiden Supermächte 16 Stunden lang gegenüber. Die Amerikaner standen da, die sowjetischen Panzer da. Wenn da einer die Nerven verloren hätte in den 16 Stunden, dann würden wir alle heute hier nicht mehr stehen, dann hätte es den Dritten Weltkrieg gegeben."
Gekonnt dramatisiert der Stadtführer im heutigen Berlin, was am 27. Oktober 1961 geschehen war: Am amerikanischen Grenzübergang Checkpoint Charlie in der kurz zuvor geteilten Stadt standen sich amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber. Dröhnende Motoren, das klirrend-mahlende Geräusch von Panzerketten auf Asphalt und direkt aufeinander gerichtete Kanonen beherrschten das Bild. Die vielfach fotografierte und gefilmte Szene mit den Kampfmaschinen gehört zu den Bild-Ikonen des 20. Jahrhunderts.
Der Potsdamer Historiker Martin Sabrow: "Es stehen sich sechs Panzer gegenüber, von denen wir alle wissen, diese Panzer würden keinen Krieg entscheiden, aber sie hätten ihn auslösen können. Der Wahnsinn, der Wahnwitz eines Kampfs um die beste Ortung des 20. Jahrhunderts, den wir heute nicht mehr verstehen. Und das können Sie am Checkpoint Charlie sehr gut bebildern."
Überdies erließ am 23. Oktober 1961 das DDR-Innenministerium mit sowjetischer Billigung eine Verordnung: Ab sofort sollten zivile Angestellte der amerikanischen Militärmission bei Fahrten in den Ostteil Berlins ihre Pässe vorzeigen. Das aber war ein eindeutiger Verstoß gegen den Viermächtestatus. Der garantierte nicht allein die Gebietshoheit und gemeinsame Verantwortung aller vier Siegermächte – sondern auch und gerade die Bewegungsfreiheit aller militärischen und zivilen Angehörigen der amerikanischen, britischen und französischen Militärmissionen.
Die Situation eskalierte sofort, insbesondere am zentral gelegenen Checkpoint Charlie. Amerikanische Jeeps und weitere Militärfahrzeuge fuhren vor dem Grenzübergang auf. Unablässig wurden amerikanische Zivilisten in den Ostteil der Stadt geschickt, eskortiert von schwer bewaffneten Militärpolizisten. So sollte immer wieder aufs Neue erprobt werden, wie weit die DDR-Volkspolizisten bei ihren Kontrollen gingen. Der SFB berichtete am 26. Oktober:
"Es ist 15:37 Uhr und in diesem Augenblick formieren sich die Jeeps hinter einem blauen Ford, und in diesem Ford sitzt ein amerikanischer Staatsbürger in Zivil, vor diesem Ford wiederum ein Jeep mit vier Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett dahinter, und zwei Mann, kann ich jetzt erkennen, sitzen in dem Wagen, und die Kolonne setzt sich in Bewegung in Richtung auf den Sektorengrenzübergang."
Geheimdiplomatie konnte die Lage entschärfen
Schnell stellte sich heraus, dass weiterhin die Pässe von Zivilpersonen verlangt wurden, alliierte Soldaten und Offiziere hingegen passieren durften. Noch am 25. Oktober befahl der Berliner Sondergesandte Präsident Kennedys, General Lucius D. Clay, dass Panzer am Checkpoint Charlie positioniert werden sollten: "Jetzt rollt ein General Patton Panzer direkt vor bis an den Schlagbaum, es mögen noch drei, vier Meter sein, die ihn von jener weißen Linie, von jenem weißen Strich trennen, der hier die Sektorengrenze markiert."
Kurz darauf rollten auch sowjetische Panzer heran. Erst intensive Geheimgespräche führten zum Ende der grotesken Lage. Der Journalist Matthias Walden berichtete: "Etwa 45 Minuten nachdem die sowjetischen Panzer vom Typ T54 sich vom Kontrollpunkt Friedrichstraße in Bewegung gesetzt haben, um dann rechts abzubiegen, haben sich jetzt auch die amerikanischen General Patton Panzer formiert, formiert zum Abzug in Richtung Mehringdamm."
An der Gültigkeit des Viermächtestatus und damit auch an der Präsenz von Soldaten und Zivilisten der West-Alliierten in allen Berliner Sektoren war nun nichts mehr zu ändern. Freilich, an der Präsenz von Mauer und Todesstreifen auch nicht – bis zum November 1989.