Ein Kabel schleift über den Boden, es wird von den Bauarbeitern auf eine gewaltige Kabeltrommel aufgerollt: Schluss für heute im neuen Innenministerium. Es ist von den – in diesem Fall polnischen - Arbeitern ohnehin nur noch letzte Hand anzulegen im Foyer des Neubaus in Berlin.
Die Fahrstühle surren und blinken bereits, die raffiniert geschnittenen Treppenaufgänge leuchten geputzt. Im Januar ist Schlüsselübergabe an den Hausherrn, Innenminister Thomas de Maizière. Er wird dann zum Frühjahr mit den Beamten aus den bläulich schimmernden Türmen in Moabit hier einziehen. Fünf- bis achtstöckig schichtet sich der Neubau – nach allen Regeln der Terrorabwehr gebaut – direkt an den Gleisen hinter dem Hauptbahnhof auf.
Doch nicht nur die rund 1.200 Berliner Mitarbeiter des Bundesinnenministers ziehen um. Auch aus dem Rheinland kommen Kollegen dazu. Den Neubau des Innenministeriums nutzt de Maizière, ihm wichtig erscheinende Abteilungen vom zweiten Dienstsitz in Bonn nach Berlin zu holen. Sein Pressesprecher Tobias Plate erläutert, dass der Neubau bereits von Anfang an genug Platz für die Bonner vorsah.
"In den Planungen hatte man den Gebäudeteil B für die Bonner Beschäftigten des Bundesinnenministeriums angedacht. Und in der Tat hat der Haushaltsauschuss uns auch ermöglicht, auch den Gebäudeteil B zu realisieren, aus Gründen der Wirtschaftlichkeit und auch aus Gründen der Vorsorge."
Nach dem Umzug werden alle Abteilungen, die Minister de Maizière zum Regieren braucht, in Berlin sein. Plate:
"Einige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen aus dem Bonner Teil des BMI werden Zug um Zug auch hier einziehen in Berliner Liegenschaft des BMI. Und dafür benötigen wir auch den Platz, den jetzt der Gebäudeteil B bietet."
Es kommen: die Abteilungen für Sport, Minderheiten und Krisenmanagement. Den ganzen Sommer über wurde mit den Bonner Beamten verhandelt, wer zu welchen Bedingungen denn nun nach Berlin wechseln könnte.
"In Bonn bleiben auch zahlreiche Beschäftigte des Bundesinnenministeriums, und zwar vor allen Dingen solche, die keine im strengsten Sinne des Wortes ministeriellen Aufgaben durchführen. Da gibt es viele Verwaltungs- und Serviceaufgaben, die wir in Bonn konzentrieren."
Als da wären: die Reiseabteilung und der Bürgerservice. Der Pressesprecher darf es nicht deutlicher sagen, denn der Innenminister wünscht eigentlich gar kein öffentliches Gespräch zum Thema Bonn-Berlin. Unterm Strich aber hat Thomas de Maizière sein Ministerium jetzt in Berlin beisammen.
Unterwanderung des Berlin/Bonn-Gesetzes
Damit trägt nun ausgerechnet der Innenminister dazu bei, dass ein Gesetz – nun ja, wenn nicht gebrochen, so doch unterwandert wird. Denn das Berlin/Bonn-Gesetz von 1994 verlangte:
"Dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt."
Deswegen sollten 60 Prozent der Beamten in Bonn bleiben, das fortan Bundesstadt hieß, 1,4 Milliarden Euro Abfindung und dazu einen ganzen Strauß an Bundesbehörden, Organisations- und Firmenansiedlungen bekam.
Weil aber de Maizière weder der erste noch der einzige Minister ist, der sein Haus in Berlin zusammenzuführen trachtet, hat sich das gesetzlich geforderte Verhältnis von Bonner zu Berliner Beamten inzwischen umgedreht. Heute sind 60 Prozent der insgesamt rund 20.000 Stellen in Berlin und nur mehr 40 Prozent in Bonn, wie der aktuelle Teilungskostenbericht vom Frühjahr aufführt. "Rutschbahneffekt" nennen die rheinischen Medien den Wegzug von Kompetenzen nach Berlin, mit dem dann die Notwendigkeit weiterer Verlagerungen begründet wird.
Kritik an den verdeckten Kosten
Dem Bund der Steuerzahler ist der geteilte Hauptstadtbetrieb seit jeher ein Dorn im Auge. Stefan Panknin, Abteilungsleiter für Haushaltspolitik beim Steuerzahlerbund, glaubt auch nicht, dass es mit den im Teilungskostenbericht ausgewiesenen 7,7 Millionen Euro insbesondere für Flugkosten im Jahr getan ist.
"Die Kosten werden nicht transparent und nicht ehrlich ausgewiesen."
Schon dass die Ministerien die Reisekosten in unterschiedlichen Haushaltstiteln verpackten, stimme misstrauisch. Auch seien die Reisekosten natürlich nicht alles.
"Was wir vermissen ist die Arbeitszeitverluste zum Beispiel, die durch die Pendelei entstehen – es sind ja dieses Jahr rund 19.000 Dienstreisen zwischen Bonn und Berlin, die werden nicht erfasst und ausgewertet. Wenn dort hohe Beamte hin- und herjetten zwischen Bonn und Berlin – Personal ist teuer, die Arbeitszeit ist verloren. Das sind Kosten, die nicht erfasst werden."
Dass demnächst das neue Innen-, und zur Zeit auch das neue Forschungsministerium in Berlin bezogen werden, wertet Panknin als Aufforderung:
"Überfällig ist, dass die Politik sich ehrlich machen muss. De facto wird von den Ministeriumsspitzen das Gesetz schlichtweg ignoriert. Da stellt sich die Frage, welchen Sinn macht es dann noch, an dieser leeren Hülle festzuhalten."
Der Sinn ist zunächst einmal, Ärger zu vermeiden. Seit Thomas de Maizière für einige wenige Äußerungen zum Thema Umzug harsche Kritik aus Nordrhein-Westfalen einfuhr, sagen Regierungspolitiker lieber gar nichts mehr dazu. Es bleibt anderen überlassen, an ihrer Stelle zu sprechen. Egon Bahr zum Beispiel. Der 92-jährige ehemalige Minister sitzt immer noch vier Tage die Woche in seinem Büro in der SPD-Parteizentrale, um sich dem laufenden Politikgeschäft zu widmen.
"Wir haben heute mehr Menschen in Lohn und Brot und Arbeit in Bonn, als Bonn gehabt hat vor 25 Jahren. Dieser Erfolg ist a) anzuerkennen, b) stellt er die Frage: Wie lange soll eigentlich Berlin noch warten, bis das Natürlichste der Welt, nämlich: Alle Ministerien sind in der Hauptstadt vorhanden, bevor das passiert."
Bahr spielt seine Rolle als Sprachrohr ganz gern.
"Ich kenne natürlich viele Minister, die das nicht öffentlich sagen können, aber jedenfalls - es ist nicht praktisch, unproduktiv sogar, über Videokonferenzen ein Ministerium leiten zu müssen. Außerdem kostet es Geld."
Ein Komplettumzug gehöre zur Vollendung der deutschen Einheit:
"Ich finde es ist Zeit, die Ministerien, die im Augenblick noch in Bonn sind, langsam nach Berlin zu verlagern."
Die Sache gärt. 25 Jahre nach dem Fall der Mauer, so war es anlässlich der Feierlichkeiten wieder in Berlin zu hören, solle doch endlich zusammengeführt werden, was zusammen gehöre – die Hauptstadt. Nur: Welche Vorteile der Hauptstadtstandort in Bonn birgt, ist an der Spree den meisten nicht bewusst.
Bonner Politiker betonen Stärken Bonns
Wer den Bonner Politiker Ulrich Kelber um einen Termin an einem für ihn bedeutsamen Bonner Ort bittet, den bestellt Kelber recht früh morgens in die Savanne. Die Savanne liegt im Lichthof des Museums Koenig. Hier steht ein sprechender Baobab-Baum, hier stehen ausgestopfte Giraffen und sitzen falsche Mistkäfer an unechtem Elefantendung. Denn das Museum Koenig ist ein Naturkundemuseum. Aber längst nicht nur das.
"Das Forschungsmuseum Koenig steht für die Stärken der Region Bonn. Es war der Ort, an dem der Parlamentarische Rat zusammen getreten ist, hier im Innenhof. Das ist die Geburtsstätte der deutschen Nachkriegsdemokratie, der ersten stabilen Demokratie. Gleichzeitig ist es ein Forschungsinstitut, Teil der Wissenschaftsstadt Bonn. Bonn ist der Standort fast aller internationalen Organisationen, die nach 1992, dem Rio-Gipfel zum Thema Nachhaltigkeit, entstanden sind. Bonn ist der Ort, wo wir die Nachhaltigkeitsdebatten führen können."
Kelber ist Staatssekretär im Justiz- und Verbraucherschutzministerium in Berlin. Aber er ist auch der direkt gewählte Bonner Bundestagsabgeordnete der SPD.
Bonn hat eine geputzte Einkaufszone, ein ausgedehntes Kultur- und Bildungsangebot sowie schöne Wohnlagen an den Hängen der Ausläufer von Eifel und Siebengebirge. Kelber:
"Wir müssen uns ja nicht verstecken, was die Entwicklung von Bonn angeht, seit große Teile der Regierungsfunktionen abgezogen sind. Wir haben uns wirtschaftlich gut entwickelt, wir sind bei Bevölkerungszahlen gestiegen."
Es sei unsinnig, aus diesem Ensemble aus internationalen Institutionen und Behörden nun Regierungsteile abzuziehen, sagt Kelber, die dort gut eingebettet seien. Ein Beispiel dafür bietet die Entwicklungszusammenarbeit: Das Entwicklungsministerium hat seinen Hauptsitz in Bonn, übrigens im ehemaligen Kanzleramt. In Fußweite entsteht gerade der Neubau für hunderte Entwicklungsexperten der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GIZ, die wiederum mit den vielen in Bonn ansässigen NGOs wie Help oder Welthungerhilfe und dem guten Dutzend UN-Büros nebenan am Rheinufer zusammen arbeiten können.
Im Hauptstadtbeschluss von 1991, der dem Berlin/Bonn-Gesetz vorausging, wurden Bonn Zusicherungen gemacht. Erst im Vertrauen darauf konnten überhaupt so viele Institutionen nach Bonn gelockt werden, erläutert Kelber:
"Interessant war ja, die Berliner haben eine knappe Mehrheit bekommen mit der Zusage einer dauerhaften Arbeitsteilung, nicht einer vorübergehenden Arbeitsteilung. Deswegen braucht man schon ein besseres Argument als: Alles muss in der Hauptstadt sein. Also ich kann diesen Satz wirklich nicht mehr hören, denn er beinhaltet kein Argument."
Kelber dagegen erinnert auch an das Argument: Zentralismus ist kein Wert an sich.
"Die Franzosen sind nicht besonders erfolgreich damit, dass sie alles in Paris zentralisieren, die Briten auch nicht, um jetzt mal die europäischen Hauptstädte zu nehmen. Die Russen vielleicht auch nicht sonderlich. Zu unserer deutschen Demokratie gehört auch eine Dezentralität. Die muss man nicht erzwingen, hier haben wir sie aber."
Hinzu komme, dass der technische Fortschritt die räumliche Nähe von Regierungsabteilungen doch eher überflüssig werden lasse, spottet Kelber:
"Im 18. Jahrhundert war das so, man musste vorbeigehen. Heutzutage muss eine Fachabteilung nicht mehr in der Etage unterhalb des Staatssekretärs sitzen."
Bundestag hatte 1991 abgestimmt
Was ist nun unzeitgemäß: Dass immer noch ein Teil der Regierung in Bonn sitzt – oder die Vorstellung, die Hauptstadt müsse ungeteilt nach Berlin? Darüber, wohin die Hauptstadt nach dem Zusammenbruch der DDR gehöre, stritt sich der Bundestag am 20. Juni 1991 über zwölf Stunden lang, bevor die damalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth verkündete:
"Die Spannung ist riesengroß und ich gebe das Ergebnis jetzt bekannt. Für den Antrag Bundesstaatslösung, Bonn-Antrag: 320 Stimmen. Für den Antrag Vollendung der Einheit Deutschlands, Berlin-Antrag: 337 Stimmen. Enthaltungen: 2."
Die Verlagerung des Regierungssitzes war beschlossen, aber eben nur unter der Bedingung, dass Bonn einen Teil behält. Den mit heißer Nadel gestrickten Kompromiss kritisierte an jenem Tag besonders deutlich Willy Brandt, der Ehrenvorsitzende der SPD:
"Ich denke, wir brauchen uns keinen Spiegel vorhalten zu lassen, um zu erkennen, dass eine folgenreiche Entscheidung selten so verwirrend und unzulänglich vorbereitet worden ist wie die heutige."
Brandt schien zu ahnen, dass es bei egal welchem Ausgang keine dauerhafte Ruhe in der Berlin-Bonn-Frage geben würde.
"Im Grunde fehlen wichtige Voraussetzungen dafür, über einen Gegenstand von diesem Gewicht über den Tag hinaus verantwortlich entscheiden zu können. Es lässt sich daher nicht ausschließen, dass hier heute zu kurz gesprungen und zum Nachsetzen geradezu aufgefordert werden könnte."
Einer, der sich – in Brandts Sinne – zum Nachsetzen aufgefordert sah, ist Hansjörg Geiger, er war Staatssekretär im Bundesjustizministerium während der rot-grünen Zeit 1998 bis 2005. Geiger beobachtete damals:
"Dass die in Bonn verbliebenen Mitarbeiter häufig doch eine größere Enttäuschung erlebt haben. Viele, die Wert darauf gelegt hatten, in Bonn zu bleiben, haben gemeint, wenn sie in Bonn bleiben, dann bleibt es so, wie es bisher war. In Wirklichkeit haben sie bald gespürt, dass die Musik woanders spielt. Dass sie Monat für Monat in Anführungszeichen mehr abgehängt waren. Es war ein deutlicher Bedeutungsverlust zu spüren."
Vorschlag der Trennung von Verwaltung und Regierung
Geigers Lösung war: ein klarer Schnitt. Während das Justizministerium mit allen Regierungsfunktionen nach Berlin zog, bekam Bonn 2007 eine obere Bundesbehörde, das Bundesamt für Justiz. Es wurde unter anderem damit betraut, alles verwaltend zu verarbeiten, was aus Brüssel, sprich von der EU kam. Die Aufgabenteilung: Regieren hier – Verwalten dort, habe sich bewährt.
"Ein Ministerium sollte ein funktionsfähiger Gesamtkörper sein. Es ist wichtig, dass Mitarbeiter sich am Gang treffen, sich in der Kantine treffen, sich austauschen. Eine Trennung über 600 Kilometer wie Bonn-Berlin schneidet das definitiv ab."
Wie nahezu jeder, den man konkret befragt, sagt auch Geiger: Telekommunikation ist eine feine Sache, doch ein persönliches Gespräch bei heiklen Dingen ist durch nichts zu ersetzen. Er kann das erläutern.
"Wenn ich wichtige Gespräche mit Mitarbeitern geführt habe, dann war es für mich immer bedeutsam, dass die Mitarbeiter mir gegenüber sitzen. Denn nur, wenn ich sie gegenüber sitzen hatte, oder um die Ecke am Tisch, habe ich gemerkt, jetzt sind sie vielleicht doch nicht mehr so ganz sicher mit ihrer Überzeugung, der Vorschlag, den sie mir machen, haben sie vielleicht aufgrund meiner Nachfragen, den halten sie vielleicht doch nicht mehr für so ganz günstig. Das muss ich aber sehen, das spüre ich, man merkt, die Person rutscht so plötzlich auf ihrem Stuhl herum, da merkt man, da ist eine Unsicherheit. Das bekomme ich am Telefon oder bei einer Videokonferenz, das gibt es natürlich, da bekomme ich das nicht mit."
Man müsse sich nur die jüngsten Rüstungsskandale im Verteidigungsministerium anschauen, sagt Geiger:
"Dann ist das, finde ich, der beste Beweis, dass offensichtlich der Kontakt zwischen der Leitungsebene mit dem Apparat nicht funktioniert. Dass der Minister in Berlin sitzt und mit Kanzlerin spricht, aber das Ministerium, das alles weiß, wie entwickeln sich die neuen Waffen, oder entwickeln sie sich nicht, das weiß man nicht. Gute Führung bedeutet Kooperation mit den Mitarbeitern, und nicht von oben nach unten, das ist altmodisch."
Von Fehlentwicklungen aber erfahren Staatssekretäre nur,
"wenn sie Kontakt mit den Leuten haben. Es fährt kein Bonner nach Berlin – er braucht ja auch eine Dienstreisegenehmigung - um dann vielleicht einem Vorgesetzten zu sagen: Ich fürchte, da geht was schief."
Johannes Kahrs sitzt für die SPD im Haushaltsausschuss des Bundestags, der zum Rutschbahneffekt schon so entscheidend durch die Neubauregelung beigetragen hat. Der Hamburger Kahrs nimmt für sich in Anspruch, nicht als bloßer Berlin-Lobbyist abstempelbar zu sein. Aber übermäßige Rücksicht auf die Nordrhein-Westfalen-Lobby möchte er nicht mehr nehmen:
"Ich glaube, dass das Bonn/Berlin-Gesetz eine Aufgabe erfüllt hat, nämlich diesen Übergang hinzubekommen. Jetzt sind wir seit 15 Jahren in Berlin und merken, dass die Arbeitsfähigkeit des Parlamentes, der Regierung leidet, weil es diese Zweiteilung der Verwaltung gibt. Und deswegen glaube ich, ist es jetzt an der Zeit, diesen Vorgang zu beenden, das Gesetz am besten abzuschaffen und neue Regelungen zu treffen."
Er sei damit übrigens nicht allein.
"Ich glaube, sie haben inzwischen im Bundestag eine sehr breite Mehrheit, die auf der Sachebene dafür ist. Mit jeder Wahl kommen neue Kollegen in den Bundestag, die Bonn als Hauptstadt nie kennengelernt haben. Dieser sentimentale Rückblick auf Bonn, diese Verklärtheit, wird immer weniger. Die älteren, die Generation 55plus, die kennt das noch – aber alles darunter, die gucken nur mit großen fragenden Augen. Das heißt, es hat sich einfach überlebt."
Idee zur Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen
Im Haushaltsausschuss gibt es auch schon eine Idee. In einem großen gesamtdeutschen Kraftakt müssen bis 2019 die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu geordnet werden. Gerade Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft fordert mit Unterstützung der darbenden Ruhrgebietsstädte, dass ihrem Land mehr Geld zustehe. Johannes Kahrs sagt: Dann wäre NRW vielleicht ja bereit, an anderer Stelle etwas aufzugeben.
"Aber ich glaube, man wird natürlich gucken, dass man den Nordrhein-Westfalen es ermöglichen muss, dem zuzustimmen. Dafür muss man im Rahmen des Interessenausgleichs auch was für Nordrhein-Westfalen tun."
Und zwar nicht für Bonn:
"Also das ist so, dass man, glaube ich, eher mehr fürs Ruhrgebiet machen muss als für Bonn. Die Region boomt auch von selber."
Es ist nicht leicht, in NRW Politiker aufzutreiben, die sich zur Bonn/Berlin-Frage äußern. "Kein Thema" ist die dürre Auskunft etwa aus dem Düsseldorfer Finanzministerium wie aus den meisten anderen Amtsstuben. Doch in der Ruhrgebietsmetropole Essen zum Beispiel, da sitzt ein Kämmerer, der dringend Geld braucht und findet, man könne die rot-grüne Landesregierung zu einem entsprechenden Schritt ermuntern. Lars Martin Klieve hat an einem Komplettumzug der Ministerien nichts auszusetzen.
"Wenn der Bund der Auffassung ist, das man damit Geld sparen kann, und dazu muss man kein Rechenkünstler sein, um das festzustellen, dann hielte ich das für eine ausgezeichnete Idee. Der Bund hat alle Möglichkeiten, Arbeitsplätze nach Bonn zu verlagern und die Ministerien schon aus Gründen der Arbeitsfähigkeit in Berlin zu konzentrieren. Das sollte seit 1991 eigentlich absehbar und zumutbar sein."
In und für Bonn direkt gewählt ist der Bundestagsabgeordnete Ulrich Kelber. Der Sozialdemokrat will sich der Idee nicht verschließen, Ministerien neu aufzuteilen: Was betrifft das Regieren, das nach Berlin gehört, was ist reine Verwaltung, die in Bonn gut aufgehoben ist.
"Wir hängen nicht an irgendwelchen Messingschildern mit einem schönen Adler drauf. Es geht um die Funktionen, die dahinter stehen. Und ich glaube es gibt ein paar Dinge, die man in Bonn besser machen kann als in Berlin."
Wer Bonn beschneiden wolle, müsse die Stadt entschädigen – und nicht etwa andere Teile von NRW.
"Wer an dem Berlin/Bonn-Status etwas verändern will, also die Stärken Bonns für Deutschland stärken, vielleicht die eine oder andere Regierungsfunktion nach Berlin nehmen muss, der muss mit der Region sprechen, und sich nicht auf einen Kuhhandel im Haushaltsausschuss verständigen."
Das ist immerhin kein klares Nein. Und die Bund-Länder-Finanzverhandlungen, die werden noch für viele Tauschgeschäfte Gelegenheit bieten.