"Eins, zwei, drei, Bühne frei. Hallo, hallo, schön dass du da bist, die Hacken und die Spitzen, die wollen nicht länger sitzen."
Ein paar Erstklässler der Grundschule Möwensee singen und tanzen im Bewegungsraum, an der Wand warten gestapelte Turnmatten auf Kinder, die toben wollen. Das gehört zum rhythmisierten Unterricht, denn diese Grundschule in Berlin Wedding ist eine gebundene Ganztagsschule. Das heißt, von acht bis 16 Uhr sind die Kinder jeden Tag hier, Freizeit und Schulunterricht wechseln sich ab. Das geht aber nur, wenn für Unterricht, Essen, Freizeit und Sport auch genügend Platz zur Verfügung steht, sagt Schulleiter Heiko Müller.
"Wir haben eine Turnhalle, ein sehr großes Schulgelände mit Ökobereich, wir haben Bewegungselemente in den Freizeiträumen, meist Tischtennisplatten, Billardtisch und so weiter, Tanzräume."
Schülerzahlen steigen, Räume werden enger
Dazu kommen ein Computerraum, eine Mensa, eine Bibliothek und jede Menge Nischen und Ecken, in denen sich die Kinder außerhalb des Unterrichts auch mal zurückziehen können. 1977 ist die Möwenseeschule als erste Ganztagsschule Berlins gebaut worden, sagt Claas Thomas, der Leiter des Freizeitbereichs der Schule.
"Das ist unser Vorteil, von dem wir heute auch noch leben, dass man damals das ganze Gebäude mit der ganzen Fläche, die wir jetzt haben, als Ganztagsschule geplant hatte. Nicht wie die anderen Schulen das jetzt erfahren mussten, wir werden jetzt mal ganz schnell Ganztagsschule, wie ihr mit den Räumen klarkommt, ist dann Eure Sache."
Alle fast 400 Berliner Grundschulen müssen inzwischen eine Ganztagsbetreuung anbieten. Circa 70 Schulen sind gebundene Ganztagsschulen, der Ganztagsbesuch ist für die Kinder verpflichtend. Weil die Schülerzahlen in Berlin seit Jahren steigen, müssen aber inzwischen auch an der Möwenseeschule Räume doppelt genutzt werden, das heißt, Unterricht und Freizeit finden im selben Raum statt. In anderen Schulen sei es noch schlimmer, meint Tom Erdmann von der GEW.
"Also da gibt es teilweise Dreifachnutzung, wo dann die Kinder nicht nur Unterricht und Freizeit im selben Raum haben, sondern auch noch essen müssen. Wenn wir von Ganztagsschule reden, dann kann es nicht sein, dass die Kinder acht Stunden im selben Raum sitzen."
Sanierungsstau von 47 Milliarden Euro
Die GEW fordert jetzt, deutschlandweit alle Ganztagsschulen baulich entsprechend anzupassen. In Berlin sei man da schon weiter, als in anderen Bundesländern, so Marlis Tepe von der GEW. Der Sanierungsstau bei den Schulgebäuden in Deutschland betrage über 47 Milliarden Euro und sei seit dem Jahr 2000 regelmäßig immer weiter gestiegen. Das 3,5-Milliarden-Paket der Bundesregierung bis 2022 sei ein Tropfen auf den heißen Stein, und reiche keinesfalls, um eine Schule in eine Ganztagsschule umzufunktionieren:
"Denn eine Schule, die einfach eine Flurschule ist, mit Schuhschachtelklassenräumen, kann nicht für die Kinder von morgens um sieben bis zum Teil nachmittags um 17 Uhr ein geeigneter Raum sein."
Das Ganztagskonzept sei an und für sich gut, aber nur, wenn es auch gut umgesetzt werde, sagt Tom Erdmann von der GEW:
"Wir fordern neben dem formellen Lernen muss für jedes Kind noch mindestens drei Quadratmeter für den Freizeitbereich zur Verfügung gestellt werden. Ganztagsschule hat ja auch den Zweck, dass der Bildungserfolg von der sozialen Herkunft entkoppelt wird und dass auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gewährleistet ist, das sehen wir gefährdet, wenn wir hier nicht möglichst schnell nachsteuern."
Es fehlen Grundstücke, Baufirmen, geeignetes Personal
Leichter gesagt als getan, sagt der Bildungsstadtrat des Berliner Bezirks Mitte, Carsten Spallek. Am Geld scheitere es nicht, aber gerade in der Hauptstadt stoße man dennoch schnell an Grenzen.
"Weil es teilweise nicht die ausreichenden Kontingente bei den Baufirmen gibt, wir stoßen an Grenzen, weil wir bei unserem eigenen Personal nicht die notwendigen Ressourcen haben, die solche Bauvorhaben dann auch begleiten und wir haben an vielen Stellen leider auch nicht die notwendigen Flächen, die wir brauchen, um Schulgebäude zu errichten oder zu erweitern."
Und die Situation wird sich noch verschärfen. In Berlin nehmen bisher 78 Prozent der Grundschulkinder das Ganztagsangebot wahr. Ab kommendem Schuljahr könnten es noch viel mehr werden, weil die Eltern dann keinen Betreuungsbedarf mehr nachweisen müssen.