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Berlin in der Zwischenzone

In Berlin eröffnete am Freitag eine Uraufführung des Musiktheaterstücks "Interzone" die dreiwöchigen Berliner Festwochen. Das Libretto des auf Texten von William S. Burroughs basierenden Auftragswerks stammt von dem deutschen Schriftsteller Marcel Beyer. Die Musik schrieb Enno Poppe, der dafür kleinere Tonintervalle als traditionell üblich verwendete. Die Akkorde auf dem normalen Klavier kenne er alle schon, begründete Poppe seine Entscheidung.

Von Georg Friedrich Kühn | 03.09.2004

    Merkwürdig gezierte vogelartige Stimmen. Dazu Bilder einer Stadtlandschaft: Wolkenkratzer-Schluchten, Fassaden von Fenstern wie Bienenwaben, leere Parkhausauffahrten, Menschen in langen Kaftanen am nächtlichen Strand oder der Arm, die Hand eines Tänzers wie schwebend im Raum. Das alles erst in ruckartig zusammen geschnittenen, dann in wie zu Farbklecksen verschwimmenden Bildern. Projiziert werden die mal parallel, mal abwechselnd auf ein kaleidoskopisches Oktogon von Leinwänden über den Köpfen der Musiker.

    Interzone heißt das etwa 80-minütige Werk von Enno Poppe nach einem Libretto von Marcel Beyer und mit den Videos von Anne Quirynen. Was den jungen Komponisten besonders interessiert hat bei dieser Konstellation.

    Das Verändern, das Gleiten, das Gleitenden - ganz konkret gesagt die Tongestaltung. Die Singstimmen haben immer diesen eiernden Tonfall. Das ist zunächst mal dies Opern-Vibrato, das wird Bestandteil der komponierten Singstimme. Das beginnt zu eiern.

    Literarische Vorlage für Interzone waren Texte von William S. Burroughs, entstanden in den 50iger Jahren auf der Überfahrt nach Tanger. Notizen, aus denen dann sein Roman "Naked Lunch" entstanden ist. Die Beschreibung eines Mannes bei der Bienensuche auf dem Weg in die Berge. Die Bilder entstanden überwiegend in Chicago, der Heimatstadt von Burroughs. Sie zeigen Übergangszonen divergierender Kulturen. Streng vermieden sind alle weiteren anekdotischen Anspielungen. Die Autoren versuchen von dem zentralen Begriff bei Burroughs auszugehen. Poppe:

    Dieses Amerikanische, dieses Großstadt-mäßige - es gibt ja bei Burroughs diesen Begriff "Interzone", der bei ihm eine Art Zwischenreich, eine unidentifizierbare Lokalität beinhaltet. Der kann sehr viel bedeuten. Ich denke, mit den amerikanischen Stadtbildern ist das gut illustriert.

    In einer Art Zwischenzone des Übergangs, der Selbstfindung navigieren auch die Berliner Festwochen, die mit diesem Auftragswerk eröffnet wurden auf der Hinterbühne des Hauses der Berliner Festspiele. Vor allem mit Zeitgenössischem, produziert oft mit großem technologischem Aufwand, versuchten sie sich nach der vom damaligen Philharmoniker-Intendanten Franz Xaver Ohnesorg herbeigeführten Trennung der Programmplanungen zuletzt neu zu profilieren. Festspielintendant Joachim Sartorius:

    Das eine ist, dass wir mehr unser eigenes Haus bespielen wollen und wir hier auch die Probemöglichkeiten haben für doch außerordentlich komplizierte Dinge wie dieses Interzone. Das Zweite ist, dass ich von Anfang an gesagt habe, dass ich interessiert bin, junge Künstler zu fördern und die Suche nach neuen ästhetischen Sprachen mitzufördern.

    Zwar sind auch eher traditionelle Konzerte heuer eingeplant mit einer Gegenüberstellung etwa von Werken der überwiegend in Paris lebenden finnischen Komponistin Kaija Saariaho mit solchen von Claude Debussy. Und über drei Abende verteilt erklingen sämtliche Klavierstücke, Nummer 1 bis 17, von Karlheinz Stockhausen. Dass das Stockhausen-Recital am 11.September beginnt, hat den Kürtener Meister nach Auskunft der Festspielleitung nicht gestört.

    Im kommenden Jahr allerdings will man dann einen wieder anderen Kurs steuern. Ran an Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker. Mehr Glanz hatte ja Kulturstaatsministerin Weiß für die vom Bund in der Hauptstadt finanzierten Festwochen eingefordert.

    Wir wollen dann ein Festival machen, das aus den kleinen Formaten hier etwas herauskommt. Auch mit etwas mehr Geld. Und versuchen, relativ groß dimensionierte Ensemble-Werke und bedeutenden internationale Orchester nach Berlin zu holen. Und dann in einem noch kürzeren Zeitraum, ich würde sagen vom 1. bis 12.September. Außerordentlich komprimiert, konzentriert. Das Programm im nächsten Jahr sieht nicht schlecht aus, es beginnt mit London Symphony Orchestra, es hört mit New York Philharmonic auf. Und es ist jede Menge Großes dazwischen. Also damit, das weiß ich, bespielen wir den Glanzfaktor. Aber wenn man so viele Festivals hat, die noch was ganz Anderes vorhaben, wie zum Beispiel die MaerzMusik, dann finde ich das auch okay, dass man so ein Festival macht.