Sie kommt nur schleppend voran, die Aufarbeitung eines Vorgangs, den Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres zynisch, menschenverachtend und ungeheuerlich nennt. Seit Ende der 60er-Jahre bis Anfang 2000 gaben mindestens zwei Jugendämter Kinder und Jugendliche in die Obhut von pädosexuellen Tätern. Diese kassierten Pflegegeld und missbrauchten die Kinder. Völlig unklar ist der Umfang des Skandals. Um wie viele Täter handelt es sich, um wie viele Opfer? Namentlich bekannt sind ein bereits verstorbener Täter und drei Betroffene. Mit zweien konnte der Deutschlandfunk sprechen – sie wollen anonym bleiben.
"Körperliche Züchtigung, in dem er uns geschlagen hat. Devise war gewesen: Er schlägt den Teufel in uns, nicht uns. Und der sexuelle Missbrauch, der mit sechs Jahren angefangen hat."
"Ich gehe als Geschädigter durch mein gesamtes Leben. Ich kriege keinen Fuß auf den Boden. Vom Anfang bis zum Ende ist man im Stich gelassen worden. Schlicht und einfach im Stich gelassen worden."
Staatlich organisierter Missbrauch
Für die Vermittlung von Pflegekindern an Pädophile ist in erster Linie der mittlerweile verstorbene Pädagogikprofessor Helmut Kentler verantwortlich. Er setzte sich für die Legalisierung von Sex mit Minderjährigen ein und war als Gutachter für den Berliner Senat sowie verschiedene Jugendämter tätig. Kentler war persönlich bekannt mit dem mittlerweile verstorbenen Sexualstraftäter Fritz H., langjähriger Pflegevater der beiden Betroffenen.
In ihrem Zwischenbericht für den Senat stellen die Forscher eklatante Gesetzesverstöße fest. Das System der Westberliner Pflegekinderhilfe sei intransparent und uneinheitlich gewesen. Wolfgang Schröer, Professor am Institut für Sozialpädagogik der Uni Hildesheim, kritisiert, die missbrauchten Pflegekinder seien weder angehört noch beteiligt worden.
"Das Kinder- und Jugendhilfegesetz schreibt explizit die Beteiligung der jungen Menschen an der Hilfeplanung und das Wunsch- und Wahlrecht vor."
Ermittlungsverfahren ist eingestellt
In den nächsten Monaten werden die Wissenschaftler Akten der Jugendämter sichten und Zeitzeugen befragen. Höchst unwahrscheinlich, dass sich die für den Skandal verantwortlichen Mitarbeiter der Berliner Jugendämter den Fragen der Forscher stellen werden – würden sie sich doch damit selber belasten. Eine gerichtliche Klärung der Vorgänge wird es aller Wahrscheinlichkeit nicht geben, die Staatsanwaltschaft hat ein entsprechendes Ermittlungsverfahren inzwischen eingestellt.
Berlins SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres findet scharfe Worte für den gesamten Vorgang, zeigt Mitgefühl für die Betroffenen:
"Dass sie in Isolation gelebt haben und dass die Kinderrechte nicht geachtet worden sind und dass sie nicht daran beteiligt worden sind, wo sie untergebracht worden sind. Und wenn Kinder gebrochen werden, dass es sie ihr ganzes Leben lang begleitet. Und dass da psychische Probleme mit verbunden sind und dass es auch Auswirkungen auf das spätere Leben hat, das ist logisch."
Empathie der Senatorin, allerdings wenig konkrete Unterstützung – so sehen es zumindest die vom sexuellen Missbrauch Betroffenen, die anonym bleiben wollen.
Verbrechen sind verjährt
"Hilfe ist nicht vorhanden, Hilfe kommt auch nicht, Hilfe wird auch nicht kommen. Das Beste, was diese Menschen tun, ist, heiße Luft rauszulassen. Wir werden ihnen helfen, wir werden Ihnen helfen, das aufzuarbeiten. Nix. Nix."
Warum es keine unbürokratische Hilfe für die zwei namentlich bekannten Betroffenen gibt? Bildungssenatorin Scheeres verweist auf rechtliche Zwänge, die Vorgänge seien verjährt.
"Dass ich natürlich alles das tun kann und nur tun kann, was den rechtlichen Rahmen angeht."
Widerspruch kommt vom Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung. Johannes Wilhelm Rörig fordert den Berliner Senat explizit auf, die zwei Betroffenen unbürokratisch zu unterstützen. Schließlich trage der Senat die politische Verantwortung für diesen Skandal.
"Hier verbietet es sich einfach, die Einrede der Verjährung vorzutragen, beziehungsweise auf fehlende Finanzmittel, beziehungsweise fehlende Haushaltstitel im Berliner Haushalt hinzuweisen."
Wo ein politischer Wille ist, findet sich auch ein Weg – so der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung gegenüber dem Deutschlandfunk.