Archiv

Berlin-Moabit
Moschee unterm Kirchendach

Eine liberal ausgerichtete Moscheegemeinde hat Unterschlupf bei Christen gefunden: In der Sankt-Johannis-Kirche in Berlin-Moabit wird sie künftig im Theaterraum der Kirche ihren Glauben praktizieren. Eine Imamin wird predigen, alles wird auf Deutsch übersetzt und verschiedene Ausrichtungen des Islams werden hier zusammenfinden.

Von Sabine Adler |
    St.-Johannis-Kirche an der Straße Alt-Moabit.
    Die St.-Johannis-Kirche an der Straße Alt-Moabit beherbergt nun auch eine Moscheegemeinde. (imago/Jürgen Ritter)
    Die Sankt-Johannis-Kirche in Berlin-Moabit. Der Untermieter, der jetzt unterm Kirchendach einzieht, erregt so manches Gemüt, denn die evangelische Gemeinde stellt ihren wenig genutzten Theaterraum künftig Muslimen zur Verfügung. Unters Kreuz kommt eine Moschee. Die Gegner reagieren mit Sorge und Abwehr, bestätigen Karl Heinz Hilberrat und Dietrich Jahn vom Gemeindekirchenrat.
    "Gefährlich ist es in Deutschland mittlerweile überall und wenn es nicht damals nicht jemanden gegeben hätte, der Martin Luther versteckt hätte, dann hätte es den Protestantismus nicht gegeben."
    "Also die haben richtig Angst, dass die Radikalen hierherkommen und alles kurz und klein schlagen, weil sie das alles nicht wollen."
    Erste Heimstatt der Moschee
    Initiatorin der neuen liberalen Moschee ist die türkischstämmige Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates, die vor einigen Jahren von Radikalen angegriffen und schwer verletzt wurde. Bei den Christen ist sie willkommen, sie geben ihrer Moschee die erste Heimstatt.
    "Ich finde es eine Bereicherung für unsere Kirchengemeinde, weil Frau Ates für eine liberale muslimische Ausrichtung steht, die die gleichen Ziele wie wir verfolgen: nämlich Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Frieden. Und ich kann es nicht besser sagen wie Frau Ates: Gott ist schon hier. Also warum irgendwo anders, wo wir hier die Möglichkeit haben, sie hier unterbringen zu können. Und vielleicht wächst da auch eine wunderbare Gemeinschaft, mit gemeinschaftlichen Gottesdiensten usw. Das wird sich alles finden."
    Dass die Gemeinde kaum fremdelt mit den künftigen muslimischen Untermietern, liegt an der Ausrichtung der Moschee. Seyran Ates erklärt, wie es dort zugehen soll:
    "Bei uns wird vorneweg schon mal eine Imamin, eine Frau, mal allein, mal gemeinsam mit einem Mann zusammen vor einer gemischt geschlechtlichen Gruppe vorbeten und auch die Predigt sprechen. Dass Männer und Frauen bei uns grundsätzlich nicht getrennt sind, sei es dass wir zusammen sitzen und diskutieren oder beten. Und wir sind Sunniten, Schiiten, Aleviten und Sufis zusammen, also verschiedene Ausrichtungen des Islams. Und es wird auch keinen Kopftuchzwang geben bei uns. Wer das trägt, trägt es, wer es nicht trägt, trägt es nicht. Ich werde keins tragen."
    Liberale Moschee steht Homosexuellen offen
    Die Moschee darf den Kirchen-Raum ein Jahr lang nutzen. Gemeinde wie Moscheegründer gehen davon aus, dass die 70 Quadratmeter sehr schnell viel zu klein werden. Denn die liberale Moschee wird offen sein für eben die, die es laut islamischen Fundamentalisten gar nicht geben dürfte. Homosexuelle zum Beispiel.
    "Ich werde nicht an der Tür fragen: Bist Du schwul, bist Du lesbisch. Wir wissen, dass es für viele Menschen schwierig ist, sich als homosexuelle Muslime frei und akzeptiert zu bewegen. Sie sollen eine Ort finden."
    Gönül Dogan ist Alevitin und lesbisch und will die Moschee organisatorisch mit aufbauen.
    "Also ich brauche keine Religion, die so stehen geblieben ist, so rückwärtsgewandt ist. Ich brauche ein, die mit der Zeit geht."
    Im Garten hinter der Kirche plaudern Azize Karagülle und Ayse Temiz. Beide Türkinnen freuen sich über die neue Moschee.
    "Natürlich, das ist doch perfekt, ist doch schön, also noch Besseres gibt’s nicht."
    "Ich denke auch, dass ist eigentlich ein gutes Zusammenleben. Zwischen muslimischen Brüdern habe ich immer gesehen: Abstand halten. Kirche? Nichts für mich. Nee. Wir dürfen nicht mal hingehen. Also das müsste eigentlich gebrochen werden. Juden, oder Muslime oder Christen sollten unter einem Dach zusammen brüderlich leben können."
    Alles wird ins Deutsche übersetzt
    Aysche Temiz ist trotz ihres Kopftuchs und Gewands über der Kleidung willkommen. Alles, was in der Moschee gesprochen wird, wird ins Deutsche übersetzt.
    "Wir haben sowieso ein Interesse, dass Deutsch gesprochen wird. Das ist ein Aspekt unserer Moschee, dass alles ins Deutsche übersetzt wird, wenn nicht Deutsch gesprochen wird. Wir wollen natürlich auf Arabisch rezitieren, weil die Rezitation auf Arabisch noch einmal einen anderen Klang hat. Aber das jedes Mal übersetzen. Und dann gibt es die ja auch, die verstehen nur Türkisch oder nur Arabisch, die sollen jetzt ja nicht nicht zu uns kommen können, weil sie kein Deutsch verstehen."
    Seyran Ates lernt Arabisch, schon um nicht versehentlich Suren aus dem Koran zu zitieren, die Gewalt gegen Frauen oder Kopftuchzwang propagieren.
    "Es gibt türkische Übersetzungen vom Koran, das steht drin, dass die Frauen Kopftücher tragen müssen. Kopftuch - başörtü. Da steht exakt dieses Wort. Daran sieht man, wie Gläubige manipuliert werden. Jeder, der diese Kopftuchdebatte kennt, weiß, dass es darüber Zweifel gibt, was diese Wörter bedeuten, die in diesen fünf Suren vorkommen: Umhang, Vorhang, kima. Sollen die Frauen des Propheten sich hinter den Vorhang stellen, damit fremde Männer sie nicht sehen oder Frauen ihren Schmuck verdecken, damit sie auf der Straße nicht überfallen werden. Von Indonesien bis Marokko streiten Frauen darüber, dass das Kopftuch nun mal nicht exakt erwähnt wird im Koran. Und plötzlich findet man türkische Übersetzungen, wo Kopftuch steht "
    Ihre Klagen, dass liberale Moslems nirgendwo eine Heimstatt haben, sind vorbei. Sie weiß, dass sie sich anlegt mit den Konservativen, aber sie überlässt ihnen nicht mehr das Feld.
    "Kant sagte: Habe Mut, Angst zu haben, habe Mut, deinen Verstand zu benutzen. Angst hat in meinem Leben immer ein Rolle gespielt, aber es wird mich nicht daran hindern, den nächsten Schritt zu tun."