Laster, Autos und Motorräder jagen über die staubige, vierspurige Straße. Nur ein schmaler Bürgersteig trennt sie von der East-Side-Gallery. Die kilometerlangen Überreste der mit Graffiti bunt bemalten Berliner Mauer - sie sind ein Highlight für Touristen mit ihren Kameras.
Doch dieses Foto galt ausnahmsweise nicht der Kunst, sondern der Sängerin "Vivian van der Spree" und ihrem Gitarristen, die vor der Mauer spielen. Er schlägt lässig die Saiten an. Sie wippt von einem Bein auf das andere auf einer halbrunden, schrittbreiten Matte mit dem Aufdruck "First We Take The Streets".
Alle 200 Meter entlang der Mauer steht so eine Mini-Bühne für die Dutzenden Nachwuchsbands, die auf dem ersten Straßenmusikfestfestival der Berlin Music Week auftreten. Viele Genres sind vertreten: Schrammeliger Bluesrock mit Punkattitüde, hingeklatscht von "Deadly Past" und ein paar Schritte weiter: treibende Electronic-Beats mit verzerrter Geige und Bassgitarre von Nitzsche & Hummel. Bis hin zum Indie-Rock der vier jungen Männer von Arionce.
Etwa 20 Passanten - junge und alte, von hier oder zugereist - lehnen an einem Geländer.
Junge Frau im Publikum: "Man ist draußen, man kann die Musik hören, ich war schon auf dem letzten Konzert, das hat mir richtig gut gefallen und deswegen bin ich wiedergekommen."
"Am Wochenende konkurriert man mit Riesenbands"
Arionce hat kleine Verstärker an ihren Mikrofonen und Gitarren angebracht, um gegen den Autolärm anzuspielen. Straßenmusik heißt nun mal sich durchzusetzen.
"Wir spielen überwiegend in Klubs und auf Bühnen. Das mit dieser Straßenmusik war witzigerweise eine neue Idee von unserem Sänger und Gitarristen," sagt der Schlagzeuger, Sven Heuer.
"Der meinte, wir könnten ja auch mal so ein bisschen auf der Straße spielen und so eine Mischung aus Probe und Live-Gig haben, wo man wenig Aufwand vorher hat und Leute einfach mal so bespielt, und dann kann man gucken, wie neue Songs so ankommen, wie das funktioniert. Lief ganz gut, ja, hat Spaß gemacht für die Leute hier zu spielen."
Ob auf der Straße oder der Bühne - in Berlin ist es nicht leicht, sich genügend Gehör zu verschaffen. Schon gar nicht als Newcomer.
"In Berlin, wenn man an einem Wochenende spielt, konkurriert man halt mit Riesenbands, die in irgendwelchen Stadien spielen und da eine fette Show haben und auch zig anderen guten Bands, die hier spielen. Die meisten unserer Freunde sind Bands, die größtenteils aus Großbritannien hierhergekommen sind und natürlich das Level hier gut hochsetzen."
"Wir versuchen, Startrampen zu bauen"
Aufmerksamkeit bekommen, das nächste Level erreichen, den Durchbruch schaffen - darum geht es in der übersättigten Musikerszene der Hauptstadt. Das Forum dafür möchte auch Björn Döring bieten. Er ist Leiter der Berlin Music Week. Döring lässt entspannt den Blick schweifen entlang der Straßenmusik-Nischen an der East-Side-Gallery:
"Uns ist aufgefallen, letztes Jahr schon haben sich Künstler hier direkt an die Straße gestellt, vielleicht war es Zufall, vielleicht haben sie darauf spekuliert, dass das irgend so ein paar Musikfuzzies lang marschieren und möglicherweise irgendjemand ihnen einen Vertrag unter die Nase hält. Und aus dem Zufall haben wir dann jetzt im Prinzip ein Festival gemacht, weil es eh in Berlin seit Jahren schon ganz tolle Straßenmusik gibt."
Sagt Döring lächelnd. Auch wenn sich dort kein Plattenvertrag ergibt, lohnt sich die Teilnahme für die Musiker. Sie dürfen ihre Songs über ein Major-Label digital im Netz vertreiben. Außerdem haben sie kostenlosen Zugang zu der Fachkonferenz - und damit die Chance, dort vielleicht einen interessierten Agenten zu treffen, der ihnen neue Türen öffnet.
"Wir versuchen schon, Startrampen zu bauen - auch mit dem Festival."
Und auch der Branchentreff selbst profitiert auch von den öffentlichen Gratis-Konzerten an der East-Side-Gallery und am sonnigen Ufer der Spree - durch sie wird die Berlin Music Week ein Stück weit sichtbarer als in den Vorjahren.