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Berlin unter Finanzdruck

Capellan: Ich begrüße den Finanzsenator Berlins, Thilo Sarrazin (SPD). Guten Morgen Herr Sarrazin.

21.03.2002
    Sarrazin: Guten Tag.

    Capellan: Herr Sarrazin, wenn das richtig ist, was Dieter Vesper da gerade in unserem Beitrag gesagt hat, nämlich dass Hans Eichel im Grunde genommen nichts in der Hand gegen Sie hat, dann können Sie sich ja beruhigt zurücklegen.

    Sarrazin: So einfach ist es nicht. Wir sitzen alle doch irgendwo im selben Boot und wir müssen uns darum bemühen, dass wir gemeinsam die Ziele auch anstreben, die von Brüssel gesetzt worden sind. Aber natürlich ist in der Tat richtig, dass wir nur begrenzt die Instrumente haben, um das umzusetzen, weil doch ein beachtlicher Teil unserer Ausgaben durch Bundesgesetz definiert wird, und natürlich müsste man uns hier auch helfen. Wenn wir zum Beispiel im Bereich der Sozialleistung oder der Beamtenbesoldung mehr eigene Gestaltungsmöglichkeit hätten, hätten wir es auch in diesem Punkt einfacher als Länder.

    Capellan: Und da könnten auch Sie in Berlin was machen, wo doch Berlin nahezu pleite ist? Könnten Sie da dem Bundesfinanzminister noch entgegen kommen?

    Sarrazin: In einem Punkt haben wir schon etwas gemacht. Unser Haushalt wird in diesem Jahr fallen und er wird im nächsten Jahr nur um unter einen Prozent steigen. Das heißt, die neue Linie mit einem Prozent Wachstum haben wir bereits umgesetzt.

    Capellan: Allerdings fragt sich doch, ob Sie damit hinkommen. Sie haben selbst gesagt, dass der Sparhaushalt, der verabschiedet worden ist, nicht Ihren Erwartungen entspricht, dass Sie eigentlich mehr wollten und trotzdem laufen ja die Gewerkschaften schon Sturm dagegen: Es soll weniger Geld geben für private Schulen, es sollen Krankenhäuser geschlossen werden, die Kitas sollen weniger Geld bekommen. Das sorgt ja in Berlin für eine Menge Aufruhr und es stellt sich die Frage - Sie haben es ja auch angedeutet: Brauchen Sie nicht eigentlich noch mehr Geld vom Bund?

    Sarrazin: Das ist ein Thema, das wir vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt angehen sollten. Im Augenblick geht es uns darum, dass wir erst einmal Ausgaben und Einnahmen in Berlin angleichen und da ist noch außerordentlich viel zu tun. Wir haben im Augenblick, selbst dann, wenn wir Zinsausgaben mal außer Acht lassen, 2,1 Milliarden Euro mehr Ausgaben im Jahr als wir Einnahmen haben. Wir müssen also jetzt weiter Ausgaben in dieser Stadt kürzen. Daran geht kein Weg vorbei.

    Capellan: An welchem Punkt käme man denn dann weiter? Bei der Neuverteilung von Sozialausgaben? Ist das der Hauptpunkt?

    Sarrazin: Nein, es ist eigentlich alles wichtig. Wir liegen in allen Ausgabearten, Personal-, Sozialausgaben usw., höher als wir dürfen. Wir haben nur in Berlin den Punkt, dass wir mehr öffentlich Bedienstete als wo anders haben, und zwar etwa 30 Prozent mehr. Wir können die auch jetzt nur innerhalb der nächsten 10 bis vielleicht 15 Jahre allmählich abbauen, nicht aber unmittelbar. Damit haben wir ein Ausgabenthema. Und wir haben wesentlich mehr Sozialhilfeempfänger oder andere Sozialleistungsbezieher als andere, mehr, als es eigentlich zu unseren finanziellen Möglichkeiten passt. Und auch hier können wir ja unmittelbar nicht eingreifen. Immer wenn man bestimmte Mengen hat und Kosten senken will, muss man entweder an die Ausgaben Pro Kopf oder an die Menge heran. Wir müssen beides tun in Berlin.

    Capellan: Sie fordern ja gerade im öffentlichen Dienst gewaltige Einsparungen. Sie haben einen Freiwilligengehaltsverzicht von 10 Prozent angemahnt. Meinen Sie das eigentlich ernst?

    Sarrazin: Anmahnung ist vielleicht nicht jetzt der richtige Ausdruck. Es geht darum, dass wir, um überhaupt Personalausgaben in Berlin in ein angemessenes Verhältnis zum Ausgabenumfang zu bringen, von den Ausgaben für einen sogenannten Solidarpakt im öffentlichen Dienst 500 Millionen brutto abgesetzt haben, als Minderausgabe ab dem Jahre 2003/4. Dieser Betrag muss natürlich in irgendeiner Weise inhaltlich abgedeckt werden. Und er kann nur inhaltlich abgedeckt werden, wenn es entweder in diesem Umfang Lohn- und Gehaltsverzichte oder Lohn- und Gehaltskürzungen gibt, oder indem wir in diesem Umfang zusätzliches Personal abbauen oder überhaupt kein Personal mehr einstellen.

    Capellan: Nur, Herr Sarrazin, wem kann man Gehaltskürzungen von 10 Prozent zumuten?

    Sarrazin: Das ist keine Frage, wem man es zumuten kann. Das ist umgekehrt die Frage, wie man Berlin weiter anwachsende Schulden zumuten kann. Wir haben im Augenblick 41 Milliarden Euro Schulden und zahlen pro Jahr 2,3 Milliarden Euro Zinsen. Wenn wir jetzt nicht eingreifen, werden unsere Schulden bis zum Jahr 2010 auf 90 Milliarden Euro steigen und wir werden dann bereits pro Jahr 4,5 Milliarden Euro Zinsen zahlen. Und das können wir uns nicht leisten.

    Capellan: Das heißt aber, dass die Beschäftigten in Berlin dafür büßen müssen, dass die Stadt in der vergangenen Zeit, in den letzten Jahren über ihre Verhältnisse gelebt hat, unter Mitverantwortung auch der Sozialdemokraten?

    Sarrazin: Ich will das jetzt gar nicht einseitig zuweisen. Tatsache ist nur: Wenn ein Staat, ein Gemeinwesen mehr ausgibt als es einnimmt, also, wie Sie sagen, über seine Verhältnisse lebt, dann büßen am Ende alle dafür. Es büßt immer am Ende der Bürger. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Irgendwer muss es ja bezahlen.

    Capellan: Wenn diese ganzen Sparbemühungen in Berlin am Ende doch nicht reichten sollten, würden Sie dann auch vor das Bundesverfassungsgericht gehen, um Hilfen des Bundes für die Hauptstadt einzuklagen?

    Sarrazin: Wir haben ja zwei unterschiedliche Themen: Wir haben das Thema Ausgaben und Einnahmen zum Ausgleich bringen, ohne Zinsen. Das ist unser Thema in Berlin und dabei darf uns auch keiner helfen. Das ist verfassungsrechtlich verboten. Und dann haben wir die andere Frage: Wie gehen wir mit den bereits aufgelaufenen Schulden und mit deren Zinskosten um? Da wird uns der Bund irgendwann helfen müssen, weil wir das selbst gar nicht bringen können und da werden wir notfalls auch klagen müssen.

    Capellan: Herr Sarrazin, erlauben Sie zum Schluss eine persönliche Frage: Sie klagen gegen Ihren früheren Arbeitgeber, die Deutsche Bahn, auf Weiterzahlung Ihres Gehaltes bis zum Jahre 2005. Wie passt das zusammen mit Forderungen nach Gehaltsverzicht bei Beschäftigten in Berlin?

    Sarrazin: Da sollte man hier vielleicht wirklich aufpassen: Ich habe mit einem privatrechtlichen Arbeitgeber einen Dienstvertrag und darauf hat dieser gegenüber mir gewisse privatrechtliche Verpflichtungen. Die hat er in einem Akt der Willkür jetzt nicht eingehalten, und da fordere ich mein Recht ein.

    Capellan: Also, rechtlich mag die Sache okay sein - das sehen Sie so -, aber ist es nicht psychologisch bedenklich?

    Sarrazin: Wissen Sie, Sie sind angestellt beim Deutschlandfunk. Wenn Sie ab morgen dort Ihr Gehalt nicht mehr beziehen, dann werden Sie auch klagen. Sie haben einen Anspruch, und es ist doch ganz klar, dass man das tun kann. Eine andere Sache ist die, dass ich mich ja hier in keiner Weise an irgendeinem bereichern will. Ich arbeite im Augenblick in Berlin für einen Dollar, oder für noch weniger, für einen Euro, oder, wenn Sie wollen, auch für null Euro. Es ist ja nicht so, dass ich von irgendjemandem etwas will. Ich will nur, dass mir das Gehalt, das mir vertraglich zusteht, auch gezahlt wird.

    Capellan: Also sind Sie ehrenamtlicher Finanzsenator in Berlin oder wie muss man das verstehen?

    Sarrazin: Ich bin im Augenblick ehrenamtlicher Finanzsenator in Berlin, das ist richtig.

    Capellan: Tilo, Sarrazin war das, SPD-Senator in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio