Sandra Schulz: Am Sonntag stimmen die Berliner also über das Tegler Referendum ab. Darüber können wir in den kommenden Minuten sprechen.
- Am Telefon ist der Mann, der den Berlinern versprochen hat, Tegel offenzuhalten: der Berliner FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja. Schönen guten Morgen.
Sebastian Czaja: Guten Morgen!
Schulz: Sie gehören ja zu den Initiatoren des Volksentscheids. Warum sollen die Berliner über eine Frage abstimmen, die rechtlich schon längst entschieden ist?
Czaja: Diese Frage ist ja rechtlich nicht schon längst entschieden; diese Frage ist rechtlich entschieden mit einer aufschiebenden Bedingung. Und die aufschiebende Bedingung ist die, dass der Flughafen BER ordnungsgemäß in Betrieb geht und ordnungsgemäß Kapazitäten zur Verfügung stellt. Wir haben in Berlin ein Problem: Wir haben einen Flughafen, der zu klein geplant worden ist und der niemals diesen Anforderungen gerecht werden wird, die wir brauchen für die Hauptstadt, für die Metropolregion Berlin-Brandenburg. Deshalb sind sich auch mehrere Juristen einig und der Wissenschaftliche Parlamentsdienst des Deutschen Bundestages, dass es rechtlich geht, den Flughafen Tegel offenzuhalten, weil es am Ende des Tages für die Hauptstadt auch notwendig ist.
Schulz: Das waren jetzt gleich mehrere Punkte auf einmal. Vielleicht, weil Sie auf die Kapazitäten gleich zu sprechen kommen. Da gibt es ja die Gegenstellungnahme des BER-Chefs, der ganz klar sagt, wir haben jetzt schon, obwohl der BER ja überhaupt noch nicht in Betrieb ist, die nötigen Erweiterungen beschlossen, dass die Kapazitäten, die prognostiziert werden für die 20er-, für die 30er-Jahre, 45 Millionen, 50 Millionen Passagiere, dass das alles überhaupt kein Problem ist.
Czaja: Zunächst einmal muss der Flughafenchef den Beweis antreten, dass er in der Lage ist, den Flughafen zu öffnen. Bisher haben wir lediglich immer wieder Verschiebungen zur Kenntnis nehmen dürfen und wir wissen bis heute in Berlin nicht, wann der Flughafen BER öffnet. Es gibt kein verbindliches Eröffnungsdatum.
Schulz: Okay, der Punkt geht an Sie. Aber lassen Sie mich noch auf die rechtlichen Bedenken kommen, weil Sie ja auch sagen, es gibt Gutachten, die sagen, das ist alles gar nicht so klar. Was aber klar ist, dass an diese rechtliche Lage man ja erst wieder herangehen könnte, wenn auch die anderen Gesellschafter von BER das noch mal in die Revision nehmen würden. Das sind das Land Brandenburg und auch der Bund. Und da gibt es ja überhaupt keine Signale. Wie kommen Sie darauf, dass die das noch mal revidieren wollen?
Czaja: Es gibt zunächst eine aktuelle Umfrage für Brandenburg, wo 60 Prozent der Brandenburger für die Offenhaltung von Tegel sind. Ich habe den Eindruck, dass das Land Brandenburg sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen wird, sobald Berlin entschieden hat. Bisher steht eine politische Entscheidung in Berlin aus. Die können die Berlinerinnen und Berliner am 24.9. in der Stadt im Zusammenhang mit der Bundestagswahl herbeiführen. Und Berlin kann zu allererst den Widerruf vom Widerruf der Betriebsgenehmigung des Flughafens Tegel vornehmen, damit Tatsachen schaffen. Und ich gehe fest davon aus, dass die Länder Berlin und Brandenburg ein Übereinkommen erzielen werden, weil es am Ende des Tages auch rechtlich möglich ist.
Schulz: Aber, Herr Czaja, Sie haben jetzt aus diesem Thema rechtlich und politisch schon einiges an Kapital geschlagen. Sie haben vor der Abgeordnetenhauswahl gesagt, wenn ihr wollt, dass Tegel offenbleibt, dann müsst ihr uns wählen, sind damit wieder ins Abgeordnetenhaus eingezogen. Und jetzt versprechen Sie den Berlinern, wenn sie in diesem Referendum für Tegel stimmen, dann bleibt Tegel offen, obwohl dieses Referendum überhaupt nicht bindend ist. Wie politisch lauter ist das?
"Referendum ist bindend"
Czaja: Ich möchte grundsätzlich erst einmal festhalten, dass jedes Referendum bindend ist, weil es ist zu vergleichen mit jedem Gesetz, was im Deutschen Bundestag oder in einem Landtag in Deutschland beschlossen wird. Erstens! – Zweitens haben wir eine Grundsatzentscheidung in Berlin zu treffen, die politisches Handeln erfordert. Und deshalb braucht es einen politischen Auftrag. Diesen politischen Auftrag können die Berlinerinnen und Berliner am Sonntag erteilen. Mit diesem Auftrag muss man dann anfangen, zu arbeiten und in die Umsetzung zu kommen.
Schulz: Wie soll diese Arbeit aussehen? Jetzt das Szenario unterstellt, es gibt diese Mehrheit für die Offenhaltung von Tegel, was sind dann Ihre nächsten Schritte?
Czaja: Wenn es diese Mehrheit am Sonntag gibt, dann ist die Regierung des Landes Berlin aufgefordert, alles erdenklich Mögliche zu tun, um den Flughafen Tegel offenzuhalten. Das beginnt zum einen mit dem Widerruf vom Widerruf. Das beginnt mit der gemeinsamen Landesentwicklungsplanung der Länder Berlin und Brandenburg. Und das beginnt auch mit Gesetzmäßigkeiten, dass man ganz klar regelt, in welcher Rolle soll Tegel im Parallelbetrieb zu BER denn betrieben werden. Das sind Gesetzmäßigkeiten, die kann alle Berlin regeln, und da muss der Anfang gemacht werden.
Schulz: Warum spielen jetzt in diesem Streit für die FDP wirtschaftliche Erwägungen so wenig eine Rolle? Wir sprechen ja über einen Flughafen, den Flughafen Tegel, der ist so marode, dass manche es schon für einen Zufall halten, dass er nicht schon längst zusammengefallen ist. Die Investitionsbank Berlin, die schätzt die Kosten für nötige Investitionen auf Milliarden. Es gibt die Einschätzung von vielen Experten, die sagen, das ist wirtschaftlich absoluter Irrsinn. Seit wann ist die FDP denn so großzügig im Umgang mit Steuergeldern?
"Flughafen Tegel eine sinnvolle Investition"
Czaja: Wir haben zunächst einen Flughafen BER, der uns am Tag 1,3 Millionen kostet, der seit 1800 Tagen nicht eröffnet hat. Und wenn ich mir überlege, dass wir selbst wenn wir eine Milliarde am Flughafen Tegel investieren müssten – die Zahlen schwanken noch stark in der Stadt – das allemal eine sinnvolle Investition wäre. Wir haben 16 Technologie- und Wissenschaftsstandorte in Berlin, die dringend darauf warten, verdichtet zu werden, uns zu echten wirtschaftlichen Leuchttürmen zu machen. Das fokussieren wir, das wollen wir und am Ende des Tages ist es auch so, dass, wenn Tegel schließen sollte, ein wirtschaftlicher Gesamtschaden von 2,5 Milliarden für die Hauptstadt entsteht. Das ist der nachvollziehbare Grund, wieso viele Startups, 75 Prozent, in der Stadt sagen, lasst diesen Flughafen offen, wieso die Wirtschaft in Teilen auch sagt, lasst diesen Flughafen offen, wieso es sinnvoll ist für die Touristen, diesen Flughafen offenzulassen. Und es ist am Ende natürlich auch – und die Berliner kennen das zu gut – ein Entlastungsprogramm für den Berliner Straßenverkehr. Der Strauß an Argumenten für die Offenhaltung ist immens groß und immens sinnvoll.
Schulz: Herr Czaja, wobei bei den Zahlen, wie das in solchen Situationen ja immer ist, sicherlich auch Gutachten gegen Gutachten stehen. Es gibt ja noch diesen anderen Punkt, in dem es um Vertrauensschutz geht. Es gibt Hunderttausende von Berlinern, denen vor Jahren, vor Jahrzehnten versprochen wurde, dass irgendwann mal Schluss ist mit diesem Fluglärm. Wenn man den Menschen diese Perspektive jetzt aus der Hand nimmt – es gibt ja auch Leute, die Immobilien gekauft haben, im klaren Vertrauen darauf, dass das irgendwann mal vorbei ist -, wenn man denen jetzt sagt, "April April", fördert das nicht ungemeine Politikverdrossenheit?
Czaja: Zuerst einmal hat man diesen Menschen auch versprochen, dass man sich um Lärmschutz kümmern wird, und wir haben das Thema Lärmschutz in unserer Debatte ganz weit oben aufgehangen. Und es ist am Ende des Tages auch so: Weil der Flughafen BER im Jahr 2019 nicht öffnet, werden alle Anwohnerinnen und Anwohner um den Flughafen Tegel herum am 1.1.2019 einen verbindlichen Rechtsanspruch auf Lärmschutz haben. Die Investitionen müssen so oder so getätigt werden und es wäre doch eine typische Berliner Geschichte, wenn wir Millionen in Lärmschutzmaßnahmen verbauen und dann eine funktionierende Infrastruktur in Berlin schließen. Deshalb lassen Sie uns lieber eine Debatte darüber führen, wie wir diese funktionierende Infrastruktur aufrechterhalten können, wie wir darüber sprechen können, Lärmschutz zu realisieren, wie wir darüber sprechen können, diesen Flughafen attraktiv zu gestalten und zu revitalisieren, und wie wir auch dazu beitragen, dass es ein Nachtflugverbot gibt am Flughafen Tegel.
Schulz: Da bleiben wir im Gespräch. – Vor dem Referendum über den Hauptstadtflughafen Tegel war das der Berliner FDP-Chef Sebastian Czaja. Danke Ihnen ganz herzlich für das Interview heute Morgen.
Czaja: Bitte. – Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.