Wahl zum Abgeordnetenhaus
Berlin vor der Wiederholungswahl

Am 12. Februar werden die Berlinerinnen und Berliner schon wieder zur Abstimmung gerufen. Die Wahl zum Abgeordnetenhaus vom 26. September 2021 muss wegen Verstößen gegen das Wahlrecht wiederholt werden. Wie es dazu kam und welche Themen nun im Mittelpunkt stehen.

Von Sebastian Engelbrecht |
    Eine Frau gibt in einem Wahllokal Wahlzettel für die Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses und den Volksentscheid für die Vergesellschaftung von Immobilienbeständen ab.
    Durch ein Urteil des Berliner Verfassgungsgerichtshofes müssen die Berlin-Wahlen vom 26. September 2021 wiederholt werden (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)

    Warum wird die Berlinwahl wiederholt?

    Der Berliner Landesverfassungsgerichtshof entschied am 16. November vergangenen Jahres, dass die Wahlen des Abgeordnetenhauses und der zwölf Bezirksverordnetenversammlungen vom 26. September 2021 in ganz Berlin wiederholt werden müssen. Sie seien mangelhaft vorbereitet worden, so das Urteil der Berliner Verfassungsrichter.
    Zudem hätten Tausende ihre Stimmen nicht unbeeinflusst abgeben können, weil die Hälfte aller Wahllokale noch nach 18 Uhr geöffnet gewesen sei. Nachweislich seien alle Wahlkreise von Wahlfehlern betroffen gewesen. In vielen Wahllokalen waren nicht ausreichend Stimmzettel vorhanden - oder es lagen die falschen vor. Zum Teil wurden den Wahlberechtigten falsche oder eilends kopierte Stimmzettel vorgelegt.
    Die Unregelmäßigkeiten betreffen natürlich ebenso die Bundestagswahl, die am selben Tag in Berlin stattfanden. Anders als das Landesverfassungsgericht beschloss der Bundestag Anfang November, dass die Wahl nur in 431 von 2.256 Berliner Wahllokalen wiederholt werden muss. Zu beiden Entscheidungen – der des Landesverfassungsgerichtshofs und der des Bundestags – liegen Beschwerden beim Bundesverfassungsgericht vor, über die die Karlsruher Richter noch nicht entschieden haben.
    Hoffen auf einen pannenfreien Ablauf
    Am 31. Januar machten sie lediglich in einer Eilentscheidung für die Wahlen auf Landesebene am 12. Februar den Weg frei. Die Einsprüche von 42 Beschwerdeführern gegen die Gültigkeit der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts wiesen sie vorläufig zurück.
    Nachdem Landeswahlleiterin Petra Michaelis wegen der chaotischen Wahl vom Herbst 2021 des Amtes enthoben wurde, setzte der Senat im Oktober einen neuen Mann in das Amt ein: Stephan Bröchler. Er ist im Hauptamt Professor für Politik- und Verwaltungswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin und war zuvor in einer Kommission tätig, die im Auftrag des Senats die Ursachen der Wahlfehler analysierte.
    Landeswahlleiter Stephan Bröchler steht bei einem Pressetermin zum Beginn der Briefwahl für die Wiederholungswahlen am 12. Februar im Rathaus Zehlendorf.
    Wenn in Berlin am 12. Februar neu gewählt soll Stephan Bröchler erneute Pannen verhindern (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    So müssen die Geschäftsstellen der Parteien schon wieder plakatieren, Werbespots produzieren und ihre Spitzenkandidaten auf der Straße und an der Seite der Bürger in Szene setzen.

    Was sind die wichtigsten Wahlkampfthemen?

    Die SPD bemüht sich, mit „unserer Regierenden“, Franziska Giffey, zu punkten, die vor einem Jahr den blassen Michael Müller als Regierungschefin ablöste. Giffey gibt sich volksnah und hält sich zugute, dass der Senat in Berlin im Anschluss an das bundesweit im Sommer eingeführte 9-Euro-Ticket für den Nahverkehr einen 29-Euro-Fahrschein einführte.
    Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (M, SPD), Bettina Jarasch (l, Bündnis 90/Die Grünen), Berliner Senatorin für Umwelt, Mobillität, Verbraucher und Klimaschutz, Klaus Lederer (r, Die Linke), Berliner Senator für Kultur und Europa, und Daniel Wesener (Hintergrund, Bündnis 90/Die Grünen), Berliner Finanzsenator, kommen nach der Sitzung des Senats zu einer Pressekonferenz.
    Die Vorsitzenden den Berliner Senats: Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (m, SPD), die Berliner Senatorin für Umwelt, Mobillität, Verbraucher und Klimaschutz Bettina Jarasch (l, Grüne) und Klaus Lederer (r, Linke), Berliner Senator für Kultur und Europa (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    In der Verkehrspolitik neigt Giffey im übrigen eher nach rechts. Sie kämpft dagegen, die zentral gelegene Friedrichstraße in eine Fußgängerzone umzuwandeln und unterstützt den Bund in seinen Planungen, den Bau des innerstädtischen Autobahnrings auch im Osten der Stadt voranzutreiben.
    Der Wahlkampf hat in der Verkehrspolitik die Unterschiede innerhalb der bestehenden rot-grün-roten Koalition zu Tage gefördert. Anders als die SPD wollen die Grünen und ihre Spitzenkandidatin den Autobahnring nicht weiterbauen und zudem noch flächendeckend Tempo 30 als „Regelgeschwindigkeit“ einführen. In der Friedrichstraße schufen sie zwei Wochen vor der Wahl vollendete Tatsachen und sperrten sie erneut für den Autoverkehr. Giffey twitterte gegen ihre Senatskollegin Jarasch: „Diese Aktion ist nicht mit dem Senat abgestimmt. Ich halte diesen Alleingang auch nicht für durchdacht.“
    Das zweite große Streitthema ist die Wohnungs- und Mietenpolitik. Hier schwelt der Streit um das Thema Enteignungen weiter. Kanzler Scholz schlug sich auf die Seite der Regierenden Bürgermeisterin und sagte dem „Tagesspiegel“, durch Enteignungen entstünden keine neuen Wohnungen. Giffey predigt wie CDU und FDP den Neubau als Lösung des Wohnungsproblems und lehnt die Enteignung der großen Wohnungskonzerne ab – obwohl sich fast 60 Prozent der Berliner beim Volksentscheid dafür ausgesprochen haben.
    Nur die Linke und ihr Spitzenkandidat, Kultursenator Klaus Lederer, versprechen ohne Abstriche, den Volksentscheid „umsetzen“ zu wollen – mehr noch: „Wir wollen möglichst viele Wohnungen, Grundstücke und die Energienetze der Stadt wieder in die öffentliche Hand zurückholen.“

    In welchen Punkten unterscheiden sich die Parteien am deutlichsten?

    Nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht zeigen sich Differenzen in der Sozialpolitik. Die CDU forderte den Senat auf, die Vornamen der Täter – auch derer mit deutschem Pass – offenzulegen. So wollte die Union, geführt von ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner, nachweisen, dass vor allem Migranten die Schuld an den Gewalttaten der Silvesternacht, auch gegen Polizisten und Rettungskräfte, tragen.
    Zugleich profilierte sich Giffey als geübte Managerin sozialer Probleme und berief wenige Tage später einen „Gipfel gegen Jugendgewalt“ ein. Anders als die CDU betont Giffey, es handle sich bei den Akteuren um „Berliner Jugendliche, die hier geboren und aufgewachsen sind“.
    Gestritten wird auch darüber, wie die Stadt eine effiziente Verwaltung aufbauen kann. Das Verwaltungschaos zeigte sich in den vergangenen Jahren in allen Bereichen – vom Flughafenbau über die Planung eines Radwegenetzes bis zur Organisation von Wahlen. Dass eine Verwaltungsreform nötig ist, darin sind sich alle Parteien einig. Über die Details streiten sie. Einig sind sich die Parteien, dass die Zuständigkeiten von Senat und Bezirken, die häufig unklar sind oder sich überschneiden, neu geregelt werden müssen.
    Den Berliner Liberalen in der Opposition geht das nicht weit genug. Der FDP-Spitzenkandidat, Sebastian Czaja, fordert, die Berliner Bezirksämter und auch die 72 Bezirksstadträte ganz abzuschaffen.
    Sebastian Czaja (l), Vorsitzender der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, und Kai Wegner, CDU-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, unterhalten sich vor einem Entzünden von Kerzen am Denkmal für die ermordeten Juden Europas am Vorabend des Internationalen Tags des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
    Bisher in der Opposition: Sebastian Czaja (l), Vorsitzender der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, und Kai Wegner, CDU-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus (hier gemeinsam am Denkmal für die ermordeten Juden Europas) (picture alliance / dpa / Christoph Soeder)
    Die Regierende Bürgermeisterin präsentiert sich im Wahlkampf als Macherin, die eine Verwaltungsreform vorantreiben will.

    Welche Koalitionen sind denkbar?

    Nach der jüngsten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „Civey“ führt die CDU mit 23 Prozent der Stimmen vor SPD und Grünen, die beide bei 19 Prozent liegen. Die Linke erhielte demnach 12 Prozent, die AfD 11 und die FDP 7 Prozent der Wählerstimmen. Der Berlin-Trend der ARD kam zu ähnlichen Ergebnissen.
    CDU-Chef Kai Wegner könnte ein Wahlgewinner ohne Machtoption werden. Hinter den Kulissen liebäugelt er mit den Grünen, hat sich aber durch seine sozialpolitischen Äußerungen nach der Silvesternacht und seine verkehrspolitischen Ziele die letzten Sympathien der Grünen verspielt. Ihm fehlt nach jetzigem Stand die Vision einer realistischen Koalition, um Regierender Bürgermeister zu werden – es sei denn, die SPD wäre bereit, eine sogenannte „Deutschlandkoalition“ einzugehen.
    Die Grünen würden am liebsten die Koalition mit SPD und Linken fortsetzen, allerdings unter eigener Führung. Sollte Franziska Giffey noch einmal den Auftrag zur Bildung eines Regierungsbündnisses erhalten, würde sie wohl am liebsten mit den bürgerlichen Parteien koalieren. Dafür fehlt ihr allerdings immer noch der Rückhalt in der eigenen Partei. Giffey vermeidet es, sich auf eine Koalition festzulegen.